Wenn Penner ermitteln

Trotz Querelen zwischen Drehbuchautor und Regisseur ist der dritte Hamburg-„Tatort“ gelungen. Ob sich der Hamburger Machtwechsel auf die Storylines auswirkt, wird sich zeigen (So., 20.15 Uhr, ARD)

aus Hamburg CHRISTIAN BUSS

Thomas Bohn ist „Tatort“-Regisseur, und er ist Sozialdemokrat. Eine interessante Kombination, wenn man den Machtwechsel betrachtet, der sich in Hamburg momentan vollzieht – in jener Stadt, in der Bohn bereits zwei Teile der Krimiserie abgedreht hat und in der er noch zwei weitere realisieren wird. Dass demnächst der Rechtspopulist Ronald Schill die inneren Angelenheiten Hamburgs regelt, sieht der Fernsehmann gelassen: „Das muss ich meiner Partei vorwerfen: Sie hat sich nicht um die Ängste der Bürger gekümmert. Jetzt hat sie die Rechnung präsentiert bekommen. Das ist Demokratie. Im Übrigen glaube ich nicht, dass es für uns große Veränderungen geben wird. Schließlich zeigen wir die Arbeit der Mordkommission, und auf die wird sich der Wechsel nicht auswirken. Bei der Sitte oder der Drogenfahndung mag das anders sein.“

„Tatort“-Set alssozialer Brennpunkt

Unerwartete Worte für jemanden, der angetreten ist, dem zum Schluss immer bräsigeren Hamburger „Tatort“ eine gewisse soziale Relevanz zurückzugeben. Der Glaube, dass die angekündigten Repressionen in der Drogenpolitik und die Law-and-Order-Rhetorik führender Politiker tatsächlich keinen Einfluss auf das Gesamtklima der Stadt haben sollen, verwundert doch sehr.

Und war der „Tatort“ nicht immer dann am besten, wenn die Handlung aus den Amtsstuben herausführte, wenn das Täterrätsel also auch als Soziodrama oder Sittengemälde funktionierte? Bohn lenkt ein: „Sicher, man muss die Entwicklung in Hamburg beobachten. Wenn sich durch den Machtwechsel das gesellschaftliche Klima verändert, werden wir das aufgreifen. Wenn sich etwa ein durchgeknallter Vorstädter dazu berechtigt fühlt, einen Drogensüchtigen zu erschießen, wäre das ein Thema für uns.“

Vorerst jedoch muss der Regisseur einen nicht minder brisanten Plot durchsetzen: In seinem dritten Hamburg-„Tatort“, der im Frühjahr gedreht werden soll, geht es um eine Flugzeugentführung. Die Ereignisse des 11. September haben an diesen Plänen nichts geändert. Der Hang zum Spektakel ist bei Bohn ja nicht neu. Bekannt geworden ist der Regisseur vor allem mit seinen Odenthal-„Tatorten“ für den SWR, für die er relativ reißerische Geschichten in Szene gesetzt hat, immer ein bisschen überhitzt, aber mit einem gewissen Gespür für gesellschaftliche Phänomene. Ein aufgeklärter Hollywood-Apologet wie Bohn musste den Verantwortlichen des NDR als geeigneter Kandidat erscheinen, endlich Schluss zu machen mit der Heringshappen-Gemütlichkeit, die von den singenden Gendarmen Manfred Krug und Charles Brauer am Ende ihrer Ermittlerlaufbahn penetrant verströmt wurde.

