Der Osten ist reif, aber ...

EU-Kommission bewertet Vorbereitungen der Kandidatenländer grundsätzlich positiv. Probleme gibt es bei der Korruption

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

In den Fortschrittsberichten zur EU-Erweiterung, die gestern zum dritten Mal von der EU-Kommission vorgelegt wurden, werden drei Wörtchen reichlich strapaziert: jedoch, dennoch und allerdings. Einer positiven Gesamtbewertung der Bereiche Demokratisierung, Wirtschaftsentwicklung, Umsetzung der europäischen Gesetze und Verwaltungsvorschriften folgt das dicke Aber auf dem Fuß: „Trotz der Anstrengungen bleiben Korruption, Betrugsdelikte und Wirtschaftskriminalität in den meisten Bewerberländern weit verbreitet.“

Auch beim Menschenhandel, dem man im erweiterten Schengenraum – vielleicht gar mit einer gemeinsamen EU-Grenzpolizei – leichter beizukommen hofft, ist die Zwischenbilanz nicht ermutigend: „Die im letztjährigen Bericht festgestellte Besorgnis erregende Entwicklung des Frauen- und Kinderhandels hat sich in diesem Jahr leider fortgesetzt. Mehrere Bewerberländer sind weiterhin Herkunfts-, Transit- und Bestimmungsländer.“

Der Grundtenor des 80-seitigen Strategiepapiers und der detaillierten zwölf Länderberichte ist allerdings sehr positiv. Das kommt nicht überraschend: Nach dem 11. September ist der politische Wille zur Erweiterung in der EU deutlich gestiegen, wie Erweiterungskommissar Günter Verheugen in einer ersten Reaktion auf die Attentate in den USA betonte. Man ist nun bereit, um der erhofften größeren politischen Stabilität willen in manchen Bereichen fünf gerade sein zu lassen. Und das muss noch nicht einmal viel kosten, wie die Kommission vorrechnet: Wenn man davon ausgehe, dass die ersten Kandidaten nicht 2002, sondern erst 2004 beiträten, und nicht nur sechs, sondern bis zu zehn neue Mitglieder dazu kämen, dann würde die Kostenrechnung für 2004 bis 2006 dennoch unter den Beträgen bleiben, die in Berlin für die Finanzperiode bis 2006 vereinbart wurden.

Dieser Optimismus nährt sich aus zwei Überlegungen: 2004 wird zur neuen Stunde null, das in den beiden Jahren davor von den Osteuropäern nicht abgerufene Geld ist weg. Außerdem wird die Kommission für die noch gar nicht eröffneten, besonders kostenträchtigen Kapitel Landwirtschaft, Regionalpolitik und Budgetfragen Übergangsregelungen vorschlagen. Demnach müssen sich die Bauern in den neuen Mitgliedsländern ebenso wie Einwohner strukturschwacher Regionen darauf einstellen, dass sie bis 2006 schlechter wegkommen als französische Landwirte und ostdeutsche Mittelbetriebe. Die Verhandlungen der kommenden Monate dürften spannend werden. Mehrere Kandidaten haben nämlich schon angekündigt, dass sie ein frühes Beitrittsdatum nicht für den Preis einhandeln werden, zwei Jahre lang als Mitglieder zweiter Klasse dabei zu sein.

Die Strategie der EU-Kommission zeichnet sich mit diesem – voraussichtlich letzten – Fortschrittsbericht deutlich ab: Das heikle Kapitel Strukturförderung soll im kommenden Halbjahr unter spanischer Präsidentschaft unter Dach und Fach gebracht werden, weil Spanien bis 2006 nicht um seine Einnahmen aus den EU-Fördertöpfen fürchten muss. Die Dänen bringen dann Ende 2002 das Gesamtwerk zu Ende. Spätestens im Dezember 2004 kommt der „Big Bang“: Zehn neue Länder, die bereits an den Europawahlen im gleichen Jahr beteiligt waren, werden EU-Mitglieder. Auf den türkischen Teil Zyperns wird notfalls verzichtet.

Es bleiben zwei Jahre, in denen auch dem letzten Provinzfürsten klar werden muss, dass sich die EU mit dem Prinzip der Gießkannensubvention ihr eigenes Grab schaufelt. Die Verhandlungen zur nächsten Agenda 2007 bis 2013 müssen zu einer radikalen Abkehr von diesem Prinzip führen.