piwik no script img

Die Angst ist zurückgekommen

Sie haben keine Probleme zu Hause oder am Arbeitsplatz. Bisher nicht. Aber für eine Familie aus Kabul hat die heile Welt in München Risse bekommen

„Wenn man sich kritisch äußert, wird man schnell komisch angeschaut.“

aus München INGA ROGG

Das Donnergrollen der Kampfjets, explodierende Bomben, trocken-dumpfes Knallen von Raketen, krächzendes Rattern von Maschinengewehren, Staubgeruch von berstendem Beton und Lehmziegeln, Gestank von verbranntem Plastik – Safia und Mohammed Ahmed (Name von der Redaktion geändert) kennen die Geräusche und Gerüche des Kriegs. Und die Angst. Aber das ist lang her und weit weg. Das war damals in Afghanistan, ein halbes Leben von München entfernt.

München. Der Rasen im Innenhof ist frisch geschnitten, das Treppenhaus riecht nach geputztem Marmor, vor dem Haus spielen ein paar Kinder. Ansonsten herrscht Samstagnachmittagruhe. Hier wohnen die Ahmeds seit nunmehr zwölf Jahren. Wandteller mit Münchner Stadtansichten zieren den Flur, ein Bär in Lederhose und Sepplhut erinnert an den letzten Wies’nbesuch. Porzellanpuppen und niederbayerische Holzschnitzereien von Safias deutscher Freundin schmücken neben chinesischem Teegeschirr und einem Samowar den Vitrinenschrank, auf dem Couchtisch liegt die Süddeutsche – ein beschauliches Münchner Familienleben mit Glücksfaktor. Afghanistan, das war bis zum 11. September für die Ahmeds fast so weit weg wie für ihre deutschen Freunde. Wer in München nächster Oberbürgermeister wird, bewegt die Ahmeds normalerweise mehr als die Frage, welcher Kommandant gerade welches Tal in Afghanistan erobert.

Doch mit dem angloamerikanischen Krieg gegen die Taliban und deren Schützling Ussama Bin Laden ist die Angst zurückgekehrt. „Ich mache mir große Sorgen“, sagt Mohammed Ahmed. Viele Verwandte leben noch immer in Kabul. Er hat versucht, sie zum Weggehen zu überreden. Doch sie wollen nicht fort. „Die Menschen kennen seit 23 Jahren nichts anderes als Krieg“, sagt er. „Für sie ist der Krieg inzwischen Normalzustand.“

Das Klingeln des Telefons unterbricht ihn. Seine Frau eilt hin, enttäuscht kehrt sie zurück. Es war nicht der Schwager. Vor zwei Tagen hatten sie das letzte Mal telefoniert. Es gehe ihnen gut, habe er gesagt. Dann brach die Leitung zusammen. Die ehemalige Lehrerin lehnt sich in den Sessel, presst die Hände gegen die Schläfen, als könne sie damit den pochenden Kopfschmerz vertreiben, der sie seit Tagen quält.

„Der Krieg kennt keine Brüder und Schwestern“, zitiert Safia Ahmed ein afghanisches Sprichwort. „Jeder Krieg fordert das Leben von Unschuldigen.“ Sie rückt die Schale mit dem Gebäck, die Zuckerdose und das Teeglas zurecht. „Kriege sind ein Unheil“, sagt sie langsam, jede Silbe betonend. „Die Welt ist am Durchdrehen“, meint Mohammed.

Eigentlich wollen beide darüber gar nicht reden. Es sei besser, man sage in diesen Zeiten nicht zu viel, jedes Wort könne leicht missverstanden werden. „Wenn man sich kritisch äußert, wird man schnell komisch angeschaut“, sagt der Ingenieur. Für den Krieg, gegen den Krieg – so einfach ist es für die Familie nicht. „In einem demokratischen Land wird man doch wohl noch eine neutrale Meinung haben dürfen.“

Selbstverständlich eigentlich. Doch die Kriegsstimmung hat die Ahmeds verunsichert. Ob Afghanen, Deutsche oder Araber, sagt Safia, es finde sich immer einer, dem die Meinung nicht passt. Deshalb wollen sie nur mit geänderten Namen genannt werden. Wo sie genau wohnen, soll bloß niemand erfahren. „Nennen Sie mich einfach Mohammed“, sagt der Mann.

