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Der Beifahrer steuert

Klaus Wowereit gewinnt Sympathien und Wahlen. Die Koalition aber formt ein anderer: Peter Strieder. Niemand weiß besser, wie Berlin funktioniert

Die Arbeitsteilung: Wowereit präsentiert seinen Freund, Strieder die Essentials

von ROBIN ALEXANDER

Der Mann, den manche für Berlins einflussreichsten Politiker halten, lebt auf einem halben Quadratmeter. Dort ist Peter Strieder allerdings sehr gut organisiert. In einem Netz vor seinen Knien baumeln griffbereit ein aufgerissenes Tütchen Fisherman’s Friends mit Zitronengeschmack ohne Zucker gegen die Heiserkeit des Redners, ein blauer Labello-Stift gegen die aufgeplatzten Lippen des Gestressten und drei Wegwerf-Feuerzeuge gegen das Rauchen-Abgewöhnen. Links neben Peter Strieder liegt der aktuelle Pressespiegel für die Person von öffentlichem Interesse, davor ein Autotelefon für den Kommunikator. Fünfzig Zentimeter zwischen lederner Rückenlehne und Vordersitz. Sechzehn Stunden am Tag ist Peter Strieder in diesem Dienstwagen auf Achse, erzählt er, und sein Fahrer beschreibt, was er steuert, so: „Wohn-, Ess- und Schlafzimmer gleichzeitig. Fehlt nur noch die Nasszelle.“

Der dunkle Audi A6 stoppt vor dem Abgeordnetenhaus, um Strieder abzuholen. Dort feilschen an diesem Vormittag Vertreter von SPD, Grünen und FDP, wie viele Parkplätze es bald in der Innenstadt geben soll. Strieder, der Vorsitzende der Berliner SPD, führt zurzeit Koalitionsverhandlungen. Wie er das Wort „führen“ versteht, hat er den fünfzehn Mitgliedern der Arbeitsgruppe Verkehr an diesem Morgen schon deutlich gemacht. „Als es mir zu bunt wurde, habe ich die Sitzung unterbrochen: So geht das nicht, meine Herren!“ Solch eine „kleine Explosion“, meint Strieder, sei manchmal notwendig, „aus pädagogischen Gründen“. Die Grünen kämen mit „zu viel Ideologie“, die Liberalen hätten hingegen „zu wenig Erfahrung“. Gott sei Dank liegt der „politische Führungsauftrag bei der SPD“. Und der Chef der Berliner SPD ist Peter Strieder. Und es sollen besser erst gar keine Illusionen aufkommen, Peter Strieder „verwechselt Führung nicht mit Moderation“.

Kein Zweifel: Diese Tage, in denen in der Hauptstadt um Sparpläne und Politkonzepte, um Pfründe und Posten gestritten wird – das sind die Tage des Peter Strieder. Bis zum Wahlabend richteten sich die Kameras noch auf jemand anderen: Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister, SPD-Spitzenkandidat, Deutschlands Vorzeige-Homosexueller. Ein Medienliebling und schließlich auch ein Wahlsieger. Aber jetzt, nachdem die Wahl gewonnen ist, steht wieder Strieder im Mittelpunkt des politischen Geschehens. Strieder muss man ansprechen, will man eine Forderung preisgeben, um eine andere durchzusetzen, wie Rexrodts junge Truppe von der FDP rasch gemerkt hat. Mit Strieder muss man sich anlegen, gar Teile seines Ressorts beanspruchen, um sich eine blutige Abfuhr abzuholen, wie die Grünen zu Beginn der Verhandlungen schmerzhaft gelernt haben. Das ist zurzeit die Arbeitsteilung in der SPD: Wowereit präsentiert seinen Freund auf der Aidshilfe-Gala. Strieder präsentiert „Essentials“, die nicht verhandelbar sind.

Dass seine Zeit nach der Wahl kommen werde, wusste Strieder lange. Den quälenden Wahlkampf hat er genutzt wie ein Training. Viele Veranstaltungen, aber kein einziges Bier danach. Gelaufen ist er – meistens zwischen vier und fünf am Nachmittag, manchmal zu den unmöglichsten Tag- und Nachtzeiten – oft am Ufer des Landwehrkanals bis tief nach Treptow hinein. Strieder hat um Stimmen für Klaus Wowereit geworben. Und um Respekt für sich selbst. Den hat er lange entbehrt: In der öffentlichen Meinung und besonders in der eigenen Partei galt Strieder als einer, der im Sturm zuerst die eigenen Schäfchen ins Trockene bringt.

Vielen Genossen ist der Vorsitzende einmal zu oft nach oben gefallen. Als Bezirksbürgermeister stolzierte er Anfang der Neunziger als „das Kreuzberger Lebensgefühl selbst“ in Jeans und offenem Hemd durch den alternativen Bezirk. Den holten bei der nächsten Wahl die Grünen. Strieder stieg zum Senator auf. Die SPD versuchte sich in den folgenden Jahren zum ersten Mal ernstlich an der Sanierung des Berliner Haushalts mit Annette Fugmann-Heesing, einer aus Hessen angeworbenen Finanzsenatorin. Aber die alteingesessenen CDU-Granden manövrierten die Sparsenatorin und die SPD geschickt ins Abseits. Die nächste Wahlpleite folgte. Um erneute Regierungsbeteiligung verhandelte federführend Peter Strieder. Resultat: weiter große Koalition. Keine Sparpolitik unter SPD-Verantwortung mehr. Und Senator Strieder stieg wieder auf – zum „Super-Senator“. Er leitet seit 1999 die Ressorts Stadtentwicklung, Verkehr, Bauen und Umwelt. Klingt nicht spektakulär, bedeutet aber, viel Geld verteilen zu können und viele Entscheidungen zu treffen, von denen viele Menschen betroffen sind. Viel Macht also.

Das Autotelefon klingelt, Strieder nimmt das Gespräch genervt entgegen und grinst sofort, als er einen Namen hört: Harry Potter. Ein riesiges Plakat des Kinderhelden sollte an einem Hochhaus am Alexanderplatz installiert werden. Im Bauamt war die Aktion jedoch verboten worden. Da machte Strieder von seinem „Eingriffsrecht“ als Senator Gebrauch. Strieder rettet Harry Potter, lautete an diesem Morgen die Schlagzeile. Ein Coup. Noch nicht voll verstanden hat das die Anruferin, Strieders Sprecherin aus der Senatsverwaltung: „Hätte man das nicht auch ohne eine so deutliche Intervention lösen können, Peter?“, fragt sie. „Wenn einem ein Elfmeter geboten wird“, antwortet Strieder, „dann muss man ihn auch verwandeln.“

Man kann in Berlin mit einer Menge Leute reden, die einem eine Menge Schlechtes über Peter Strieder berichten. Eines aber erzählen selbst ärgste Feinde nicht: Strieder wäre unprofessionell. Wenn Politik heißt, die Zeichen der Zeit zu erkennen und umzusetzen, dann ist Strieder ein guter Politiker. Ein Macher, der nicht nur für sich selbst schafft. Strieders Leute haben das „Planwerk Innenstadt“ vorgelegt, einen kühnen Masterplan, um Ost und West zu verbinden, damit ein echtes Zentrum entsteht. Strieder hat diese Vision durchgesetzt und sich dafür von begeisterten Kommentatoren als großer Baumeister feiern und von entsetzten Kritikern als antimoderne Abrissbirne beschimpfen lassen.

Doch bei aller Freude an folgenreichen Entscheidungen, bei allem Spaß am Dienstwagen – Peter Strieder will noch mehr. Diesmal Dinge, die man nicht in Koalitionsverhandlungen herausschlagen kann. Respekt. Anerkennung. Ehrliche Wertschätzung. Dafür war er im Frühling diesen Jahres bereit, etwas zu tun, was ihm schwer fiel: Strieder verzichtete auf eine Kandidatur für das Amt des Regierenden Bürgermeister zugunsten des beliebteren Klaus Wowereit. Seitdem wirkt Strieder wie befreit, der oft jungenhaft-spitzbübig grinst und seit seiner Frühjahrs-Diät noch jugendlicher aussieht.

Und ist er nicht auch sonst Sozialdemokrat aus ganzem Herzen? Wohnt mit seiner Frau, der SPD-Funktionärin Monika Buttgereit und seinen Söhnen Moritz und Jakob seit zwanzig Jahren in der Stresemannstraße. Als er die mauernahe Wohnung bezog, lag sie noch mitten in der Subversion – in Kreuzberg. Heute ist dort Regierungsviertel. Aus Strieders Küchenfenster blickt man auf das neu errichtete Willy-Brandt-Haus, die Parteizentrale der Bundes-SPD. Laut ist der Altbau trotzdem geblieben. Strieder, der „selbst auf einem humanistischen Gymnasium mit Altgriechisch und Latein traktiert“ wurde, glaubt nicht nur wie viele Genossen an Chancengleichheit durch Schulformen, er schickt auch die eigenen Söhne hin. Moritz und Jakob besuchen kein Internat, keine Privatschule, nicht einmal ein Gymnasium, sondern die Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule – in Kreuzberg.

„Lebensmodell Kreuzberg“ also, wie das eine Freundin Strieders nennt, und nicht „Lebensmodell Dienstwagen“? Vielleicht. Und vielleicht macht ihn gerade Kreuzberg, diese letzte noch nicht gebrochene Identität des alten Westberlins, so blind für das, was seine SPD mit ihrer Ampelkoalition gerade anzurichten droht. Die eigentliche Wahlsiegerin, die PDS, bleibt außen vor. Das wäre nicht weiter schlimm, würden sich mit der neuerlichen Ausgrenzung der SED-Nachfolgepartei nicht eineinhalb Millionen Menschen in Ostberlin ausgegrenzt fühlen, von denen die meisten nicht PDS gewählt haben, es aber vielleicht beim nächsten Mal schon tun. Strieder war zwar für Rot-Rot – wie alle maßgeblichen Sozialdemokraten in Berlin. Die ultimative Ansage aus der Umgebung des Kanzlers – keine Koalition mit einer Partei, die nicht Krieg in Afghanistan führen will – hat am entscheidenden Montag nicht Strieder, sondern Wowereit erhalten. Aber auch Strieder ist Profi genug, sich dem Willen des Mächtigeren zu fügen, obwohl alle, mit denen er arbeitet, die Berliner PDS für „politikfähiger“ halten als Grüne und FDP, obwohl seine Frau für Rot-Rot ist und seine Söhne gegen den Krieg. Obwohl Strieder selbst zugibt, wenig Sinn darin zu finden, „Ruinen zu bombardieren“. Die Haltung der Berliner Sozialdemokratie beschreibt ein Bonmot des Fraktionschefs Michael Müller: „Jetzt habe ich schon so oft erklärt, warum die Ampel besser für Berlin als Rot-Rot ist, dass ich es schon beinahe selbst glaube.“

Das alles muss doch belohnt werden! Nicht nur der selbstlose Verzicht auf die Spitzenkandidatur, der den Wahlsieg erst möglich machte. Auch die schmerzhafte Entscheidung wider Wissen und Gewissen, die großen Aufgaben in Berlin mit kleinen Partnern anzugehen, nur damit Gerhard Schröder sich die Debatte um den Krieg vom Leib halten kann!

Am vergangenen Dienstag hätte so ein Tag sein können. Dienstwagen und Koalitionsverhandlungen ruhen, Strieder ist nach Nürnberg geflogen. Auf dem Bundesparteitag der SPD will er sich feiern lassen; die Lorbeeren ernten für Gehorsam und Verzicht: einen Platz im Vorstand der SPD einnehmen. Es gibt Absprachen mit mächtigen Landesfürsten aus dem Westen, aber die haben ein anderes Kaliber als die kleinen Schacherer in den Berliner Koalitionsverhandlungen. Am Ende bekommt Strieder nur 97 von 523 Stimmen, unterirdische 18,5 Prozent. Und der Saal lacht auch noch! Ein anderer Politiker aus Berlin, Wolfgang Thierse, wird mit 90 Prozent und herzlichem Beifall gewählt. Thierse erklärt Gratulanten: „Die Partei mag Leute, die nicht brav und unterwürfig sind.“

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