: Verlegung aus Verlegenheit
Rechtssenat ist umgeschwenkt: Knast auf dem KZ-Gelände Neuengamme verschwindet nun doch endgültig ■ Von Elke Spanner
Jean Le Bris möchte natürlich nicht unhöflich sein. Er äußert trotzdem, dass es eigentlich nicht das Problem der Überlebenden des Konzentrationslagers Neuengamme sei, dass der neue Senat die Pläne für den Knastneubau in Billwerder überarbeiten will. Ob die Zeitzeugen dem Senat dennoch ein halbes Jahr Aufschub für die Umsiedlung der Strafgefangenen von Neuengamme nach Billwerder gewähren wollen, müssten sie nun in Ruhe überlegen. Darum hatte Justizsenator Roger Kusch (CDU) gestern Vertreter der internationalen Lagergemeinschaft „amicale“ gebeten. Im Gegenzug kündigte er an, den Ausbau der Gedenkstätte zu einem Ausstellungs-, Begegnungs- und Studienzentrum zu beschleunigen. Zunächst sollen schon früher als bisher geplant ehemalige SS-Garagen und der damalige KZ-Appell-Platz zum Ort des Gedenkens hergerichtet werden.
Dass das umstrittene Gefängnis vom KZ-Gelände wegverlegt wird, stehe aber außer Frage, beteuerte Kusch, der zusammen mit Interims-Kultursenator Rudolf Lange (FDP) und den VertreterInnen der amicale gestern früh die Gedenkstätte besichtigte. In den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, Schill und FDP war die Sprachregelung noch eine andere gewesen. Da hatten die Regierenden zunächst beschlossen, das Gefängnis in Neuengamme weiterzubetreiben – und damit die Pläne zum Ausbau der Gedenkstätte insgesamt angefochten.
Jetzt aber sollen nicht diese, sondern die Pläne für den Knast-Neubau in Billwerder überarbeitet werden. Das sei nötig, weil diese noch vom rot-grünen Senat stammen und „unsere Vorstellungen vom Strafvollzug etwas andere sind“. Sollte die amicale den geänderten Zeitplan ablehnen, bleibe es beim von der Bürgerschaft am 5. September beschlossenen Konzept.
Der Präsident der amicale, Robert Pincon, hätte gerne eine „Garantie für diese Garantie“. Detlef Garbe, Leiter der Gedenkstätte, schätzt die Entwicklung insgesamt zwar „sehr positiv“ ein. Es müsse aber geprüft werden, ob die in Aussicht gestellte Vorverlegung des Gedenkstättenausbaus personell und konzeptionell überhaupt möglich ist: „Ausstellungen erfordern nicht nur Baumaßnahmen, sondern müssen auch inhaltlich gefüllt werden.“ Daniel Ayzensztejn vom Zentralrat der Juden in Deutschalnd will sicher gehen können, dass „wir nicht in ein paar Monaten wieder hier sitzen und über Änderungen beraten müssen“.
Jean Le Bris erzürnt, dass das nun überhaupt ein weiteres Mal erforderlich geworden ist. Als die KZ-Überlebenden 1945 endlich in Freiheit waren, erzählt er, mussten sie den Familien ihrer ermorderten Freunde mitteilen, dass diese nie mehr nach Hause kommen würden. Am 5. September dieses Jahres dann hatte die amicale endlich den Überlebenden weltweit mitgeteilt, dass der Ort ihres damaligen Leidens zu einer würdigen Gedenkstätte werde. Und nun, so Le Bris gestern, „müssen wir wieder vor die Familien treten und sagen, dass wir noch weiter warten müssen“.
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