: Prozess gegen das Vergessen
■ Am Mittwoch beginnt das Verfahren gegen den mutmaßlichen PKK-Attentäter Ferit Aycan
Auf dem Herd dampfte noch das Teewasser. Es war kalt am 25. Februar 1986 und Kürsat Timuroglu wollte nur kurz seine Wohnung in St. Georg verlassen, um einzukaufen. Doch der Mörder wartete schon: Sechs Schüsse feuerte er ab, drei davon aus nächster Nähe in den Kopf. Zwei Tage später starb Kürsat Timuroglu an den Folgen der Verletzungen.
Zwei Wochen lang soll der Kurde Ferit Aycan die Gewohnheiten des damals 32-jährigen Familienvaters ausgespäht haben. Sein Beobachtungsposten: Ein Cafe schräg gegenüber der Wohnung seines Opfers in der Stiftstraße. Erst 15 Jahre später wurde Ferit Aycan gefasst und wartet nun auf seinen am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Hamburg beginnenden Prozess.
Das Attentat hatte die Emotionen in der linken Szene aufgewühlt. Denn schon damals mutmaßten die Freunde von Kürsat Timuroglu, die Tat sei im Auftrag der kurdischen Arbeiterpartei PKK ausgeführt worden, die in der Türkei mit Waffengewalt für einen eigenen Kurdenstaat kämpfte. Der mutmaßliche Mörder Ferit Aycan als Werkzeug des PKK-Parteichefs Abdullah Öcalan?
Diese These scheint sich zu bestätigen. Denn nachdem Kürsat Timuroglu als führendes Mitglied der links gerichteten Organisation Dev Yol (Revolutionärer Weg) nach dem Militärputsch in der Türkei im Jahr 1980 von Hamburg aus zunächst noch mit der PKK den Widerstand gegen das Militärregime organisiert hatte, kam es bald zu ersten Rissen zwischen den beiden Organisationen. Auf der einen Seite der Dev Yol-Funktionär, der von einer radikalen Demokratie träumte und sich in Deutschland auch an Friedensmärschen und Anti-AKW-Demonstrationen beteiligte, auf der anderen die Partei um den Despoten Öcalan, der Kurdistan im Partisanenkampf zu gewinnen glaubte. Das Zweckbündnis zerbrach.
Nachdem auch immer mehr PKK-Anhänger den Befehlen ihrer Parteiführung nicht mehr uneingeschränkt gehorchen mochten, ließ diese, so die Vermutung der Generalbundesanwaltschaft in der Anklage gegen Ferit Aycan, ungehorsame Abweichler liquidieren. Zu diesem Zweck soll die PKK 1984 in Europa einen Arbeitsbereich „Parteisicherheit, Kontrolle und Nachrichtendienst“ gegründet haben. Missliebige Parteiangehörige, die in Schweden, Dänemark und Deutschland lebten, seien erschossen, erstickt und verbrannt worden.
Dev Yol kritisierte diese Praktiken bereits damals öffentlich. „Wir werden sie vernichten“, soll Abdullah Öcalan im internen Kreis über Dev Yol getobt haben. Und damit geriet auch Kürsat Timuroglu ins Visier der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Sein mutmaßlicher Mörder Ferit Aycan, dessen Asylantrag in Deutschland abgelehnt worden war und der sich fünf Jahre lang als Küchenhilfe durchgeschlagen hatte, war zur Tat aus Bremen angereist. Kurz nach dem Mord tauchte er im Libanon unter und wurde dort in einem Ausbildunglager für den bewaffneten Kampf in der Türkei gesehen. Seit 1990 soll Ferit Aycan wieder legal in der Türkei gelebt haben. Bis er im vergangenen Jahr aufgrund eines Haftbefehls an der kroatischen Grenze verhaftet und dann ausgeliefert wurde.
Drei Monate könnte sich der Prozess vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht hinziehen. Die Aussagen hochrangiger ehemaliger PKK-Funktionäre versprechen viel Brisanz – auch wenn der kurdische Befreiungskampf inzwischen faktisch eingestellt ist.
2500 Menschen kamen vor 15 Jahren zur Trauerfeier für Kürsat Timuroglu in St. Georg zusammen und skandierten „Kürsatlar ölmez“ – „Kürsat, Du wirst nicht sterben.“ Beim nun beginnenden Prozess werden nur noch wenige Dutzend Zuschauer erwartet. Kay Ingwersen
Mittwoch, 7. November, 9.30 Uhr im Strafjustizgebäude, Saal 288.
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