: Liebe zu freien Gruppen in Zeiten finanzieller Cholera
Theater-Gutachten der Kulturverwaltung räumt mit privaten Bühnen auf: Aus für das Hansa-Theater und das Schlosspark-Theater ab 2003. Neues Förderkonzept setzt mehr auf Innovation und Auswahl
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Wer versucht, es in der Kunst allen recht zu machen, ist ein Tor. So lapidar und einleuchtend der Satz aus Goethes Zitatenschatz ist, so wenig hat man sich in der Berliner Kulturpolitik daran gehalten. Statt auszuwählen, gilt das finanzielle Gießkannenprinzip, und angesichts der immer schmaler werdenden Summen, die zur Förderung kultureller Institutionen bereitstehen, war somit keinem wirklich gedient.
Kultursenatorin Adrienne Goehler (parteilos) hat gestern mit der Vorstellung des „Gutachtens zur Förderung der Privattheater“ den Paradigmenwechsel zur bisherigen Subventionspraxis eingeläutet. Zukünftig, sagte Goehler, dürfe generell „nicht mehr die alte Art“ der Geldverteilung angewandt werden. Und speziell bei der Theaterförderung müsse „dem Rechnung getragen werden, was mit Kreativität auf die Stadt abfärbt“.
Nach Ansicht von Goehler sollen die Mittel der „Konzeptförderung“ (insgesamt 14 Millionen Mark jährlich) ab 2003 mehrheitlich nur diejenigen privatrechtlich organisierten Bühnen und Ensembles erhalten, die mit innovativen, künstlerisch anspruchsvollen sowie publikumswirksamen Produktionen aufwarten. Zugleich müsse mehr Geld für experimentelles Arbeiten zur Verfügung stehen. „In Zeiten der finanziellen Cholera“, so die Senatorin, „sollten zukünftig 10 Prozent“ der Mittel für die freien Theater- und Tanzgruppen reserviert werden, „um deren Impulse“ für Berlin zu sichern“.
Konkret schlägt das Konzept, das von den unabhängigen Theatersachverständigen Carola Friedrichs und Dirk Scheper erarbeitet wurde und das Goehler wegen seiner „Brauchbarkeit“ in den kommenden Senat einzubringen hofft, erst einmal zwei Theaterschließungen vor. Das Schlosspark-Theater von Intendant Heribert Sasse und das Hansa-Theater sollen ab 2003 keine Fördergelder mehr erhalten. Das würde das Aus für die beiden Bühnen bedeuten. Zur Begründung fanden die Gutachter klare Worte: Das Schlosspark-Theater, bislang mit 3 Millionen Mark jährlich unterstützt, besitze „in der Berliner Theaterlandschaft keinen originären Stellenwert“. Die künstlerische Qualität sei „zweifelhaft“, geboten werde „altbackenes Regiehandwerk“, so Friedrichs. Das Haus war in der Spielzeit 2000/01 nur zu 48 Prozent ausgelastet.
Auch dem Berliner Volkstheater Hansa werfen die Sachverständigen einen „verstaubten Stil“ und „äußerst zähes, müdes Boulevardtheater und nicht die Spur des schnellen Berliner Witzes“ vor. Für das Hansa-Theater empfahlen die Sachverständigen eine Bespielung durch die Neuköllner Oper. Das Schlosspark-Theater, sagte Kulturstaatssekretärin Alice Ströver, könne zum Spielort für Gruppen des Kinder- und Jugendtheaters werden.
Neu in die Konzeptförderung sollen dagegen die Sophiensæle und die Zeitgenössische Oper aufgenommen werden. Die Sophiensæle seien als Spielstätte für freie Theater- und Tanzproduktionen inzwischen über Deutschland hinaus bekannt, sagte Friedrichs. 1,4 Millionen Mark sollen dafür zur Verfügung gestellt werden. Die Zeitgenössische Oper, ein Team ohne festes Haus, zeige Aufführungen „von hoher Professionalität, ästhetischer Innovation und kompromisslosem Stilwillen“. Diese Gruppe soll ab 2003 eine Million Mark jährlich erhalten, so Scheper gestern.
Weiter sollen das Renaissance-Theater, die Tribüne und die Vaganten-Bühne unterstützt werden. Hinzu kommen die Neuköllner Oper, das Kleine Theater am Südwestkorso, das Theater im Palais und das theater 89 in den Genuss der Konzeptförderung. Die Letztgenannten gehören zu den bis 2002 schon mit 14 Millionen Mark geförderten neun privaten Bühnen. Die nicht geförderten Intendaten wollen jetzt das Gespräch mit der Kulturverwaltung suchen.
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