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Bürger unter Generalverdacht

von CHRISTIAN RATH

166 Seiten hat die jüngste Version des Sicherheitspakets II, über das am Freitag im Innenausschuss des Bundestages sowie im Bundesrat abschließend beraten werden soll. Mit dem „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ genannten Gesetzesbündel aus dem Hause Schily sollen die deutschen Sicherheitsgesetze der „neuen Bedrohungslage“ seit den Ereignissen vom 11. September „angepasst“ werden.

Das Paket ist Ausdruck eines neuen staatlichen Misstrauens, das sich vornehmlich gegen Nichtdeutsche richtet. Aber auch die deutsche Bevölkerung gerät unter einen Generalverdacht. Um diesen Verdacht zu schöpfen, zu formulieren und ihm nachzugehen, hat Bundesinnenminister Otto Schily im Haushalt des kommenden Jahres 2.320 neue Stellen bei Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz, Bundesgrenzschutz und Bundesamt für die Sicherheit der Informationstechnik eingerichtet. 700 Millionen Mark zusätzlich fließen ab jetzt jährlich in den Sicherheitsapparat. Im Folgenden die sieben zentralen Punkte des Pakets:

Der Verfassungsschutz darf Unternehmen befragen: Erstmals werden private Unternehmen zur generellen Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz (VS) verpflichtet. So darf der VS von Banken Auskunft über Konten, Inhaber und Geldbewegungen anfordern. Auch Fluglinien, Postdienstleister und Telekommunikationsunternehmen sollen Auskünfte geben. Letztere müssen den Geheimdienst auf Anfrage etwa darüber informieren, wie lange, mit wem, auf welchem Wege ein Kunde telefoniert oder gemailt hat. Diese Auskunftspflicht kann der VS jedoch nicht gerichtlich oder polizeilich durchsetzen.

Nach dem Regierungsentwurf kann der VS die Daten der Privatunternehmen nur nutzen, wenn es um die Verhinderung von Angriffskriegen, Spionage sowie Angriffen gegen die Völkerverständigung und auswärtige deutsche Belange geht. Die Bundesländer wollen die neuen Möglichkeiten jedoch auf den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Innern, also die Haupttätigkeit des VS, erweitern.

Über die VS-Zusammenarbeit mit Banken und Fluglinien muss das Innenministerium künftig halbjährlich dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Bundestags Bericht erstatten. Auf Drängen der Grünen gilt für die VS-Zusammenarbeit mit Postdienstleistern und Telekom-Unternehmen eine intensivere parlamentarische Kontrolle: Da hier das Postgeheimnis eingeschränkt wird, ist eine monatliche Unterrichtung der vom PKG eingesetzten unabhängigen vierköpfigen G-10-Kommission vorgesehen. Die G-10-Kommission kann Maßnahmen, die sie für „unzulässig oder nicht notwendig“ hält, verhindern. Diese intensivere Kontrolle will der Bundesrat allerdings noch wegverhandeln.

Die Änderung des Verfassungsschutzgesetzes ist auf fünf Jahre beschränkt. Auch diese Befristung hält der Bundesrat für überflüssig.

Das Bundeskriminalamt darf gegen Unverdächtige ermitteln: Die größten Proteste gab es ursprünglich gegen Schilys Plan, dem Bundeskriminalamt (BKA) die Befugnis zu „Initiativermittlungen“ einzuräumen. Damit sollte auch gegen unverdächtige Bürger ermittelt werden können, um festzustellen, ob diese nicht doch verdächtig sind. Nachdem Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Richterbund protestierten, wurde diese Bestimmung wieder gestrichen – allerdings nicht ersatzlos. Anders als von den Grünen nach ihren Verhandlungen mit Schily behauptet, ist die Initiativermittlungskompetenz nicht vom Tisch.

Jetzt heißt es: Das BKA kann im Rahmen seiner Aufgaben „Daten zur Ergänzung vorhandener Sachverhalte oder sonst zu Zwecken der Auswertung“ erheben. Wie in der Begründung zum Regierungsentwurf eingeräumt wird, geht es dabei nach wie vor um Ermittlungen im Vorfeld eines konkreten Tatverdachts.

Neu ist die BKA-Kompetenz zu solchen Vorfeldermittlungen freilich nicht. Jetzt entfällt jedoch der bislang geforderte Umweg über die Landespolizeien.

Sicherheitsüberprüfungen werden ausgeweitet: Um Sabotageakte durch „Innentäter“ zu verhindern, sollen bei vielen Infrastruktureinrichtungen die Mitarbeiter, die an „sicherheitsempfindlichen Stellen“ arbeiten, eine Sicherheitsüberprüfung über sich ergehen lassen. Überprüft werden dabei auch ihre jeweiligen „Lebensgefährten“.

Welche Bereiche des Wirtschaftslebens konkret als „lebens- oder verteidigungswichtige Einrichtungen“ erfasst werden, kann die Bundesregierung per Verordnung festlegen. In der Begründung zum Gesetzentwurf ist aber bereits die Rede von Energie- und Wasserversorgern, Krankenhäusern, Pharmafirmen, Telekom- und Postdienstleistern, Banken und Rundfunk. Für Beschäftigte im Militär, bei Fluglinien und in Atomkraftwerken gibt es bereits heute Rechtsgrundlagen für derartige Sicherheitsüberprüfungen.

In die Sicherheitsüberprüfung wird nicht zuletzt der Verfassungsschutz eingeschaltet. Liegen dort Erkenntnisse gegen einen Stellenbewerber vor, so kann dieser nicht eingestellt werden. Zwar wird der Betroffene zuvor noch angehört, die Quellen und Vorwürfe des VS müssen dabei aber nicht unbedingt offen gelegt werden.

Auch die Neuregelungen zur Sicherheitsüberprüfung sollen auf 5 Jahre befristet werden.

Biometrische Merkmale in Pass und Personalausweis: Eigentlich wollte Otto Schily durch Rechtsverordnung bestimmen können, dass künftig der Fingerabdruck und andere biometrische Merkmale (etwa Hand- oder Gesichtsgeometrie) in Pass und Personalausweis aufgenommen werden. Hier haben aber die Grünen durchgesetzt, dass eine derartige Änderung der Passgestaltung nur per Gesetz des Bundestages bestimmt wird. Ein solches Gesetz ist derzeit aber nicht geplant, so dass noch gar nichts passiert ist.

Die Einführung biometrischer Merkmale in den Personalpapieren ist aus zwei Gründen umstritten. Soweit sie die Fälschung von Ausweispapieren verhindern soll, müssten alle Polizeidienststellen mit entsprechenden Lesegeräten ausgestattet werden. Das aber ist sehr teuer. Deshalb wird vermutet, dass es Schily eher darum geht, eine Totalerfassung von Fingerabdrücken und Gesichtern der deutschen Bevölkerung durchzuführen. Würden diese dann in einer zentralen Datei gespeichert, könnten sie leicht mit Tatortspuren oder Bildern aus einer Videoüberwachung verglichen werden. Datenschützer lehnen eine solche Zentraldatei ab, weil dann jeder Deutsche seine Unschuld beweisen muss, falls er irgendwann an einem Tatort eine Spur hinterlassen hat.

Für Ausländer werden bereits jetzt Ausweispapiere mit biometrischen Merkmalen eingeführt. Die Daten werden zentral gespeichert.

Der Verfassungsschutz bekommt Asyl- und Ausländerdaten: Ausländerämter und das Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen (BAFl) müssen künftig von sich aus Daten über ihre Klientel an den VS weitergeben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Geheimdienst diese Daten brauchen kann. Eine derartige Bringpflicht bestand für das BAFl bisher nur eingeschränkt, für die Ausländerämter gar nicht. Mit der Neuregelung will sich Schily einen Überblick über die Potenziale „gewaltbereiter islamistischer Organisationen“ in Deutschland verschaffen.

Die Weitergabe von Informationen aus dem Asylverfahren ist besonders problematisch, weil der VS auch die Möglichkeit hat, diese an ausländische Staaten weiterzugeben, „wenn schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen“. Welche „schutzwürdige Interessen“ ein Islamist heutzutage noch hat, entscheidet dann der VS. Es steht zu befürchten, dass Flüchtlinge, die für umstrittene Organisationen gearbeitet haben, nicht mehr offen über die Hintergründe ihrer Flucht sprechen und damit ihre Anerkennungsschancen mindern.

Sozialdaten gehen an die Rasterfahndung: Bisher durften Daten, die die Sozialbehörden gespeichert haben, nur im Einzelfall an die Polizei oder andere Sicherheitsbehörden weitergegeben werden. Der Regierungsentwurf sieht vor, dass für eine Rasterfahndung nun auch die Herausgabe von großen Datenbeständen möglich ist.

Als extremistisch bezeichnete Ausländer werden ausgewiesen: Die heftigsten Auswirkungen wird das Sicherheitspaket II auf radikale Ausländer haben. Wer sich an politischen Gewalttätigkeiten beteiligt hat oder mit Gewalt droht, kann in Deutschland kein Aufenthaltsrecht bekommen und wird, wenn er schon eines hat, ausgewiesen. Dasselbe gilt für Ausländer, die eine Organisation unterstützen, die wiederum den internationalen Terrorismus unterstützt. Was als „internationaler Terrorismus“ gilt, wird im Gesetz allerdings nicht definiert und dürfte von den jeweiligen außenpolitischen Interessen Deutschlands abhängen.

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hat seine Unterstützung für den Regierungsentwurf unter anderen davon abhängig gemacht, dass er erlaubt, alle Anhänger des islamistischen Kalifen von Köln aus Deutschland zu entfernen. Der Regierungsplan erleichtert dies zumindest. Stoiber will, dass Ausländer schon beim bloßen „Verdacht“, dass sie Terroristen unterstützen, ausgewiesen werden. Zunächst hatte das auch Schily vorgesehen, gab dann aber den Grünen nach. Nach bisherigem Recht kann wohl nur der Kalif selbst ausgewiesen werden, weil er bereits zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.

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