Der zwölfjährige Sohn, der die ganze Zeit still vor dem Fernseher gesessen und zwischen Viva und MTV gezappt hat, kommt her und flüstert seinem Vater etwas ins Ohr. Gleich beginnt „ran“. Doch dafür hat sein Vater im Augenblick wenig Sinn.

Es ist 19 Uhr. In der „Heute“-Sendung laufen Nachrichten vom Krieg. „Wenn es nicht schnell geht, werden sie den Krieg nie gewinnen“, sagt Mohammed skeptisch. Vom arabischen Sender al-Dschasira werden Bilder von zerbombten Häusern übermittelt. Mohammed Ahmed setzt seine Brille auf. „Afghanistan ist so zerstört, das kann auch von früher sein“, kommentiert er die Aufnahmen. Obwohl al-Dschasira auch unter arabischen Oppositionellen einiges Ansehen genießt, traut er dem Sender nicht recht. Schließlich hat al-Dschasira die Brandreden des Ussama bin Laden übertragen. Als dann auch noch die Nordallianz zu Wort kommt, ist es mit seiner äußerlichen Ruhe endgültig dahin. „Das ist doch die gleiche Verbrecherbande wie die Taliban“, sagt er zornig.

Trotz ihrer Sorgen und Zweifel sind die Eheleute im Grunde genommen für die angloamerikanischen Angriffe. „Wir brauchen endlich Frieden“, sagt Safia. Den, so hofft sie, werden die Amerikaner bringen. Für ihren Mann gibt es noch einen anderen Grund. „Der Westen trägt eine Mitschuld, dass es so gekommen ist“, sagt Mohammed. „Nur weil es gegen die Sowjets ging, haben sie die Mudschaheddin und die Taliban unterstützt.“ Zornesschatten ziehen über das freundliche Gesicht. „Ohne die Hilfe des Westens wären diese Verbrecher doch nie so stark geworden.“ In diesem Machtkampf sei die demokratische Opposition schließlich unter die Räder gekommen. Wer überlebte, floh und lebt wie er seit Jahrzehnten im Ausland. Als das Land in Schutt und Asche lag, habe ihm der Westen den Rücken gekehrt und tatenlos zugesehen, wie die Mudschaheddin und dann die Taliban es vollends zugrunde richteten. „Diesmal muss der Westen sicherstellen, dass Afghanistan demokratisch wird“, sagt Mohammed. Wie? Das wisse er auch nicht, dazu sei er zu lange fort. Das Land am Hindukusch ist ihm fremd geworden. „Es wird sicher mehrere Generationen dauern“, sagt Safia. „Hoffen wir, dass der Westen diese Zeit aufbringt.“

Vor 23 Jahren war Mohammed Ahmed zum Studium nach Deutschland gekommen. Es war das Jahr eins der Katastrophe, die Afghanistan schließlich in den Abgrund führte. Innerhalb der Opposition gegen das nach einem Militärputsch eingesetzte „Revolutionskabinett“ gewannen zusehends konservative religiöse Strömungen die Oberhand. Als im Jahr darauf die Sowjets einmarschierten, sah er für sich und seine Familie keine Zukunft mehr in Afghanistan. Er holt Safia und ihr wenige Monate alte erstes Kind nach. Danach Studienabschluss, Umzug nach München, wo er bald eine Stelle als Ingenieur findet, das zweite Kind, neue Freunde.

„Der Krieg kennt keine Brüder und Schwestern. Wir brauchen Frieden.“

Aber seit in Deutschland fieberhaft nach Verbindungsleuten bin Ladens gefahndet wird, hat das Bild von einer Familie, die im Münchner Alltag angekommen ist, Risse bekommen. In den Köpfen der Ahmeds und in den Köpfen ihrer Umwelt. Sind es nicht gerade diese auffällig unauffälligen Nachbarn, die im Verdacht stehen, mit rechten islamischen Gruppierungen unter einer Decke zu stecken? Die Ahmeds sind verunsichert. „Ich lebe seit über 20 Jahren hier“, sagt der Ingenieur. „Mit den Islamisten habe ich so wenig zu tun wie jeder demokratische Mensch.“ Ein Verbrechen sei es, was die Taliban und dieser Ussama Bin Laden den Menschen antun, sagt Safia. „Unschuldige Menschen zu töten und den Frauen die Arbeit zu verbieten, das hat doch nichts mit dem Islam zu tun.“

Nein, bislang hatten sie keine Probleme, sagen die Eheleute. Die Nachbarn im Haus grüßen wie zuvor, ansonsten wahrt man Distanz. Am Arbeitsplatz schaut sie keiner scheel an. Es sind keine konkreten Anschuldigungen oder Übergriffe, die sie ängstigen. Eher Gerüchte und Geschichten, die jetzt erzählt werden. Nicht nur aus München, wo 4.100 Afghanen leben, auch aus Hamburg, Frankfurt, Mainz oder Wien. Die Geschichte von dem Freund, der auf offener Straße krankenhausreif geschlagen wurde, als er Unbekannten Feuer gab. Die Bekannten, die von anonymen Anrufern terrorisiert werden. Der elegant gekleidete Mann, dem Nachbarn auf dem Nachhauseweg einen Kübel Wasser über den Kopf schütteten. Pöbeleien in der Münchner U-Bahn.

Man muss nicht lange suchen, um Landsleute der Familie zu finden, die ähnliche Geschichten beschäftigen. Popal N., der in einem Lebensmittelladen im Münchner Zentrum arbeitet, fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Ja, es komme vor, dass er komisch angeredet werde, sagt der Verkäufer. Er versuche, solche Vorfälle nicht allzu ernst zu nehmen. In gewisser Weise könne er die Deutschen sogar verstehen. „Nach dem 2. Weltkrieg dachte auch jeder, alle Deutschen seien Nazis. So ähnlich ergeht es uns jetzt“, sagt er ruhig. Man müsse nur mit den Leuten reden. Ihm werde auch viel Verständnis entgegengebracht. „Die Deutschen sind keine schlechten Leute.“ Es beschäme ihn aber, dass jetzt alle Afghanen mit den Taliban gleichgesetzt werden. „Dass man diese Bande für die Vertreter aller Afghanen hält.“

Tatsächlich bekommt die Münchner Polizei andauernd Hinweise auf vermeintliche Terroristen. „Wir kommen kaum noch dazu, unsere normale Arbeit zu machen“, sagt ein Beamter. Anschwärzen ist „in“. Und notiert wird alles: Die Aussage des Mannes, der im Haus gegenüber einen „Marokkaner“ hineingehen sah. Die regelmäßigen Moscheebesuche von Herrn X aus dem Westend. „Alles, was Personen so beobachten“, sagt der Polizist. „Da können Sie sich alles vorstellen.“ Jedem dieser Hinweise müssen die Beamten nachgehen, sei er auch so läppisch wie der, dass die Nachbarin eines „arabisch“ aussehenden Journalisten vor dem Haus ein Auto mit Hamburger Kennzeichen sah und seine Besucher so auffällig unauffällig fand. Das landet dann für die nächsten zehn Jahre in der Akte. Ohne dass die Beobachteten davon erfahren. Darüber, dass auch ihr älterer Sohn, der an der Münchner Uni studiert, nur wegen seines Namens ins Visier der Fahnder geraten kann, darüber möchten die Eheleute lieber nicht nachdenken.

„Die Leute sind verrückt“, sagt Mohammed. Trotzdem dürfe man sich von der Panik nicht anstecken lassen, ergänzt Safia. „Wir leben doch in einem demokratischen Land.“ Sie sagt es, als müsse sie sich vergewissern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen