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Bodybuilding macht Puten krank

Greenpeace kämpft gegen Überzüchtung und Massenhaltung  ■ Von Gernot Knödler

Wenn sich eine deutsche Pute in die Brust wirft, dann fliegt sie gleich auf die Fresse. Weil der Verbraucher sich die Flugmuskulatur so gerne als Schnitzel brät, haben sich die Züchter richtig ins Zeug gelegt, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Herausgekommen ist ein mönströser Muskelstrang, der ausgewachsene Puten vornüberkippen lässt, so dass sie ihre letzten Lebenswochen unter der Last zwangsweise im Liegen verbringen müssen – mit einer Reihe unappetitlicher Folgen für den Menschen.

Die Lebensmittelindustrie hört Wahrheiten dieser Art gar nicht gerne, und als Greenpeace sich des Themas annahm, hagelte es zunächst Strafanzeigen und Unterlassungsanträge. Gestern saßen die Umweltschützer mit den Züchtern und dem Lebensmittelkonzern Unilever am Runden Tisch, um Auswege aus der intensiven Tierproduktion zu finden.

Denn diese hat fatale Konsequenzen: Weil die überzüchteten Tiere so schwer sind, entzünden sich ihre Gelenke. Bei den Vögeln, die vornüberfallen und ständig auf der Brust liegen, bilden sich Geschwüre. Die Puten, die auf sehr engem Raum gehalten werden, bedrohen einander, hacken aufeinander ein und machen sich gegenseitig Stress.

Krankheitserreger können sich in Windeseile ausbreiten, so dass sich die Hühnerbarone gezwungen sehen, beim Auftreten von Krankheiten sofort den gesamten Bestand mit Antibiotika zu füttern. Dazu kommen Schmerzmittel wie Acetylsalicylsäure („Aspirin“), um den geschundenen Tieren ihre Leiden einigermaßen erträglich zu machen.

Untersuchungen des Wassers, mit denen die Tiere getränkt werden und Belege aus den Ställen bestätigen Greenpeace zufolge den Arzneimitteleinsatz. In den Lebensmitteln, die der Verbraucher im Supermarkt kauft, lassen sich die Medikamente zwar nicht mehr feststellen. Allerdings seien bereits „mehrfach resistente Stämme von Krankheitserregern“ wie etwa Salmonellen im Fleisch aufgetaucht, sagt Martin Hofstetter von Greenpeace.

Diese Erreger haben sich an die ausgiebig verabreichten Bakterienkiller gewöhnt, so dass es für Ärzte zunehmend schwierig wird, Menschen zu behandeln, die von ihnen infiziert worden sind. „Mit kranken Tieren kann man keine gesunden Lebensmittel produzieren“, bringt es Hofstetters Kollege Christoph Then auf den Punkt.

Von der Lebensmittelindustrie verlangt Greenpeace deshalb, auf die Produktion überzüchteter Rassen zu verzichten und die Besatzdichte der Ställe zu verringern. Ein Tier pro Quadratmeter statt drei sei in der Endmast genug. Zugleich sollten die Ställe in mehrere Einheiten unterteilt werden, so dass Krankheiten nicht sofort auf den ganzen Stall übergreifen.

Für den Verbraucher würde sich Putenfleisch um zehn bis 15 Prozent verteuern, schätzt Greenpeace. Das sei aber nicht weiter schlimm, weil Pute ohnehin billiger sei als die anderen Fleischsorten, behaupten die Naturschützer.

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