: „Ich will nicht nur gut sein“
von KATHARINA KOUFENund BERNHARD PÖTTER
Frau Künast, wozu braucht es einen Parteitag der Bündnisgrünen? Nach der Entscheidung im Bundestag kann die Partei nicht mehr hinter die Zustimmung der Fraktion zurück.
Demokratie funktioniert nicht so. Der Parteitag ist dazu da, die Zukunft zu organisieren und zu sagen, was unsere Grundsätze sind und wie es weitergeht mit Rot-Grün. Jedem grünen Parteimitglied geht es so wie 90 Prozent der Bevölkerung, Krieg und Terrorismus beschäftigen uns, und das wird noch lange ein Ringen und Abwägen sein.
Da ist es hilfreich, dass der Kanzler die grüne Basis schon auf Linie gebracht hat.
Der Kanzler hat die rote Basis auf Linie gebracht.
Aber auch Ihre Mitglieder.
Ein Kanzler hat immer eine herausragende Rolle, sein Wort lässt sich nicht negieren. Aber es ging um etwa anderes: Man kann in einer solchen Frage nicht ohne eigene Mehrheit agieren. Das ist naiv. Man kann sich an dieser Stelle nicht aus einer klaren Verantwortung stehlen. Alle wissen, worüber sie abstimmen.
Gesetzt den Fall, der Parteitag votiert gegen den Einsatz, was ist die Konsequenz?
Wenn die Basis den Akteuren auf der Bundesebene einen gegenteiligen Beschluss entgegensetzt, müssen sie daraus die Konsequenz ziehen. Aber diesen Gegensatz wird es nicht geben. Man beendet nicht eine Koalition mit Blick auf etwas, was man nicht beeinflussen kann. Zumal wenn wir in dieser Koalition den Neuanfang in Afghanistan organisieren wollen.
Was können Sie denn entscheiden?
Unser Einfluss ist in der Frage, wie man internationales Vorgehen beeinflussen kann, nicht immens groß. Und erst recht nicht in der Frage, was die USA tun. Dennoch muss man alles daransetzen, die USA einzubinden und ein multilaterales Vorgehen zu organisieren.
Das klingt hilflos.
Wir können und müssen entscheiden, was wir tun bei der Versorgung in der Nach-Taliban-Zeit und bei der Bekämpfung des Hungers und beim Aufbau demokratischer, transparenter Strukturen. Für mich ist die Entscheidung klar. Ich will die Welt verändern und nicht nur gut sein.
Die Grünen sind offiziell immer noch eine Partei der Gewaltfreiheit. Was bedeutet das, wenn man Kriegseinsätzen zustimmt?
Das ist das Primat der zivilen Lösung und der Politik. Wir haben im Berliner Landesverband vor vielen Jahren das Thema Gewaltfreiheit diskutiert. Christian Ströbele habe ich erstmals erlebt mit dem Satz „Waffen für El Salvador“. Daran sieht man, dass Gewaltfreiheit eine differenzierte Antwort braucht. Es ist unser Prinzip, und wir dürfen nicht die Nerven verlieren, sondern müssen sagen: Wer, wenn nicht wir, sorgt dafür, dass die Bereitstellung der Bundeswehr präzise eingeschränkt wird und zu den militärischen Wegen andere und neue aufgemacht werden? Das muss bei der Frage beginnen, wie wir die UNO stärken können, und setzt sich fort bei der Frage, wie Krisenprävention heute organisiert wird. Man kann Gewaltfreiheit nicht diskutieren wie die alte blöde Frage, mit der die Kriegsdienstverweigerer konfrontiert wurden: Ihre Freundin wird angegriffen, würden Sie dann auch Nein sagen?
Was ist also Ihre Sicht von Gewaltfreiheit?
Das Prinzip Gewaltfreiheit heißt hier, Strukturen für eine gewaltfreie Welt und gewaltfreie Konfliktlösungen zu schaffen. Und dafür muss man internationale Organisationen stärken, die Menschen in den Ländern unterstützen, demokratische Strukturen aufbauen. Der Satz, es gebe keine grüne Außenpolitik, sondern nur eine deutsche, überzeugt mich nicht: Das genau ist nämlich grüne Außenpolitik.
