„Erinnerung blankpolieren“

Für sein Gedenkprojekt zur Erinnerung an die Deportationen während der NS-Zeit werden in der Hauptstadt „Stolpersteine“ verlegt: Ein Gespräch mit dem Berliner Künstler Gunter Demnig

von AMIN FARZENAFAR

taz: Herr Demnig, wie sind Sie auf die Idee gekommen, mit Steinen auf den Fußwegen die NS-Vergangenheit zu dokumentieren?

Gunter Demnig: Die ersten Spuren, die ich gelegt habe – von der Kasseler Kunstakademie zum Centre Pompidou in Paris, dann von der Kunstakademie zur Tate Gallery in London, und von der documenta zur Biennale – haben sich mehr mit der Kunstausbildung an Akademien befasst.

Das Projekt in Köln hat sich 1992 aus der Zusammenarbeit mit dem „Rom e.V.“ ergeben. Es ging da um die Erinnerung an die erste Kölner Deportation, von 1.000 Roma und Sinti im Jahr 1940. Es ist nicht so einfach, 1.000 Menschen auf einmal wegzubringen, das heißt: LKWs, Eisenbahn auch Unterkünfte – alles muss irgendwo koordiniert worden sein. Damals habe ich dementsprechend eine Schriftspur entlang der Transport- und Deportationsstrecke gelegt, die später an einigen Stellen in Metall verlegt wurde. Dabei hat mich eine ältere Dame angesprochen, in der Südstadt, und meinte „Ja gut, ist ja toll, was Sie hier machen, aber bei uns im Viertel haben doch niemals Zigeuner gewohnt“. Als ich ihr dann meine Liste gezeigt habe, ist ihr das Kinn runtergefallen. Sie hat anscheinend wirklich nicht gewusst, dass ihre Nachbarn Zigeuner oder Juden gewesen waren. Das war die Geburtsstunde der Idee, Steine vor jene Häuser zu legen, wo eben die Betroffenen als ganz normale Nachbarn gewohnt haben.

Der Ansatz, Gedenken in den Alltag zu integrieren, ist im Diskurs um Monumente selten. Wie hat sich diese „dezente“ Herangehensweise entwickelt?

Für mich war ein dezentrales Mahnmal wichtig, weil ich gemerkt habe, dass man zentrale Mahnmale sehr schnell links liegen lassen kann. Dann kam noch ein Aspekt hinzu: das KZ war die finale Vernichtungsmaschine, angefangen hat das Grauen aber bereits im Alltag, in den Häusern, wo die Menschen abgeholt wurden.

Was für eine Bedeutung hat das Material, aus dem die Stolpersteine gemacht sind?

Messing ist zwar sehr schön, aber es oxidiert, wenn es draußen liegt, und diese Oxydschicht ist wieder ein Schutz; wenn es viel begangen wird, wird es blankgerieben, und zwar blankgerieben durch die Passanten, die dadurch die Erinnerung immer wieder wachhalten – blankpolieren eben. Grundsätzlich geht es mir um unauffällige Eingriffe: Messingblech ist relativ preiswert, den Beton kann man ganz vergessen. Es bleibt letztendlich die handwerkliche Arbeit, die drin ist: Ich denke, dass dem Betrachter klar wird, wie sehr jeder einzelne Stein ein Unikat ist, der das Gedenken an einen Menschen zeigt.

Sie machen diese Gedenkarbeiten schon seit 92. Gab es in der Zeit Probleme, mit Behörden etwa, oder auch konkret mit Anwohnern, Hausbesitzern oder der rechten Szene?

Eine Sinti-Großmutter meinte empört, dass selbst eine Frau, die mit einem Rock drüberläuft, den Namen verunglimpfen würde; deshalb habe ich am Anfang überlegt, alles anonym zu machen, das heißt: „hier wohnte ein Rom oder eine Romni , ein Sinto, eine Sintessa, ein Homosexueller, ein politisch Verfolgter“. Aber letztendlich waren doch die Namen wichtig, denn es waren ja tatsächlich Mitbürger, von denen man nicht unbedingt wusste, welcher Minderheit sie angehörten, was für eine politische Meinung sie hatten.

Wie sieht es mit der Rückendeckung seitens der Behörden aus?

Das ganze Genehmigungsverfahren in Köln hat etwa drei Jahre gedauert: Erst in den Kunstbeirat, dann in den Kulturausschuss – von dort in die Bezirke, ins Tiefbauamt und das Amt für Straßen- und Verkehrtechnik, in die Stadtplanung, den Haushaltsausschuss, und zum Schluss in den Rat der Stadt. Anderswo geht das inzwischen einfacher. In Berlin-Kreuzberg hat sich die Bezirksvollversammlung das angesehen und gesagt: „wir wollen 2.000 Steine haben“; daraufhin musste sich das Tiefbauamt der Sache annehmen. Und in kleineren Gemeinden ist das noch einfacher: in Wermelskirchen hat sich einfach der Bürgermeister der Sache angenommen; jetzt gibt es noch eine Anhörung, und dann werden dort 12 Steine verlegt werden.

Dabei geht der Anstoß nicht selten von jüngeren Leuten aus?

Ich war mehrere Male eingeladen, dieses Projekt auch in Schulen vorzustellen, zum Teil vor 11-13jährigen. Ich muss sagen, ich war erstaunt über die Kenntnis, über die Vorbereitung und über das Engagement, das diese Schüler entwickelt haben. Ablehnung ernte ich eher bei Älteren, aber die Jüngeren sind sehr interessiert und wollen wissen, wie daspassieren konnte.

Wie weit ist das Projekt in Berlin vorangekommen?

Hier habe ich die Bezirke Kreuzberg und Friedrichshain. Da die zusammen gelegt sind, und weil ich von Mitte die Genehmigung habe, habe ich Wedding und Tiergarten mit drin, also das Zentrum. Und es gibt schon Fühler nach Wilmersdorf und nach Prenzlauer Berg.

Die Berliner sind allerdings etwas skeptischer, es kommt auch auf die Menge an: Wenn genug Steine liegen, und die Leute anfangen, darüber zu stolpern, in jeder Straße und immer wieder neu, dann fangen sie auch an, darüber nachzudenken.

Ein Ziel ist es, die Steine europaweit zu verlegen: der Wiedererkennungeffekt, wenn jemand nach Ungarn fährt, nach Budapest, und dann immer wieder auf die Steine trifft . . . Das wird natürlich dauern, aber die Anfänge sind gemacht, die Kontakte nach Budapest, nach Mailand, nach Antwerpen, Amsterdam sind da – bei Paris warte ich noch.

Für all das braucht es eine enorme Vorrecherche. Wie sieht hier die Zusammenarbeit mit Gedenkstätten und Archiven aus?

Die Quellenlage ist sehr unterschiedlich. In Köln ist es relativ einfach durch das NS-Dokumentationszentrum, das LD-Haus, dort ist inzwischen praktisch alles gespeichert, 16.000 Namen, abrufbar nach Straßen wie nach Namen. Andererseits ist in Kassel schon in den 50er-Jahren ein Buch erschienen, in dem alles sehr akribisch aufgearbeitet wurde – auch die zum Teil vier Wohnadressen, die die Leute hatten in dieser Zeit, womit auch die soziale Niederstufung dokumentiert wird. Für Berlin gibt es inzwischen ein Archiv, das ich einfach benutzen kann, die Namen sind auch zugängig. Wenn möglich überlasse ich diese Forschung Historikern. Interessanterweise ergeben sich manchmal aber auch Korrekturen durch mein Projekt, weil sich aufgrund des Steineverlegens dann Zeitzeugen melden, die wirklich genau dokumentieren können, wann jemand abgeholt wurde, und wann er umgebracht worden ist.