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Der terroristische Ausländer

Beim Terrorismusbekämpfungsgesetz wird mit zweierlei Maß gemessen. Während die Deutschen von Geheimdiensten relativ unbehelligt bleiben, werden nichtdeutsche MitbürgerInnen dem informationellen Zugriff der Geheimdienste ausgesetzt sein

von THILO WEICHERT

Wussten Sie, dass Ausländer extremistischer, krimineller und terroristischer sind als Deutsche? Diese neue politische Erkenntnis kann man zumindest dem Terrorismusbekämpfungsgesetz entnehmen, auf das sich das Bundesministerium des Innern und die bündnisgrüne Bundestagsfraktion geeinigt haben. Das Gesetz wurde am 7. November vom Bundeskabinett verabschiedet, befindet sich nun als Regierungs- und Koalitionsentwurf im Gesetzgebungsverfahren und soll am 1. Januar 2002 in Kraft treten.

Der rot-grüne Gesetzentwurf hat zwei Teile: Der eine trifft die gesamte Bevölkerung bzw. die deutschen Staatsbürger. Hierüber wurde schon viel in den Medien diskutiert, und die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen konnte dem Ministerium des Innern kleine rechtsstaatliche Zugeständnisse abhandeln: hier eine Befristung (bei Geheimdienstbefugnissen), da einen Gesetzesvorbehalt (bei Pass und Personalausweis) und dort eine Einschränkung (bei den Vorfeldbefugnissen des Bundeskriminalamts).

Der zweite, erheblich umfangreichere Teil des Terror-Pakets betrifft ausschließlich AusländerInnen. Vergleicht man diese Passagen im ersten Ministeriumsentwurf vom 5. Oktober mit dem rot-grünen „Kompromiss“ vom 7. November, so muss man feststellen, das kaum etwas geändert wurde. Ausländer haben keine Lobby in der Politik. Jeder grüne Versuch, bei Schily eine Modifikation zu erreichen, wurde von vornherein abgeblockt.

Dabei bleibt der Entwurf inkonsequent. Er kann sich nicht entscheiden, ob ausländische EU-Bürger ein Risiko darstellen wie die so genannten Drittstaatler, oder ob sie als harmlos zu behandeln sind wie die Deutschen. Zu Letzterem würde das Recht der Europäischen Union zwingen. Und so hat man sich im Ausländer-Vereinsrecht für eine Gleichstellung von EG-Bürgern und Deutschen entschieden. Bei allen anderen Regelungen dagegen werden EU-Bürger wie die sonstigen Ausländer behandelt.

Die Konsequenzen der geplanten Regelungen sind absehbar: Nach älteren Zahlen war bisher die Beobachtungsdichte des Bundesamts für Verfassungsschutz bei AusländerInnen schon 20-mal höher als bei Deutschen. Dieser Multiplikator soll künftig weiter gesteigert werden. Während wir Deutsche von Polizei und Geheimdiensten noch relativ unbehelligt bleiben, werden nichtdeutsche MitbürgerInnen deren informationellem Zugriff ausgesetzt sein. Die gesellschaftlichen Konsequenzen sind zu erahnen: Bei der ausländischen Bevölkerung werden sich Angst, Abwehr und Aggression zumindest in Bezug auf Polizei und Geheimdienste verbreiten, bei den Deutschen wird die Distanzierung zunehmen. Deutsche ohne diese Distanz von Ausländern, die sich für Befreiungsbewegungen im Ausland und für humane Behandlung im Innern einsetzen, werden mit erfasst und mit ausgegrenzt. Es droht ein Klima, in dem sich terroristische Anschläge gegen Ausländer und von Ausländern vortrefflich entwickeln können.

Der Versuch, den nichtdeutschen Teil der deutschen Bevölkerung in den informationellen Griff zu bekommen, ist der untaugliche Versuch der Sicherheitsbürokratie, diesen Bevölkerungsteil besser kennen zu lernen. Es darf bezweifelt werden, dass eine Ausforschung mit diesen geheimdienstlichen Mitteln erfolgreich sein wird. Es muss unterstellt werden, dass sich die politisch Handelnden der dargestellten Logiken kaum bewusst sind. Bündnis 90/Die Grünen hätten sonst diesem „Kompromiss“ selbst mit einem schlechten Gewissen nicht zugestimmt. Und auch der SPD dürfte die gesetzesimmanente Ausländerdiskriminierung bisher nicht aufgefallen sein. Diese ist in dem Entwurf auch virtuos in Gesetzesverweisen, Sicherheitsversprechen und Grundrechtsbeteuerungen versteckt. Verantwortlich für die Vorschläge sind die Apparate der Dienste und der Ausländerverwaltungen, deren Personal noch weitgehend aus anderen Regierungszeiten stammt und denen die eigenen Kompetenzen näher sind als das Grundgesetz oder die Vorstellung einer multikulturellen, weltoffenen Gesellschaft. Da genau diese Apparate die Gesetze anwenden werden, gibt es keinen Grund zur Beschwichtigung.

