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Ich hab den Farbfilm vergessen

Durchweg in Schwarzweiß: In den Siebziger- und Achtzigerjahren hat der Berliner Fotograf Herbert Schulze fast alle wichtigsten Musiker der DDR fotografiert. Sein Bildband „Melodie & Rhythmus“ vereint jetzt 250 seiner Fotos

Das ist der Beweis! Achim Mentzel, Volksmusikkönig des MDR, hat früher richtige Musik in „Fritzens Dampferband“ gemacht, die in die Schublade „ulkige Popmusik“ gehörte. Ein Foto von 1977 zeigt die Band bei einer TV-Probe. Zu dieser Zeit war Nina Hagen schon in Westberlin, sie hatte ein paar Jahre zuvor in „Fritzens Dampferband“ gesungen.

Nina Hagen hatte mit ihrem frechen, exaltierten Stil Schwung in die lahme Unterhaltungsbranche der DDR gebracht. Und besang mit „Ich hab den Farbfilm vergessen“ nicht die verpassten Urlaubsfotos, sondern eigentlich ein graues Land. Vielleicht hat Herbert Schulze deshalb -–neben künstlerischen Gründen- – 20 Jahre lang die Rock- und Popszene der DDR fast durchweg in schwarzweiß fotografiert.

DDR-Farbfotos waren sowieso von miserabler Qualität, blass und von Pastelltönen bestimmt. Wer keine richtigen Farbfotos auf die Reihe bekommt, kann schon gar nicht mit einer Musikzeitschrift im herkömmlichen Sinne dienen. In der DDR gab es nur eine namens „Melodie & Rhythmus“, die auf schlechtem Papier gedruckt in jeder der monatlichen Ausgaben nur auf acht Seiten Hochglanzpapier Bilder zum Ausschneiden bot. DDR-Jugendliche brauchten lange, um die Wand überm Bett mit Postern voll zu pflastern.

„Melodie & Rhythmus“ heißt auch der Bildband, der erstmals über 250 Fotografien von Herbert Schulze vereint. In den Siebziger- und und Achtzigerjahren hat der Berliner die meisten, wenn nicht alle wichtigen Musiker fotografiert. So bietet der Band eine optische Zeitreise und amüsante wie überraschende Einblicke in die Welt der DDR-Musikstars. Da irritieren dann Fotos von den Weltfestspielen 1973 in Berlin, weil sie an Woodstock erinnern. 25 000 Jugendliche aus 140 Ländern tanzten auf Ostberlins Straßen zu Rockmusik. Sozialistische Love Parade! Daran konnten auch Jubelparaden zu Ehren des Sozialismus nichts ändern. Ausgehend von diesem Ereignis stellt Michael Rauhut den DDR-Rock chronologisch vor. Ein exzellenter, leider viel zu kurzer Essay. Zu Recht wird im Bildband den Puhdys viel Platz eingeräumt, schließlich haben sie über 18 Millionen Platten verkauft. Auf den 29 Jahre alten Fotos vom Auftritt im TV-“Schlagerstudio“ sehen sie klasse und blöd zugleich aus. Sie tragen Glitzeranzüge, lange Haare, Schlaghosen und Plateauschuhe, schnipsen lachend vor wohl quietschbunten Sternen. Ein Auftritt bei Dieter-Thomas Heck hätte damals auch nicht anders ausgesehen. Mit in Ungarn oder über Beziehungen besorgten Adidas-Turnschuhen, selbst genähten Lederklamotten, Glitter- und Flitter-Outfit, Langhaarfrisuren und später hoch toupierten Haaren haben die „Unterhaltungskünstler“ der DDR alles geboten, was zu einem Star-Dasein sozialistischer Prägung gehört.

Doch Schulze hat die Musiker nicht nur während ihrer Auftritte, sondern auch in privater Atmosphäre fotografiert. Da essen die Puhdys Kuchen und bekleben das Schlagzeug mit selbst ausgeschnitten Buchstaben. Reinhard Lakomy sinniert rauchend im Tonstudio. Pankow posiert auf einem Dach und lässt Unterwäsche sehen.

Mitte der Achtziger wird alles ein bisschen schriller. Feeling B brachte es mit Garagensound zu einer Amiga-Platte, es gab eine Frauenband namens Mona Lise, und Rockhaus hatten die geilsten Typen und Texte. Und Silly, am Anfang noch ganz privat auf dem Dachboden aufgenommen, kann man wie anderen Bands beim Älterwerden zuschauen. Der Ostler wird sich erinnern. Der Westler wird staunen. Die DDR war ein Land mit Melodie und Rhythmus. ANDREAS HERGETH

Herbert Schulze: „Melodie & Rhythmus – Bilder aus 20 Jahren DDR-Rock“, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2001, Berlin, 240 Seiten, 49,80 DM

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