Schill rennt offene Türen ein

Harmonie in der Hamburger Koalition: CDU und FDP haben die Forderungen des Populisten längst übernommen – soweit sie realisierbar sind

aus Hamburg PETER AHRENS
und SVEN-MICHAEL VEIT

Sie wollten Hamburg zu einer anderen Stadt machen. Mehr Polizei und mehr Abschiebungen, die weitgehende Privatisierung öffentlicher Unternehmen und die autogerechte Stadt stehen ganz oben auf der Tagesordnung der neuen Koalition aus Union, Schill-Partei und FDP. Heute Nachmittag wollen die drei Parteien den 46-jährigen Anwalt Ole von Beust zum ersten CDU-Bürgermeister nach 44 Jahren SPD-Regierung wählen.

Doch ein Blick in den Koalitionsvertrag zeigt: Der Einfluss des rechtspopulistischen Richters Ronald Schill und seiner „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ ist nur an wenigen Punkten nachweisbar. Und das nicht nur, weil Forderungen wie die kurzfristige Neueinstellung von 2.000 PolizistInnen gar nicht realisierbar waren. Sondern auch, weil sich CDU und FDP den innenpolitischen Forderungen des Newcomers schon im Wahlkampf so sehr angenähert hatten, dass sich die Programmpunkte gar nicht mehr einer einzelnen Partei zuordnen lassen. Bei den übrigen Themen, die den Richter im Grunde gar nicht interessieren, schrieb Schill einfach aus den Programmen seiner jetzigen Partner ab.

In der Innenpolitik, die den Wahlkampf bestimmt hat, beanspruchen jetzt alle drei Partner die Kompetenz für den knallharten Kurs. Mit den zusätzlichen PolizistInnen wird es zwar nichts, weil es keine arbeitslosen Beamten gibt und neue erst ausgebildet werden müssten. Aber es sollen immerhin für 50 Millionen Mark Schulungen durchgeführt, Frühpensionierungen ausgesetzt und 250 Schwarze Sheriffs als Hilfspolizisten angeworben werden.

CDU und FDP sind sich mit Schill einig, Raster- und Schleierfahndung in Hamburg zu verschärfen, Datenschutzregelungen beim Verfassungsschutz auszuhebeln und die Videoüberwachung des öffentlichen Raums auszuweiten. Alle drei wollen eine restriktive Abschiebepolitik. In der Drogenpolitik stehen alle drei Parteien der kontrollierten Heroinabgabe an Abhängige zumindest nicht ablehnend gegenüber, gleichzeitig wollen sie aber die offene Drogenszene am Hauptbahnhof durch Aufenthaltsverbote „auflösen“.

In der Justiz war der gnadenlose Richter Schill weit vorgeprescht: Den Jugendarrest „mit unwirtlichen Einzelzellen“ konnte er zwar nicht durchsetzen, aber die Einrichtung geschlossener Heime für jugendliche Straftäter wird auch von der FDP „als letztes Mittel“ mitgetragen. Und die CDU spielt bei allem mit. Über die personelle Aufstockung bei Gerichten und Staatsanwaltschaften waren sich alle drei schon vorher einig.

Zu den übrigen Themen steuerte Schill in den Koalitionsverhandlungen nichts mehr bei. Bildung und Umwelt, Arbeit und Soziales, Wirtschaft und Haushalt – CDU und FDP einigten sich, und Schill nickte. Wenn Schill heute als Innensenator antritt, wird seine Behörde nur noch für die Kernbereiche Polizei, Verfassungsschutz, Feuerwehr und Ausländeramt zuständig sein. Die übrigen Bereiche gibt der Senator ab – die Sportpolitik an FDP-Schulsenator Lange, die Personalhoheit über den öffentlichen Dienst an den CDU-Bürgermeister von Beust.

Nur bei der Verkehrspolitik, einem Prioritätsbereich des Rechtsblocks, wachte der Richter noch einmal auf. Allerdings sind die schwarz-gelben Vorstellungen über die Befreiung der Autofahrer aus der rot-grünen Knechtschaft weitgehend identisch mit Schills Forderungskatalog. Die neue Koalition will Poller und andere „Schikanen“ beseitigen, keine neuen Radwege bauen und Radarfallen nur noch vor Schulen und Seniorenheimen aufstellen. Tempo 30 soll flächendeckend durch Tempo 60 ersetzt werden. Schnell einig waren sich die Partner auch über einen neuen Autobahnring rund um Hamburg und über den Verzicht auf die von Rot-Grün beschlossene Wiedereinführung der Straßenbahn.

Was in Hamburg heute zum Regierungsprogramm erklärt wird, ist in weiten Teilen das Resultat der Sogwirkung Schills. Dem Rechtspopulisten ist es gelungen, knapp an der Grenze zu Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus zu balancieren – ein Signal auch für andere Bundesländer, wo Schill die Gründung von Landesverbänden und die Teilnahme an Landtagswahlen angekündigt hat. Mit seiner Strategie zog er nicht zuletzt frühere WählerInnen von NPD, DVU und „Republikanern“ auf seine Seite. Die drei Parteien sanken gegenüber der Wahl 1997 von zusammen etwa 8,5 Prozent auf weniger als ein Prozent.

Schill hat die dumpfen Stimmungen vom rechten Rand auch bei Konservativen hoffähig gemacht, die jede Nähe zum Rechtsextremismus mit Empörung von sich weisen. In der Hamburger Koalitionsvereinbarung haben ihm CDU und FDP haben nur noch den schwarz-gelben Teppich ausgerollt.