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Müller will Auszeit für Klimaschutz

Der Wirtschaftsminister gegen den Rest von Rot-Grün: Sein „Energiebericht“ warnt, Klimaschutz sei teuer und koste Jobs. Deutschland habe viel erreicht und solle keine Alleingänge unternehmen. Regierungsfraktionen wollen Bericht ignorieren

von BERNHARD PÖTTER

Im Klimaschutz sollte sich Deutschland auf seinen Lorbeeren ausruhen. Denn die Bundesrepublik ist zwar Vorreiter bei der Reduzierung von Klimagasen, gefährdet aber durch weitere Maßnahmen Arbeitsplätze und seine Wirtschaftsentwicklung. Das ist der Tenor des seit Monaten umstrittenen Energieberichts, den Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) heute präsentiert. Der Report „Nachhaltige Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung“, der der taz bereits vorliegt, widerspricht den Beschlüssen der rot-grünen Fraktionen zum Klimaschutz. Deshalb lehnen sie ihn ab.

Im Oktober 2000 hatte das Bundeskabinett das „nationale Klimaschutzprogramm“ beschlossen, um das Ziel von 25 Prozent weniger Treibhausgasen bis 2005 zu sichern. Müller dagegen ließ zwei Szenarien durchrechnen: Eines schreibt die gegenwärtigen Trends fort, das zweite geht von einer Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent im Jahre 2020 aus.

Für die rot-grüne Fraktion, die Enquetekommission des Bundestages und den Nachhaltigkeitsrat wäre Letzteres nach den 25 Prozent bis 2005 der nächste Schritt beim Klimaschutz. Müller sieht es aber „in erheblichem Widerspruch zu den Zielen der Versorgungssicherheit und der Wirtschaftlichkeit“. Das Ziel habe „gravierende negative Rückwirkungen auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung“ und bedeute den „weitgehenden Abschied von der Nutzung der heimischen Kohlequellen“. Wenn Deutschland für den Klimaschutz keine Mitstreiter finde, so der Minister, entstehe „die Gefahr, dass Vorreiter zu Einzelgängern werden“.

Müller unterlegt seine Warnung mit Zahlen. Zwar erreiche das Weiter-so-Szenario für 2020 nur eine Reduzierung des deutschen CO2-Aussstoßes um 16 Prozent und damit weit weniger als die schon für 2005 angestrebten 25 Prozent. Doch gebe es dabei „problemlose strukturelle Anpassungen“ und „keine ökonomischen Brüche“, da bislang bereits 15 Prozent erreicht worden seien. Das ehrgeizigere Ziel von 40 Prozent werde dagegen teuer: Von 2000 bis 2020 kämen 500 Milliarden Mark Mehrkosten auf das Land zu, das seien 3.000 Mark pro Haushalt. Beim Kohlebergbau drohe ein „erheblicher Beschäftigungsabbau“, für energieintensive Wirtschaftszweige die „Gefahr der Standortverlagerung“. Komme es gar zu einem nationalen Alleingang, sei der „mit noch höheren Kosten verbunden“ und „ökonomisch unverträglich und umweltpolitisch ineffizient“.

„Das ist ein Weltuntergangs-Szenario“, heißt es dazu aus der Regierung. Bereits vor einigen Monaten war der erste Entwurf des Berichts vom Kanzleramt an Müller zurückverwiesen worden – zur Nachbesserung, weil er faktische Fehler enthalten und die neuesten Ergebnisse von Ökosteuer und Klimaschutzprogramm nicht berücksichtigt habe. Auch die anderen Ressorts betonen, der Bericht sei Müllers Diskussionsbeitrag und nicht etwa Position der Regierung. „Dieser Bericht wird kein Kabinettsbeschluss werden“, ist sich der umweltpolitische Sprecher der grünen Fraktion, Reinhard Loske, sicher. Aus der SPD-Fraktion stöhnt der umweltpolitische Sprecher Michael Müller: „Der Bericht ist schwer zu verkraften“. Es gebe aber „so viele Berichte“. Deshalb dürfe man diesen nicht überbewerten. „Er formuliert nicht das, was ich unter Energiepolitik verstehe.“ „Das ist eine Bewerbung für einen Posten beim Stromkonzern Eon“, sagt die grüne Energiesprecherin Michaele Hustedt. Müller spiele Atomausstieg und Klimaschutz gegeneinander aus, weil die AKWs bei ihm durch Kohlekraftwerke ersetzt würden, was Klimaschutz verhindere. „Müller übersieht, dass Klimaschutz keine grüne Marotte ist, sondern auch von der UNO gefordert wird, um Fluchtursachen zu bekämpfen“, so Hustedt. Zudem verschweige der Minister, dass die Klimaschutzpolitik der Regierung 200.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffe.

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