: Manches im Nachhinein doppelsinnig
■ TU-Professor über die Diplomarbeit des Studenten Mohammed el Amir, alias Atta
180 Erstkontakte mit Journalis-ten habe er seit dem 11. September gehabt, berichtet TU-Sprecher Rüdiger Bendlin: „Das rechnen Sie mal vier, dann haben sie die Zahl der Gespräche.“ Doch das Interesse der Weltpresse lässt auch zehn Wochen nach dem Attentat nicht nach. Nach den News-Magazinen kommen die Dokumentatoren.
Noch in der Nacht zum 12. September wurde klar, das sieben Personen, die die Polizei wegen des Attentats vernehmen wollte, der TU angehörten. Einer ist seit 1997 exmatrikuliert, zwei waren unauffällig, ein vierter offenbar unschuldig, ein fünfter, Said Bahaji, steckbrieflich gesucht. Nummer sechs und sieben, Marwan Al-Shehhi und Atta, flogen die Maschinen.
Gestern fand sich Stadtentwicklungsprofessor Dittmar Machule bereit, Journalisten aus aller Welt von seiner Beziehung zu Mohammed Atta alias el Amir zu erzählen. Er war wohl schon fasziniert von dem jungen Ägypter, der sich „bewusst nicht an die westliche Kultur anpasste“ und zugleich „kein Zeichen von Antiamerikanismus oder Antizionismus“ zeigte. „Ich dachte, wenn dieser junge Mann zurückgeht, kann er fähig sein, mit Fundamentalisten zu diskutieren, weil er glaubwürdig ist.“ Es sei wohl nicht das „beste Gefühl“ gewesen. Nie zuvor sei seine Offenheit so miss-braucht worden.
Alle zwei Wochen traf der Stadtplaner mit Atta zusammen, um über dessen Diplomarbeit zu reden. Mit der Zeit, „ich kann nicht sagen wann“, sei dieser ernster geworden. Er habe „big problems“ mit seiner Familie, habe er erzählt, auch lächelte er nicht mehr. Dinge, die auch der Assistentin auffielen, die die Arbeit Korrektur las: „Zuletzt wurde er ärgerlich, sagte, er wolle nicht mehr mit mir diskutieren.“
Frauen die Hand zu geben lehnte er als Moslem sowieso ab. Aber auf eine „höfliche Art“, wie sein Mentor berichtet. Die Diplomarbeit, deren zwei Exemplare der Professor nicht aus der Hand gibt, um sich mögliche Klagen um Urheberrechte zu ersparen, zeuge vom einem Geist, der dem Attentat diametral widerspreche. Machule: „Es entspricht seiner Intelligenz, dass er sich diese Symbolik aussuchte. Aber es passt nicht zu seinen vorherigen Ansätzen.“
Am Beispiel der syrischen Stadt Aleppo hatte el Amir untersucht, wie stadtplanerische Qualitäten von früher mit der Moderne verbunden werden können. Machule: „Das war geprägt von konstruktivem Entwicklungswillen, nicht von Zerstörung.“ Das von ihm untersuchte Viertel Aleppos leidet unter Verfall und steigenden Verkehr. Arbeit für kleine Händler fehlt ebenso wie Spielflächen und Grün. El Amir plädierte für den „Werterhalt“ der Häuser, erfasste auch soziale Probleme. So stören heute bis zu sechs Stockwerke hohe Wohnblocks die Intimität der umliegenden arabischen Häuser mit den traditionell geschützten Höfen. Neben Verkehrsplänen und Gewerbe zirkelte Atta auf einer Karte die Aussicht der hohen Bauten nach. Ob er daher eine Abneigung gegen Hochhäuser habe, fragt ein Reporter. Machule: „Nein, darüber haben wir nie gesprochen.“
Mit Note 1,7 bestand der auf traurige Weise berühmt gewordene TU-Student 1999 die Arbeit. Knochentrocken und „nicht angreifbar“ seien seine Sätze. Nur manche im Nachhinnein doppelsinnig, sagt Machule. Einzig negativ sei ihm der Plan einer traditionellenen Ladenzeile aufgefallen. Machule: „Ich habe ihm gesagt, du kannst nicht mittelalterliche Strukturen neu installieren.“ Kaija Kutter
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