: Deutliche Worte für die Grünen
Der Kanzler bekennt sich zur Berliner Koalition – vorausgesetzt, der kleine Koalitionspartner spurt. Die Aussicht auf Rot-Gelb macht vielen Genossen Angst
aus Nürnberg SEVERIN WEILAND
Irgendwie war Rostock in Nürnberg ganz nah. In den Köpfen der 523 Delegierten auf dem SPD-Parteitag, aber auch im Kopf des Parteivorsitzenden Gerhard Schröder. „Ich möchte gerne“, ruft der Kanzler in den Messesaal hinein, „diese Arbeit mit den Grünen fortsetzen.“ Doch damit die Grünen auf ihrem kommenden Parteitag an der Ostsee auch wissen, auf was es ankommt, schiebt Schröder schnell eine Einschränkung hinterher. „Wenn man das will, dann muss es auch gehen.“ Und dazu gehöre nicht nur Geschlossenheit in zentralen Fragen der deutschen und internationalen Politik, sondern auch die Zustimmung zum „eigenen Außenminister“. Das war deutlich. Deutliche Worte liebt Schröder. Davon wird er an diesem Montagnachmittag gleich mehrere aussprechen. Einer dieser deutlichen Sätze lautet, die Menschen in Deutschland erwarteten „politische Führung.“
Was macht es da schon, wenn Schröder einen bunten Strauß rot-grüner Erfolge präsentiert, vom Atomausstieg spricht, vom künftigen Zuwanderungsgesetz, von der Homoehe. Das hat er in Berlin schon vor der SPD- und Grünen-Fraktion erklärt. Eigentlich wollen Beobachter und Delegierte in Nürnberg nur wissen, wie es mit dieser Koalition weitergeht.
Schröder vergisst natürlich nicht, die eigenen Genossen zu streicheln. Doch Management bedeute eben auch, „es möglichst richtig zu machen“, sagt Schröder. „Das Richtige aber ist in der jetzigen Politik selten das Leichte. Es erfordert auch Mut. Nicht alle haben diesen Mut schon.“ Das ist an die eigene Partei gerichtet, aber eben auch an die Grünen. Dort werde man die Frage beantworten müssen, „ob man sich auf die Wirklichkeit einlässt“ – oder ob „Nostalgie und Verdrängung auf der Tagesordnung stehen sollen“.
So bleibt an diesem Montag die Frage, mit wem Schröder regieren will, wenn es mit den Grünen nicht mehr geht. Mit der Union? „Diesen Leuten darf man Deutschland nicht anvertrauen“, sagt der Kanzler. Mit der PDS? Die hat doch einst „dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan zugestimmt“ – plötzlich ist die Partei, mit der man in Berlin gerade noch geliebäugelt hat, wieder zur SED mutiert. Bleibt also die FDP als einzige Variante, auf die Schröder bauen kann.
Aber ist die SPD schon innerlich darauf eingestellt? Man darf das getrost bezweifeln, wenn man etwa dem früheren Juso-Vorsitzenden Benjamin Mikfeld zuhört. „Wer keine Lösung hat“, ruft er den Delegierten zu, „heißt Westerwelle.“ Da streicht sich Schröder übers Gesicht – und man erkennt auf der großen Leinwand, dass der Kanzler ein wenig gequält dreinschaut. Aber kurz zuvor hatte Schröder selbst von „den Wirtschaftsliberalen“ gesprochen, die ihre Politik nur nach den aktuellen Börsenkursen ausrichten. Dann erwähnt er noch Hamburg und Schill, mit dem die FDP eine Koalition eingegangen ist – und die Delegierten applaudieren.
Schröders Worte wirken, als seien sie genau das: auf Wirkung zielend, auf den Bauch der Partei. Denn wer genau zuhört, der hört ja auch, wie Schröder die Tür zur FDP einen Spalt breit offen lässt. „Da muss sich sehr viel ändern, bis die auf der politischen Bühne wieder die Rolle spielen können“ – und dann erwähnt er alte Liberale wie Walter Scheel oder Hans-Dietrich Genscher.
Schon am Sonntagabend war auf dem traditionellen Presseempfang deutlich geworden, wem das Signal des Parteitages in allererster Linie gilt: den Grünen. Er sei sich sicher, so Schröder vor den Journalisten, dass seine Partei erneut ihren Führungsanspruch unterstreichen werde. Das klang ein wenig nach Koch und Kellner. Und so war es gemeint, auch wenn es niemand so ausdrücken wollte.
Der Bundesgeschäftsführer Matthias Machnig sagte kurz und bündig: „Die Grünen dürfen in Rostock keinen Zweifel aufkommen lassen.“ Eine Trennung der beiden Fragen – Ja zur Vertrauensfrage, Nein zum Einsatz der Bundeswehr – könne es nicht geben. „Beides gehört zusammen.“ Die Grünen müssten eben lernen, dass sie „ihre Sachauseinandersetzungen nicht bei anderen abladen dürfen“, so Machnig.
Doch bei allen Bemühngen, die Schuld allein den Grünen zuzuschieben – den führenden Sozialdemokraten ist klar, wie unruhig auch der eigene Laden auf den Vorstoß der acht grünen Gegner reagiert hatte. „Das hat bei uns natürlich die Schleusen geöffnet“, sagt ein Mitglied des Fraktionsvorstandes. Noch herrscht das Vertrauen vor, die grüne Basis werde sich in Rostock auf die Koalition besinnen.
Wenn nicht, dann ist Schluss, das hat Fraktionschef Peter Struck hinlänglich klar gemacht. Über eine Koalition mit der FDP mag zwar niemand offen reden – aber in der Luft liegt sie in Nürnberg. Das ist spürbar, wenn der Fraktionsvize Michael Müller nach der Kanzler-Rede vor dem Neoliberalismus warnt, oder wenn ein Redner die Delegierten fragt, wie man mit der FDP eine „Zweiklassen-Gesundheitspolitik“ verhindern wolle. Zu unterschiedlich seien, so wird allenthalben kolportiert, die Vorstellungen in der Arbeits- und Sozialpolitik. Zu fern stehe sich auch das führende Personal. In seiner Parteitagsrede bekundet Fraktionschef Struck, er frühstücke „lieber mit Rezzo Schlauch und Kerstin Müller als mit Guido Westerwelle“.
Auch dem Kanzler werden keine großen Neigungen zu Westerwelle und FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt nachgesagt. Seit dem Regierungsantritt vom Herbst 1998 hat sich, auch das ist im politischen Geschäft nicht zu vernachlässigen, ein Vertrauensverhältnis mit grünen Akteuren aufgebaut. Schröder, so heißt es, könne gut mit den drei starken Männern – mit Außenmminister Joschka Fischer, Fraktionschef Rezzo Schlauch und dem Parteichef Fritz Kuhn.
Doch Kumpaneien an der Spitze ersetzen noch lange nicht Überlegungen für die Zeit nach der Bundestagswahl. Auf die Frage, ob es im Herbst 2002 eine Koalition mit der FDP geben werde, gibt ein Landesparteichef die klare Antwort: „Ja.“ Zwar würden die Sozialdemokraten lieber mit den Grünen koalieren, „wenn es reicht und inhaltlich zusammengeht“. Doch sei eben nicht abzusehen, wie sich die Grünen entwickelten.
Wie hatte Schröder am Sonntag vor der Visite der Parteitagshalle gemeint? „Das renkt sich ein.“ Irgendwie wird es das wohl. Zumindest für die nächsten Monate.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen