Akute Atemnot

Die USA siegen militärisch in Afghanistan. Doch Terror lässt sich nur durch eine moralisch überlegene Position bekämpfen. Sie ist verloren seit dem Einsatz der Streubomben

Die deutschen Waffen sind nicht defensiv – sie entlasten eine Militärmacht, die Streubomben einsetzt

Die Taliban haben schwere Niederlagen hinnehmen müssen. Ein Ende ihrer Schreckensherrschaft scheint vorstellbar. Zumindest verkleinert sich ihr Einflussbereich erheblich. Das verbessert – auch – die Möglichkeit für humanitäre Hilfe. Sollte diese Entwicklung nicht als hinreichend erfreulich gewertet werden, um Kritiker verstummen zu lassen? Zumal ja der Sturz der Taliban von allen politischen Lagern in Deutschland für einschränkungslos wünschenswert gehalten wird.

Westliche Gegner und Befürworter der US-geführten Militäroperation denken in Zeithorizonten, für die Kurzatmigkeit eine noch allzu freundliche Bezeichnung ist. Es handelt sich vielmehr um akute Atemnot. Das gilt, wie gesagt, für beide Seiten. Es gibt viele Argumente gegen Flächenbombardements. Die Dauer ihrer – scheinbaren – Erfolglosigkeit gehört nicht dazu. Wären sie legitim, wäre ihr politisches Risiko nicht unvertretbar hoch, wären ihre Folgen mit den Werten zu vereinbaren, die damit angeblich verteidigt werden sollen: dann dürften sie als Mittel im Kampf gegen den Terror beliebig lange eingesetzt werden. Auch ohne Erfolgsgarantie. Das ist aber nicht der Fall.

Was für die Gegner der Bombardierungen zutrifft, gilt in demselben Maße für deren Befürworter. Sie weisen darauf hin, dass die Anti-Terror-Koalition noch immer halte und dass es bislang nirgendwo – nicht einmal in Pakistan – in nennenswertem Umfang zu dem befürchteten Solidarisierungseffekt mit den Islamisten gekommen sei. Wer das bereits nach nur zwei Monaten für einen Erfolg hält, zeigt damit lediglich, dass er von den Gesetzmäßigkeiten politischer Meinungsbildung jenseits der Ersten Welt nichts versteht. Das Erstarken des Terrorismus sei schon als Folge des Golfkrieges vorhergesagt worden, wird jetzt argumentiert. Auch damals habe sich diese Sorge als unbegründet erwiesen. Ach ja? Die Trümmer des World Trade Centers dürften – auch – ein Kollateralschaden des Golfkrieges sein. Dieser Hinweis bedeutet keine Rechtfertigung der Terroranschläge. Wohl aber den Versuch einer Analyse ihrer Ursachen.

Politische Zusammenhänge werden in den Industriestaaten fast ausschließlich über hart miteinander konkurrierende Massenmedien vermittelt. Diese konzentrieren ihre Berichterstattung notgedrungen auf Sensationen und Sensatiönchen. Die Bewohner westlicher Länder haben sich daran alle so sehr gewöhnt, dass den meisten von ihnen längst nicht mehr bewusst ist, in welchem Ausmaß diese Interpretation der Wirklichkeit ihr Denken beeinflusst.

Wenn auch nur zwei Monate lang kein spektakulärer Terroranschlag stattgefunden hat, dann halten viele die Gefahr bereits für gebannt. Sie dürften sich noch sehr wundern. Im weitaus größten Teil der Welt spielen Massenmedien eine sehr viel kleinere Rolle als bei uns. Daher ist dort auch die Wirkung von Bildern weit entfernter Ereignisse weitaus geringer. Terroristische Strukturen entstehen nicht über Nacht, ebenso wenig wie ein sympathisierendes Umfeld. Deshalb geht es im Kampf gegen den Terror eben gerade nicht um kurzfristige Erfolge – sondern darum, die Position der moralischen Überlegenheit nicht zu verlieren.

Streubomben töten Menschen, und sie machen keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Soldaten. Wer sie einsetzt, bedient sich eines unschätzbaren politischen Vorteils: das Recht auf seiner Seite zu haben. Die Terroristen und ihre Gegner bedienen sich beide der schwer definierbaren Macht von Symbolen. Mit dem Einsatz völkerrechtlich geächteter Waffen räumen die Kämpfer gegen den Terror ein Terrain, das auch durch noch so große militärische Erfolge nicht wieder zu gewinnen ist.

Für Militäroperationen gegen Afghanistan gab es von Anfang an ein Argument, das für alle – außer für überzeugte Pazifisten – schwer zu entkräften war: Es ist notwendig, ein Regime, das Terrorakte wie die auf die USA unterstützt, so nachhaltig zu bestrafen, dass niemand das jemals mehr wagen wird. Wie sonst sollte das gehen außer mit militärischer Gewalt – zumal gegenüber einem Regime, das diplomatisch und ökonomisch weltweit isoliert ist, dem gegenüber entsprechende Drohungen also keine Wirkung mehr zeigen können? Akzeptiert. Aber wie soll das gehen, wenn die angewandte Form der militärischen Gewalt auch schuldlose Opfer fordert? Gar nicht. Der Terror lässt sich nicht allein aus einer Position der militärischen Stärke heraus besiegen, sondern er bedarf auch der Stärke, die sich nur aus einer moralisch überlegenen Position heraus gewinnen lässt. Wäre es anders, dann hätten die USA vielleicht längst eine Atombombe auf Kandahar geworfen.

Das scheinen auch manche derer zu ahnen, die sich in der rot-grünen Koalition bislang nicht dazu durchringen können, trotz großen eigenen Unbehagens eine deutsche Beteiligung am Krieg gegen Afghanistan abzulehnen. Sie bemühen sich jetzt um Nachbesserungen und versuchen, die bislang vorgesehenen deutschen Waffen und Truppenteile als defensiv einzustufen. Dann müsste allerdings auch jeder Fahrer straffrei ausgehen, der nach einem Banküberfall das Fluchtauto steuert. Schließlich ist Autofahren nicht strafbar. Wer eine Militärmacht entlastet, die Streubomben einsetzt – und sei es auch nur mit Sanitätern –, der unterstützt zugleich den Einsatz dieser Waffen. Billiger ist die parlamentarische Entscheidung nicht zu haben.

Wenn nur zwei Monate lang kein Terroranschlag stattfindet, halten viele die Gefahr für gebannt

Nun wird derzeit vor unabsehbaren außenpolitischen und ökonomischen Folgen gewarnt, sollte sich Deutschland am Krieg gegen Afghanistan nicht beteiligen. Ein Politologe erklärte kürzlich gar, eine solche Entscheidung käme der „Selbstauflösung der Bundesrepublik“ gleich. Was darunter zu verstehen ist, wüsste man schon gerne ein bisschen genauer. Ein dramatischer Einbruch des Exporte? Der Verlust jeder Gestaltungsmöglichkeit im Rahmen von EU und Nato? Die sofortige Abgabe aller Pässe mit der Bitte um Neuausstellung, wahlweise in Paris oder in Warschau? Quatsch.

Es ist durchaus vorstellbar, dass eine deutsche Nichtbeteiligung am Krieg in ihren Konsequenzen so weit reichend wäre, dass auch Gegner der Militäroperationen die Verantwortung dafür nicht übernehmen wollten. Um darüber im Detail zu streiten, müssten diese Konsequenzen allerdings definiert werden. Die Befürworter des Krieges tun das nicht. Woran liegt das wohl?

BETTINA GAUS