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DATENSCHUTZ IST IN ZEITEN DER „SICHERHEITSPAKETE“ NÖTIGER DENN JEGefährlicher Rechtsstaat

Noch vor kurzem dachten Datenschützer, sie müssten sich nunmehr hauptsächlich um kommerzielle Datensammlungen im Geschäftsleben und im Internet kümmern. Beim Staat war der Datenschutz zwar nicht beliebt, aber weitgehend durchgesetzt. Seit den jüngsten Terroranschlägen hat sich dies grundlegend geändert.

Auf der Suche nach bisher unentdeckten Terroristen ist erstmals seit langem wieder eine Rasterfahndung angelaufen und die Innenminister von Otto Schily (SPD) bis Günther Beckstein (CSU) fordern immer wieder eine Einschränkung des Datenschutzes. So sollen Polizei und Geheimdienste noch besseren Zugriff auf die privat oder beim Staat gespeicherten Informationen erhalten. In Otto Schilys zweitem Sicherheitspaket sind deshalb neue Auskunftspflichten für Banken, Asylbehörden und Flugunternehmen vorgesehen.

Aus der Sicht der Innenminister scheint Datenschutz zwar wie eine überkommene Fessel für die Sicherheitsorgane zu wirken, tatsächlich hat er aber wichtige praktische Funktionen für das Leben in einer freiheitlichen Gesellschaft. Dies gilt sowohl für Menschen, die sich anders verhalten als die Mehrheit, wie auch für die so genannten „normalen“ Bürger.

„Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen“, erklärte das Bundesverfassungsgericht 1983 in seinem Volkszählungsurteil. Dieser Druck zu konformem Verhalten kann alle möglichen Lebensbereiche betreffen: die politische Betätigung, sexuelle Vorlieben oder religiöse Aktivitäten. Datenschutz erleichtert es also, dass Menschen selbstbestimmt leben und ihre Grundrechte wahrnehmen können.

Die aktuelle Diskussion zeigt aber, dass Datenschutz nicht nur für Minderheiten, sondern auch für so genannte Durchschnittsbürger wichtig ist. Denn ein wesentliches Merkmal bisher unerkannter islamistischer Terroristen soll sein, dass sie wie die meisten Bürger völlig unauffällig und gesetzestreu leben. Bei Fahndungen müssen also gerade unbescholtene Bürger damit rechnen, im Raster von Polizei und Nachrichtendiensten hängen zu bleiben. Das ist mehr als lästig, denn hier wird die Beweislast umgedreht: Der Ausgesiebte muss erst mal beweisen, dass er kein Terrorist ist und dass seine Unauffälligkeit nicht nur der Tarnung dient.

Vielleicht werden Verdachtsmomente auch bei den Behörden „sicherheitshalber“ noch eine Weile gespeichert und Europol zugängig gemacht, so dass es beim Urlaub im Ausland mit der Polizei zu komplizierten Verwicklungen kommen kann. Ein solches Szenario ist derzeit nicht auszuschließen, obwohl das Bundesverfassungsgericht schon 1983 festgestellt hat: Bei der Datennutzung muss stets das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachtet werden: Daten dürfen also nicht auf Vorrat gesammelt werden, nur weil man glaubt, dass die Polizei sie irgendwann einmal nützen könnte.

Schlimmer als Datenmissbrauch können Pannen bei der Fahndung sein. Denn wenn Verbrecher gejagt werden, wird es auch für Unschuldige gefährlich. Erinnert sei an den Kölner Rentner, den zwei nervöse Thüringer Polizeibeamten 1999 durch eine geschlossene Hoteltür erschossen, als sie die Identität des Mannes überprüfen wollten.

Sicher beruhigt sich derzeit mancher, dass die Fahndung nach Islamisten nicht gerade jeden betrifft. Im Netz mögen zwar einige völlig unbescholtenen Mitbürger hängenbleiben, aber eben doch „nur“ die mit fremdländischen Namen und arabischem Aussehen – diejenigen also, die ohnehin tendenziell diskriminiert werden. Wenn aber die bisher ergebnislose Rasterfahndung am Ende doch noch einige Schläfer enttarnt oder zur Flucht bewegt, dann könnte der Ruf nach der Datenfahndung bald erneut zu hören sein, auch wenn es dann um deutsche Terroristen, Nazi-Schläger oder sonstige Schwerkriminelle geht. In diesem Fall nützen aber auch der deutsche Name und die blonden Haare nicht mehr viel, dann wird auch im deutschen Mainstream gefahndet.

Zwar ist die Datenfahndung nicht per se unzulässig, denn die Polizei muss ihre Schutz- und Strafverfolgungsaufgabe erfüllen. Aber eine Rasterfahndung ist kein harmloses Datensieben und Datenschutz keineswegs ein überholtes Grundrecht. CHRISTIAN RATH

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