: Redet mit den Amis!
Krieg gegen den Terror: Die Widersprüche zwischen der Politik der USA und Europas spiegeln tief verwurzelte Gegensätze wider. Aber diese Gegensätze sind veränderbar
Wer auf Seiten der deutschen Linken die Kriegführung der USA im weltweiten Feldzug gegen den Terrorismus kritisiert, praktiziert Antiamerikanismus. So das Totschlagargument von Regierungsseite, das allerdings eine ironische Pointe aufweist. Denn es gibt keine politische Strömung in Deutschland seit den Sechzigerjahren, die derart von den progressiven Traditionen der amerikanischen politischen Kultur bestimmt worden wäre wie ebendiese neue deutsche Linke. Das gilt für den Antiautoritarismus, für die Feier von Basisdemokratie und Zivilgesellschaft, nicht zuletzt auch dafür, dass die Außenpolitik der demokratischen Staaten universalistischen Prinzipien folgen sollte.
Die Kritik an Imperialismus und Hegemonialpolitik der USA speiste sich eben nicht nur aus den marxistischen Quellen, sondern auch aus der freiheitlichen Lebenspraxis jenseits des Atlantiks und aus den politischen Doktrinen, die aus ihr erwuchsen. Erst haben die demokratischen Denker in den USA von den europäischen Meisterphilosophen gelernt, jetzt lernen wir von der amerikanischen demokratisch-pragmatischen Tradition. Grob gesprochen könnte man sagen: Politisch motivierte Kritik an den USA ist links, kulturelle ist rechts, vor allem wenn sie im zerschlissenen Gewand der Verteidigung der europäischen Kultur gegen die Ami-Barbaren daherkommt.
Es ist daher notwendig, politische Auseinandersetzungen über die Globalpolitik der Vereinigten Staaten unter der Bush-Administration nicht im Zeichen einer kulturellen Blockbildung USA kontra Europa zu führen, sondern im engen Verbund mit der amerikanischen demokratischen Linken. Das gilt auch dann, wenn diese sich gegenwärtig so schwach artikuliert wie in Gestalt des Philosophen Richard Rorty, der die zivilisatorische Mission des Afghanistankriegs betont. Denn die Widersprüche zwischen der gegenwärtigen Politik der USA und Europas spiegeln zwar tief verwurzelte Gegensätze in der politischen Kultur wider und drücken auch unterschiedliche politische und ökonomische Interessen aus. Aber Gegensätze und Interessen sind veränderbar – von innen wie von außen, wie die Nachkriegsgeschichte lehrt.
Als Erstes muss man diese Widersprüche allerdings zur Kenntnis nehmen. Offensichtlich wächst bei der Bush-Administration die Tendenz zum Unilateralismus, vor allem bei militärischen Aktionen. Natürlich sind die USA am 11. September angegriffen worden und bestehen auf dem Recht zur Selbstverteidigung, das ihnen die UN-Charta einräumt. Aber bei den nachfolgenden strategischen Planungen und Militäraktionen sind (nicht nur) den europäischen Verbündeten Blankoschecks abverlangt worden, die sie praktisch jeder effektiven Mitsprache berauben. Die konkreten Kriegsziele wechseln oder bleiben geheim. Daher gibt es auch keine Übereinkunft, wie der Krieg politisch beendet werden soll, wie der Politik als Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln zum Erfolg verholfen werden soll. Und kraft welcher Politik zu verhindern ist, dass eine neue Generation von Terroristen nachwächst, kaum dass die heutigen Terrortrupps zerschlagen sind.
Die Haltung der politischen Öffentlichkeit innerhalb der Europäischen Union wird zunehmend beeinflusst durch die Vorstellung eines künftig universell gültigen, humanitär orientierten Rechtssystems – durch Kriegsprävention, sprich: Ursachenbekämpfung, durch ökonomische und politische Integration, durch internationale Regime in immer weiteren Politikbereichen, durch die Einschränkung der je nationalen Souveränität zugunsten eines künftigen Weltbürgerrechts. Jürgen Habermas spricht in diesem Zusammenhang von einem europäischen „Projekt der durchgreifenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, das die Parameter der Machtpolitik schon heute verändert“.
Ob es sich nun um den Internationalen Strafgerichtshof handelt, um die Abschaffung der Todesstrafe, um die Verbindlichkeit internationaler Standards beim Klimaschutz, um die Stärkung der Vereinten Nationen als Instrument der Krisenbewältigung – wir konstatieren eine durchgehende Linie in der Politik der USA, an den Parametern der Machtpolitik festzuhalten, sich der Tendenz zur Verrechtlichung der internationalen Beziehungen zu verweigern. Es erscheint deshalb vollkommen sinnlos, „Alarmismus in den transatlantischen Beziehungen“ zu tadeln, wie der deutsche außenpolitische Planer Achim Schmillen es tut, und gesundbeterisch darauf hinzuweisen, dass auch künftig „konvertierende Tendenzen stärker sein werden als divergierende“ (Positionspapier, taz v. 12. 7. 2001).
Auch der Hinweis, die USA verfolgten in ihrer Außenpolitik immerhin auch menschenrechtliche Ziele, vermag diesen grundsätzlich unterschiedlichen Blick auf die Staatenbeziehungen nicht zu modifizieren. Konnte man noch während des Kosovo-Konflikts der Meinung sein, die EU und insbesondere der deutsche Außenminister fungierten als Reparaturkolonne, die den Konflikt wieder auf die UN-Schiene gesetzt hat, so verbieten sich jetzt solche „Ende gut, alles gut“-Maximen. Gerade im rot-grünen Milieu wird massiv Selbstbeschwichtigung praktiziert, wenn es heißt, jetzt, nach dem Sieg über die Taliban, schlage die Stunde der friedlichen Konfliktlösung und des Neuaufbaus in Afghanistan, kämen all die schönen Projekte zum Zuge, die Rot-Grün noch in die gemeinsame Fraktionsresolution der letzten Woche hineingeschrieben hat. Da keine europäische Regierung und schon gar nicht die deutsche den Fortgang des Kriegsgeschehens kennt, fehlt konstruktiven Frieden schaffenden Projekten die Grundlage: der Frieden.
Könnte Joschka Fischer, könnten die Staatsleute der EU anders, wenn sie nur wollten? Sind sie aus politischen wie psychologischen Gründen dazu verurteilt, weiter Vasallentreue zu spielen? Wie sollen die EU-Außenpolitiker denn als selbstständige Kraft agieren? Sie haben während der Jugoslawienkriege durch Tatenlosigkeit und innere Zwietracht die USA zur einzigen Kraft gemacht, die Mord und Totschlag beendete. Sie haben die Katastrophe von Srebrenica nicht verhindert und es abschließend verabsäumt, mehr als kosmetische Korrekturen vorzunehmen. Gerade nach Nürnberg und Rostock bedarf es deshalb einer öffentlichen Debatte über eine „Wende der Wegzeichen“, die Einfluss nimmt auf die institutionalisierte europäische Politik. Einer Debatte, die Antwort gibt auf die Frage, die hinter der terroristischen Drohung steht.
Welchen Weg wollen wir in den Staatenbeziehungen, vor allem im Verhältnis des Nordens zum Süden, gehen? Kooperieren oder niederhalten? Herrschaft des Rechts oder menschenrechtlich verbrämte Machtpolitik? Können wir uns in Europa eine solche Debatte „leisten“, um die Redeweise unseres Bundeskanzlers aufzunehmen? Unbedingt, vor allem, wenn wir sie gemeinsam mit der demokratischen Linken der Vereinigten Staaten führen. CHRISTIAN SEMLER
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