Also „gewaltfrei“ heißt nicht immer „ohne Gewalt“. Muss darüber die Partei nicht ganz neu diskutieren?
„Gewaltfrei“ heißt schon immer „ohne Gewalt“. Aber selbst in unserem Alltag ist Notwehr und ein Festnahmerecht verankert, und das ist auch richtig so. Sonst könnte man auch die Polizei nicht rechtfertigen. Die Frage hat weniger mit Gewaltfreiheit zu tun als mit der Frage von Militäreinsätzen, vor allem unter Beteiligung der USA. Das ist für jeden eine Überwindung. Ich hatte das auch, in Form von drei Tagen Rückenschmerzen. Aber ich würde schlecht schlafen, wenn ich jetzt nur passiv bliebe.
Den Satz vom Primat der Gewaltfreiheit könnte so auch die CSU unterschreiben.
Mag sein, dass sie es unterschreibt. Aber die konkrete Politik war diametral entgegengesetzt.
Es bleibt dabei, dass die beiden Kriegseinsätze der Bundeswehr unter Rot-Grün beschlossen worden sind.
Haben wir uns aus Boshaftigkeit entschlossen, einen bestimmten Einsatz zu machen? Es hat ein Problem gegeben. Den Tod von tausenden Menschen in New York haben andere verursacht. Das war doch ein Angriff auf unsere Art, zu leben. Die UN sagt, terroristische Strukturen stellen eine Gefahr für den Weltfrieden dar. 80 Millionen Deutsche und die darin enthaltenen Grünen-Wähler haben ein Recht darauf, dass wir Sicherheit herstellen und sicherstellen, dass sich so etwas nicht wiederholt.
Wird es eine Rollenverteilung geben auf dem Parteitag: Fischer für die Bomben, Sie für das Brot?
Ich grenze mich nicht von Joschka Fischer ab. Bei der Frage „Brot“ haben wir seine Unterstützung, bei der Frage „demokratischer Aufbau“ spielt Fischer eine entscheidende Rolle, sonst würde es das Treffen in Bonn gar nicht geben. In der Afghanistan-Politik und selbst bei der WTO merken die Entwicklungsländer, wie Deutschland und die EU Politik machen. Da ist unser Ruf besser, als ich zu glauben wagte.
Was wollen Sie in Afghanistan tun?
Man muss dort und anderswo über die Akutversorgung hinaus die Menschen befähigen, sich selbst zu ernähren. Das heißt Zugang zu Saatgut. Dazu wollen wir einen bilateralen Fonds bei der FAO bilden, aus dem wir diese Maßnahmen finanzieren. Am Morgen der Vertrauensabstimmung saßen wir mit dem Generalsekretär der FAO, Jacques Diouf, zusammen und haben darüber gesprochen. Derzeit haben wir zwei Projekte vor, eines in Afghanistan und das andere im Gaza-Streifen.
Afghanistan ist durch drei Jahre Dürre und zwanzig Jahre Krieg verwüstet. Wie soll die Hilfe dort wirken?
Da geht es um Starthilfe. Das Essen muss nicht nur vom Himmel fallen, sondern wieder aus dem Boden wachsen. Zuerst muss die Versorgung aufgebaut werden, aber die Leute müssen auf diese Weise auch Hilfe und Perspektive bekommen. Wir wollen das mit mehreren Millionen Mark unterstützen.
Sie verbinden den Kampf gegen den Hunger mit dem Kampf gegen den Terrorismus. Ist der Terrorismus für Sie eine Folge des Hungers?