Atzorn ermittelt ganz ohne Rasur

Um den Relaunch des Hamburger „Tatorts“ perfekt zu machen, wurde Bohn gleich für vier Folgen engagiert. Den Part des Kommissars übernimmt jetzt ein dreitagebärtiger Robert Atzorn, auch das scheint stimmig. Allerdings stellt sich die Frage, wie der NDR der Idee verfallen konnte, ausgerechnet den rustikalen Fernseh-Oldie Felix Huby mit dem Drehbuch zu beauftragen. Da war Ärger progammiert. Denn während bei Hubys Plots, zum Beispiel für die Bienzle-„Tatorte“, Gut und Böse übersichtlich getrennt sind, verschwimmen unter der oft manieristisch wirbelnden Kamera des ehemaligen Werbefilmers Bohn schon mal die Grenzen. NDR-Fernsehspielchefin Doris J. Heinze erklärt: „Wir fanden gerade die Kombination der unterschiedlichen Stile interessant.“ Diesen Wagemut in allen Ehren – gibt man Roland Emmerich den Auftrag, Hera Lind zu verfilmen?

Der Knartsch zwischen Bohn und Huby jedenfalls ließ nicht lange auf sich warten und wurde sogar öffentlich ausgetragen. So distanzierte sich Huby vom fertigen Produkt. Nach Sichtung von „Exil!“, dem ersten Hamburg-„Tatort“ in neuem Gewand, schickte er erzürnt eine Presseerklärung raus. Im Gespräch giftet Huby: „Herr Bohn hat sich das Ding unter den Nagel gerissen.“

Schon bei den Vorbereitungen sei man sich nicht einig geworden, vier Skriptfassungen habe Huby erstellt. Mit dem Endprodukt will Huby nichts zu tun haben: „Der Film ist mir zu kalt, das ist nicht mein Stil.“ Für die restlichen drei Folgen, Glück gehabt, durfte Bohn deshalb das Drehbuch allein verfassen.

Trotz der Querelen, die es im Vorfeld gab, gelingt es Robert Atzorn in „Exil!“, den von ihm gespielten Kommissar Jan Casstorff als einnehmenden Charakter zu etablieren. Dabei liegt die Stärke durchaus in der ambivalenten Ausschmückung seiner Rolle. Eine Fähigkeit, die man dem Darsteller des notorischen Gutmenschen „Dr. Specht“ nicht unbedingt zugetraut hätte. Klar, so ganz kann Atzorn das Schlaumeier-Gehabe des von ihm über acht lange Jahre verkörperten Pädagogen nicht ablegen; und wenn er seine junge Kollegin Graf (Julia Schmidt) maßregelt, setzt die einen Blick auf, als hätte sie gerade ne Fünf in Mathe kassiert.

Doch hinter Atzorns markigem Gebaren tritt eine erstaunlich facettenreiche Figur hervor: Der Ermittler lässt sich von seiner alten Mutter bekochen, schläft in ziemlich unvorteilhafter Haltung in der Badewanne ein und wird vom Sohn vornehmlich „Penner“ gerufen. Manchmal sitzt er an der Bettkannte des 15-Jährigen und weint, weil er ihm kein guter Vater sein kann. Dafür erledigt der gefühlige Lederjackenträger seinen Job nur umso souveräner.

Dehnbare Vorschriften auf der Wache

Was natürlich auch die laxe Auslegung von Vorschriften beinhaltet: So sperrt er am Ende der ersten Folge einen Waffenschmuggler mit einem aufgebrachten nigerianischen Menschenrechtler in eine Zelle, um von dem Übeltäter ein Geständnis zu erzwingen. Die Beamten in Uniform stehen Casstorff dabei freundlich zur Seite.

Am Ende wird alles gut: Der Menschrechtler darf in Deutschland bleiben, der Bösewicht wird abgeführt. Zugegeben, die Szene ist keine dramaturgische Meisterleistung. Doch wirkt sie wie ein rührender Gruß aus einer besseren Zeit. Denn in einem Hamburg mit Schill als Innensenator muss der ziemlich unwahrscheinlich Schulterschluss zwischen Polizei und nigerianischem Flüchtling vollends märchenhaft wirken. Eine Aufgabe zukünftiger Casstorff-Folgen liegt darin, die gesellschaftlichen Veränderungen in Hamburg aufzuzeigen. Passiert das nicht, können wir genauso gut Manfred Krug und Charles Brauer beim Singen zuhören.