Sehenden Auges handelt das Ministerium von Schily, dem es weniger um neue Kompetenzen noch um Rücksichtnahmen für unsere ausländischen Mitbürger geht. Ihm geht es vor allem um die symbolische Kraft der Gesetzgebung mit dem Ziel: Die Opposition darf im Bereich der Sicherheitspolitik keinen Zollbreit Boden unter die Füße bekommen. Das Zusammenspiel all dieser Kräfte ist fatal: Zunächst nur rechtlich, gibt es künftig auch bei Grundrechten, die Deutschen wie Nichtdeutschen gleichermaßen zustehen, zwei Klassen: gute Deutsche und gefährliche Ausländer. Dem Recht werden die Verwaltungspraxis und die politische Ideologie folgen.

Wie wollen wir den Staatsangehörigen arabischer Staaten oder den Anhängern des Islam klar machen, wir verteidigten Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegen den Terrorismus, wenn wir vor allem ihnen genau diese Errungenschaften unserer bürgerlichen Revolutionen vorenthalten? Wenn wir nicht bereit sind, bei jedem Menschen – egal welchen Glaubens, welcher Herkunft und welcher Staatsangehörigkeit – von der Unschuldsvermutung auszugehen, solange es keine konkreten Verdachtsmomente einer Schuld gibt, müssen wir uns nicht wundern, dass auch wir Deutsche kollektiv als schuldig in die Pflicht genommen werden. Die Erwartung der Ausländer, von unserem Rechtssystem grundsätzlich als Unschuldige behandelt zu werden, nicht unter Generalverdacht gestellt oder gar als potenzielle Terroristen betrachtet zu werden, ist berechtigt.

Die ersten Anzeichen der neuen Politik mussten wir schon bei den aktuellen Maßnahmen zur Rasterfahndung erleben. Der „Schläfer“ wird beschrieben als der junge islamistische Mann arabischer Herkunft, der sich dadurch auszeichnet, bisher auch nicht durch kleine Vergehen aufgefallen zu sein. Es ist schon verblüffend, dass eine Überwachungslogik so viel Akzeptanz findet, deren Grundannahme darin besteht, dass gerade der Nichtverdächtige verdächtig ist. Einzige unabdingbare weitere Voraussetzung ist, dass es sich um Ausländer handeln muss.

Doch sollten wir Deutschen uns nicht zu früh beruhigt zurücklehnen, als ginge uns das nichts an. Schily hat mit seinem Gesetzentwurf schon den weiteren Weg beschrieben: Zuerst kommt der neuer Biometrie-Pass für die AusländerInnen, dann der für die Deutschen. Erst werden vom beamteten Verfassungsschutz die Flüchtlinge erfasst, dann auch wir. Erst erfolgt der Zugriff der Dienste auf das Ausländerzentralregister, dann auf unsere Melde-, Bank- oder Reisedaten. Wir sollten uns nicht in Sicherheit wiegen, weil der letzte terroristische Anschlag ausschließlich von Ausländern begangen wurde. Sämtliche Spuren des Anthrax-Terrors in den USA weisen derzeit auf einen US-Bürger hin. Haben wir die Überwachungsregelungen gegen die Ausländer ohne Widerstand hingenommen, so gibt es keinen Grund zum Widerstand, wenn der nächste terroristische Anschlag von einem Deutschen begangen wird und wir dann alle ins Visier der Dienste geraten.

Gegen rechtsstaatliche Ermittlungen wegen einer Terrorismusgefahr oder einer solchen Straftat ist nichts einzuwenden, wenn ein konkreter Anfangsverdacht oder tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, unabhängig davon, ob der Verdächtige einen ausländischen Pass hat oder nicht. Sämtliche bisher gewonnenen Erkenntnisse über die Terroristen vom 11. September basieren auf dem akribischen Abarbeiten von Spuren und Verdachten. Hier müssen die gesamten Energien und personellen und technischen Ressourcen unserer Sicherheitsbehörden konzentriert werden, statt sie mit Maßnahmen zu verschleudern, die nicht nur rechtsstaatlich fraglich sind und Teile der Bevölkerung diskriminieren, sondern zugleich keine Aussicht auf Erfolg haben.

Dr. Thilo Weichert hat die deutsche Staatsangehörigkeit und ist Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e. V. sowie stellv. Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein.

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