: Erst die Moral, dann das Fressen
In der Rezession sollen die Verbraucher die Wirtschaft retten. Doch weltweit wehren sich heute Aktivisten gegen den Konsum als Allheilmittel
von BERNHARD PÖTTER
Das Schwein ist riesig. Es füllt ganz Nordamerika auf der Landkarte. Und es rülpst vollgefressen. Die Stimme im Hintergrund erläutert: „Ein durchschnittlicher Amerikaner verbraucht fünfmal mehr als ein Mexikaner, zehnmal mehr als ein Chinese, 30mal mehr als ein Inder. Wir sind die gefräßigsten Konsumenten der Welt – einer Welt, die aufgrund unseres Lebensstils untergehen könnte.“ Nach dem Fressen kommt dann die Moral: „Machen Sie ein Pause. Am 23.November ist Buy-Nothing-Day.“
Diese Aufforderung zum symbolischen Konsumverzicht werden kaum Amerikaner sehen. Denn nur CNN sendet diese Polemik der kanadisch-amerikanischen Organisation „Adbusters“ gegen den american way of life. Wie schon in den letzten Jahren haben andere Fernsehstationen den Spot abgelehnt – weil er gegen die „aktuelle ökonomische Politik der USA verstößt“, begründet CBS. Das ist in diesem Jahr noch wahrer als sonst. Denn seit die Terroranschläge von New York und Washington, die die ohnehin schwächelnde Konjunktur in den USA auf Rezessionskurs geschickt haben, gilt der private Konsum als Rettungsanker für die Wirtschaft. Doch die Rettung der Konjunktur durch ausgabenfreudige KonsumentInnen ist nicht in Sicht – in Krisenzeiten sparen die Amerikaner. So ging im Oktober der private Konsum um 1,8 Prozent zurück und auch die Indizes für Verbrauchervertrauen und Einkaufsmanager drehten ins Minus. Die Rückgang der privaten Haushalte war der stärkste seit 1987.
An der Schaufensterfront
Für die Adbusters-Aktivisten sind diese Zahlen dennoch kein Grund, den Krieg gegen den Terror an der Schaufensterfront zu führen. „Bush und Blair sagen, kauft wie ihr noch nie gekauft habt, als ob ihr nicht schon jetzt bis über beide Ohren verschuldet seid“, heißt es im Buy-Nothing-Day-Aufruf (BND). Den Bürgern werde eingeredet: „Shoppen Sie, weil Ihr Land es braucht!“. Das aber ist Unsinn, sagt Kalle Lasn, Anzeigenfachmann und Erfinder von Adbusters, der taz. „Das mag kurzfristig der Wirtschaft ein bisschen helfen. Auf lange Sicht führt der Überkonsum der Industriestaaten in die Katastrophe.“
Ihren Frontalangriff auf die Konsumgesellschaft zelebrieren die Adbusters seit 1992. Über ein Magazin und das Internet (www.adbusters.org) rufen sie zu fantasievollem Gegenterror auf. An den jährlichen Kauf-nichts-Tagen, die immer zu Beginn der Weihnachtszeit ausgerufen werden, verweigern nach Schätzungen der Organisatoren etwa eine Million Menschen in 55 Ländern bewusst ihren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Mit Zahlen belegbar sind diese Aktionen nicht , schon deshalb, weil auch die überzeugtesten Aktivisten im Zweifel am nächsten Tag ihre Weihnachtsgeschenke kaufen – es sei denn, sie laden sich von der Adbuster-Homepage einen „Kein Geschenk-Gutschein“ herunter und verabreden so mit ihren Freunden, dem Kaufrausch zu entgehen. In den Shopping Malls der USA und Kanadas, aber auch in Europa oder Asien eröffnen sie einen „Kein Laden“, in dem es nichts zu kaufen gibt. Sie bieten Hilfe an, wenn Kunden ihre Kreditkarten vernichten wollen, „Überflussdoktoren“ behandeln Menschen, die unter Kaufwut leiden.
Seit 1998 wird der Kauf-nichts-Tag auch in Deutschland gefeiert. Denn auch hier ist der private Konsum die heilige Kuh von Wirtschaftspolitikern aller Parteien. Seit Jahren versuchen Wissenschaftler, etwa vom Wuppertal Institut, ein Modell für den Konsum zu propagieren, der auch noch unseren Kindern und Enkeln mehr übrig lässt als Abfälle. Die Theorien für eine ressourcenschonende und effizientere Wirtschaftsweise, die den aktuellen Lebensstandard bei einem Viertel oder sogar nur bei einem Zehntel des Energie- und Materialeinsatzes garantiert, liegen vor. Doch in der Realität leben weiter alle aus dem vollen (siehe Kasten). „Strikte Konsumverweigerung ist nicht zielführend“, sagt Andreas Burger vom Umweltbundesamt. „Das Einkommen ist ja da“. Vielmehr müsse das Bewusstsein geweckt werden, dass Konsum in seiner jetzigen Form die Umwelt schädige: „Die Leute wollen Mobilität und nicht unbedingt ein Auto, und sie wollen ein warmes Haus und nicht unbedingt heizen.“ Man müsse die Konsumenten dazu bringen, „bei der Kaufentscheidung Umweltaspekte zu berücksichtigen.“
Wunsch und Wirklichkeit
Glaubt man den Konsumenten, wollen sie das auch. In der repräsentativen Umfrage „Umweltbewusstsein 2000“ des Bundesumweltministeriums erklärt die Mehrheit der Befragten, sie benutzten wiederaufladbare Batterien, kauften Recycling-Klopapier und Gemüse nach der Saison, duschten lieber statt zu baden und drehten die Heizung runter, wenn sie die Wohnung verlassen. Doch so ganz trauen die Meinungsforscher ihren Umfragen nicht. Es ergebe sich ein „ambivalentes Bild“: „Die Mehrheit kauft selten oder nie Getränke in Dosen, aber es werden natürlich dennoch weiterhin Getränke in Dosen konsumiert.“ Zu deutsch: Ganz so umweltbewusst wie in den Umfragen sind die Konsumenten nicht.
Die Adbusters bleiben nicht bei der bloßen Konsumkritik. Gerade nach den Terroranschlägen fragen sie, wie sinnvoll die gängigen Indikatoren für Wachstum und Wohlstand sind. Lasn hat einen eigenen „Index für wirklichen Fortschritt“ entwickelt, der die ökonomischen Aspekte des umweltzerstörerischen Wachstums berücksichtigt. „Dieser Index geht seit fünfzehn Jahren zurück“, sagt Lasn. „In Wirklichkeit schrumpft unsere Wirtschaft also.“
Das aber wolle niemand hören. Der „ökonomische Patriotismus in den USA“ ziele ja darauf, das Bruttoinlandsprodukt wieder zu heben. „Nach dieser Logik“, schreiben die Adbusters in ihrem Aufruf, „war es eine gute Sache, dass die Flugzeuge in die Twin Towers gekracht sind. Denn auch dieses Unglück führtdazu, dass Milliarden Dollar für Verteidigung, Gesundheitsversorgung und die Aufräumarbeiten ausgegeben werden und somit das BIP anheben.“
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