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normalzeitHELMUT HÖGE über deutsche Herbstgefühle

Im Déjà-vu-Loop

Anfänglich schien der auf den 11. September folgende Staatssicherheitsschub hierzulande eine Wiederholung des „deutschen Herbsts“ zu sein. Bis hin zum taz-Abo-Sprung – wie sonst nur nach Reaktorkatastrophen.

1977 gab es einen „klammheimlich“ begrüßten Terrorakt und in der Folge einen flächendeckenden Überwachungsangriff von oben. Die Linke reagierte auf die Jagd auf RAF-Sympathisanten am Winterende 1978 in Berlin mit dem so genannten Tunix-Kongress, wo u. a. gegen die Nachrichtensperre die Gründung der taz beschlossen wurde.

Für mich hatte der „deutsche Herbst“ bereits 1976 begonnen, als das LKA niedersächsische Landkommunenbewohner, zu denen ich damals gehörte, wegen ihrer vermeintlichen Nähe zum RAF-Täter-Umfeld verhaftete und verhörte.

Im Frühjahr 1977 zog ich zu einem Bauern ein Dorf weiter, um ihm beim Umbau des Hofes zu helfen. Damals besaß ich ein Pferd, und mit diesem ging ich anschließend – an einem sonnigen Herbsttag – los: zu einem anderen Bauern. Abends kamen das Pferd und ich müde bei Wagenfeld an einer Kneipe vorbei. Plötzlich stürzte ein Mann mit zwei Korngläsern raus – und auf uns zu: „Eben ist der Arbeitgeberpräsident Schleyer entführt worden. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise. Prost!“, sagte er, und darauf tranken wir dann einen. Anschließend gingen das Pferd und ich weiter.

Am Nürburgring in der Eifel – einige Wochen später – wurde es langsam ungemütlich. An der Mosel ging dann nichts mehr: Ich hatte in einer Dorfdisko zwei junge Weinbauern kennen gelernt, und wir hatten anschließend zusammen gekifft. In der Pension hörte ich dann in der Nacht Polizeistiefel im Treppenhaus und Walkie-Talkie-Geflüster hinter der Tür. Ich war gerade dabei gewesen, einen Leserbrief über die Fahndungshysterie zu schreiben an eine der gleichgeschalteten Zeitungen, als die Paranoia in mir hochstieg – und die Geräusche immer realer wurden. Würde man diesen Brief nicht gegen mich verwenden?, fragte ich mich – und schlief zum Glück irgendwann über dieser Frage ein.

Während ich dann bei einem Bauern im Hunsrück arbeitete, erschien Ende Dezember 1977 ein Artikel von Michel Foucault im Spiegel. Er hatte kurz zuvor – im „deutschen Herbst“ – das Land bereist: und zwar Ost wie West. Der Franzose begann den kleinen Text mit einer Schilderung seines Verhörs durch die Volkspolizei bei der Ausreise aus Ostberlin. In Westberlin wurden er und seine Begleiter anschließend vor ihrem Hotel von einer schwer bewaffneten BKA-Einheit festgenommen, weil Nachbarn sie denunziert hatten: Seine Gruppe hätte sich angeblich mit der blonden Terroristin Inge Viett getroffen. Über sein Erlebnis mit der Staatsmacht im Westen urteilte Foucault ironisch: „Beklagen Sie sich nicht über die Polizei, sie steht im Dienste der Ängste irgendwelcher Leute, ihrer Wahnvorstellungen, ihres Abscheus. Sie greift ein, wie die Feuerwehr bei Gasgeruch: sobald es schlecht riecht.“ Über den Unterschied zwischen Deutschland-West und -Ost schrieb er: „Hier Theater und Maschinenpistole, dort Bürokratie und Fotokopiergerät. Hier die mögliche Beschuldigung eines jeden durch andere, drüben die allgemeine Verdächtigung aller durch die Verwaltung.“

Nunmehr bekommen wir es dagegen, so scheint es, mit einem „philosophischem Mix“ aus beidem zu tun. Der athenische Gesetzgeber Solon hatte es einst im Falle eines Bürgerkriegs verboten, neutral zu bleiben: Das heißt, jeder hatte sich der einen oder anderen Partei anzuschließen. Später beurteilte Solon das Gesetz jedoch als schädlich.

Im deutschen Herbst 1977 fühlte sich die Bevölkerung der BRD wieder einmal derart polarisiert, dass z. B. die Bäuerinnen, bei denen ich mit dem Pferd (das übrigens ein wahrhaft Trojanisches Pferd war, denn ohne es hätte ich nirgendwo eine Übernachtung gefunden) anklopfte, erst einmal beim BKA in Wiesbaden anriefen, um sich auf einer Hotline, die damals noch nicht so hieß, die Stimmen der Terroristen anzuhören. Nachdem das Ergebnis sie beruhigt hatte, ließen sie mich auf den Hof. „Ein ganzes Land jagt 16 Mörder“, titelte die Bild-Zeitung. Kurz danach waren die meisten Bäuerinnen jedoch mir – als ihrem Landarbeiter – schon wieder derart gewogen, dass sie nicht nur täglich den Aschenbecher in meinem Zimmer leerten und das Kalenderblatt abrissen, sondern sogar meine Jeans wuschen – und bügelten.

Auf Foucault ruhte dagegen in Berlin nur das kalte „große Auge“ zweier Staatsapparate. Nach seiner Verhaftung in Westberlin fragte er sich: „Sind wir nicht [. . .] eine Gruppe Deutscher und Franzosen, ganz offensichtlich ‚Intellektuelle‘, die laut über Politik reden, genau die Leute, die Leuten ähneln, die ihrerseits wieder denen ähneln, die mit ihren Worten und Schriften Leute unterstützen, die selbst gefährlich sind? Nein, nicht eine schmutzige Rasse, wie man früher sagte, sondern eine ‚schmutzige Spezies‘. Wir haben uns wie eine schmutzige Spezies gefühlt.“ Die Westberliner Reinigungsfirma Lange warb damals z. B. in einer Anzeige im Abend mit dem Spruch: „Bei uns arbeiten keine Sympathisanten.“

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