Dafür gibt es sicherlich mehrere Ursachen, eine ist die Politik gegenüber der islamischen Welt und gegenüber den Taliban, wo Fehler gemacht wurden. Aber Hunger und Perspektivlosigkeit schaffen die nächsten Krisen und treiben Menschen in die Arme der Terroristen. Hunger führt dazu, dass sich ein Land nicht wirklich entwickeln kann. Wohlstand gibt es sonst nur für Eliten. Wer Hunger hat, geht nicht in die Schule. Wir setzen uns dafür ein, dass auf FAO-Ebene das Abkommen „Right to Food“ verabschiedet wird. Erste Pflicht jeder Regierung ist es, Ressourcen zur Ernährung der Bevölkerung einzusetzen.
Bei der internationalen Agrarpolitik widersprechen Sie Ihrer Kollegin, der Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wiezcorek-Zeul: Sie will die Agrarmärkte hier für Importe öffnen, das bringt den Entwicklungsländern etwa 40 Milliarden Dollar, so viel wie die Entwicklungshilfe aller Industriestaaten. Warum halten Sie das nicht für sinnvoll?
Natürlich müssen wir unseren Markt öffnen, der Markt allein regelt so etwas aber nicht. Die Marktöffnung führt vor allem dazu, dass Sie Absatzmöglichkeiten für die großen Konzerne schaffen, die für unterbezahlte Arbeitsplätze sorgen und sich am Ende nur um ihre Profite kümmern. Der größte Teil der Wertschöpfung bleibt in den Industrieländern und nicht im Süden.
Trotzdem errichten Sie zum Beispiel mit dem Ökosiegel neue Barrieren für den Import aus diesen Ländern.
Entwicklung des ländlichen Raums und Umwelt- oder Verbraucherschutzstandards sind nicht nur Barrieren, sondern auch Chancen. Immer mehr Staaten erkennen, dass sie sich selber entwicklen müssen und sich nicht nur für den Export öffnen müssen. Was haben wir denn gewonnen, wenn ärmere Regionen versuchen, mit umweltzerstörenden Produktionsweisen einen schnellen Dollar zu machen, und anschließend auf unbezahlbaren Schäden sitzen bleiben? Nichts! 70 Prozent der mehr als 800 Millionen Hungernden auf der Welt leben im ländlichen Raum, die müssen in die Lage versetzt werden, sich selbst zu ernähren.
Aber die Entwicklungsländer müssen unsere Standards einhalten, wenn sie das Ökosiegel wollen.
Wollen Sie mich ernsthaft fragen, ob ich hier zu hohe Ansprüche ansetze? Soll ich sagen, damit die Entwicklungsländer keine allzu großen Anstrengungen machen müssen, senke ich die Standards mit allen Umweltfolgen, die das hätte?
Wenn Sie die Zölle hier abbauen, werden die Konzerne in den Entwicklungsländern ihre Produkte hierher exportieren und nicht die heimische Bevölkerung versorgen. Außerdem setzen Sie dann die europäischen Bauern gegenüber billigen Importen noch weiter unter Preisdruck. Das können Sie mit der Agrarwende aber nicht wollen.
Wir zahlen Steuern für die Menge der Produktion. Dieses System ist falsch. Deshalb sage ich: Runter mit den Exportsubventionen, weg von der Bezahlung von Masse hin zur Bezahlung von Leistungen wie Umweltschutzaufgaben. Das trifft sich bestens mit dem Interesse der Entwicklungsländer, in der Preiskonkurrenz mitzumachen.
Aber wenn noch billigere Importe in die Läden kommen, wird das das Niveau weiter senken: Niemand kann doch kontrollieren, unter welchen Bedingungen die billigen Äpfel aus Chile produziert werden.
Unterschätzen Sie nicht die Interessen des Lebensmitteleinzelhandels. Er hat jetzt ein Problem am Beispiel Fleisch: Sie sehen, was es bringt, wenn man sich nicht um durchgehende Kennzeichnung kümmert. Ich würde gern eine Kampagne fahren wie „Made in Germany“. Das muss man neu definieren. Es muss heißen: Das Produkt ist in Ordnung, was Schadstoffbelastung und Tierschutz angeht und hinsichtlich der Folgekosten. Dafür gibt es einen Markt weit über Europa hinaus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen