: Im Namen der Quote: Freispruch
Bei den meisten Justizshows im deutschen Fernsehen ist jetzt auch das halbwegs authentische Prozess-Nachspielen passé: Laiendarsteller improvisieren beim Paragrafenballett. Nur die beurlaubten RichterInnen sind komischerweise immer noch echt
von HEIKO DILK
Richterin Barbara Salesch befindet sich zurzeit im Urlaub. Ebenso wie der Sat.1-Kollege Alexander Hold oder die Konkurrenz von RTL, Jugendrichterin Ruth Herz. Alle drei – Beamtenstatus sei Dank – nutzen ihre freie Zeit, um dem Fernsehzuschauer das deutsche Rechtssystem näher zu bringen. Genau wie beim ZDF Zivilrichter Guido Neumann im „Streit um drei“. Der ist allerdings – ganz ZDF-konform – schon im Ruhestand.
Doch abgesehen von den echten Richtern stimmt nicht viel bei den Courtshows: Fällen wie „Der Porno-Dreh“ oder „Angefixt“ dient die Realität nur als Steinbruch der Möglichkeiten – und vor den Schranken des Gerichts erscheinen Laiendarsteller. „Die Leute werden kurz gebrieft und können dann mehr oder weniger frei agieren“, sagt RTL-Sprecher Markus Jodl. Eingegriffen würde nur bei wirklich gravierenden Patzern: „So wirkt die Show lebendiger.“
Und ein wenig Krawall ist ja nicht schlecht für die Quote. Außerdem haben Salesch & Co. Normaltalkern wie Schäfer oder Türck Entscheidendes voraus: Sie sind Experten und Autorität qua Amt. „Die Grundfrage nach Recht und Unrecht ist immer interessant, wie auch die Wertmaßstäbe von Menschen, denen man vertraut“, vertraut Sat.1-Sprecherin Kristina Faßler auf das Format. Einschaltquoten von zum Teil über 25 Prozent in der Zielgruppe zeigen, dass hier auch die Zuschauer mitziehen.
Wertevermittlung
Und was für Werte da vermittelt werden: „Hände aus den Taschen, gerade sitzen, Hochdeutsch reden“, so ist das nun mal vor Gericht. Und auch formal läuft alles streng nach Vorschrift, von der Aufnahme der Personalien über die Zeugenvernehmung bis zur Urteilsverkündung. Nun darf bezweifelt werden, dass Zuschauer prozessuale Feinheiten wie „§ 61 Ziffer zwei, der Geschädigte bleibt unvereidigt“ wirklich zu würdigen wissen. Doch der formale Rahmen sorgt eben für die Sicherheit, dass schon alles mit rechten Dingen zugeht, wenn Richterin Salesch nur aufgrund von Indizien den Studenten verurteilt, der angeklagt ist, das Großmütterchen ums mühsam Ersparte gebracht zu haben. Da gibt es dann sechs Monate auf Bewährung, und der Fall ist erledigt.
Formate wie „Zwei bei Kallwass“ auf Sat.1 oder „Nicole“ von ProSieben gehen, obwohl keine Gerichtsshows, ähnliche Wege. Psychologin Angelika Kallwass sorgt dafür, dass die „Zwei“ sich am Ende versöhnen. Und bei „Nicole“ gibt es neben zusammenfabulierte Themen und bezahlten Darstellern (die sich übrigens anders als bei anderen Talkshows auch dazu bekennen dürfen) am Ende eine Therapeutin, die dann „Margits Lösung“ präsentiert. – Schön, wenn man weiß, was richtig und was falsch, wer gut und wer böse ist. Die Zuschauer verlassen sich allerdings lieber auf „echt“ richterliche Urteile: Weil sich Pro Siebens „Nicole“ nicht gegen Sat.1-Richter Hold durchsetzen konnte, wird die Sendung am 7. Dezember eingestellt.
Den Wunsch, reale Gerichtsverhandlungen im Fernsehen zeigen zu dürfen – jüngst Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde des Nachrichtenkanals n-tv, äußert man bei den meisten Sendern mittlerweile nur noch zurückhaltend. – In Anbetracht der Tatsache, dass die Sitzungen im wahren Leben eher öde sind, durchaus verständlich.
Weil es in der Realität nur selten vorkommt, dass sich der Zeuge im letzten Moment als Täter entpuppt (bei Hold und Salesch immer wieder gern genommen), hate man bei den meisten Gerichtsshows schon bald davon abgesehen, echte Fälle nachzustellen. Gerade diese „dramaturgische Verdichtung“ sei doch das Interessante, sagt RTL-Sprecher Jodl – und die Fiktion ist wieder einmal Sieger über die schnöde Realität.
Verfassungsgericht
So kann auch die Begründung des Verfassungsgerichts zum TV- Übertragungsverbot aus echten Gerichtssälen – der Wettbewerbsdruck der Sender führe zur „Bevorzugung des Sensationellen und zu dem Bemühen, dem Berichtsgegenstand nur das Besondere, etwa Skandalöse, zu entnehmen“ – RichterInnen wie Salesch & Co. nicht treffen.
Auch wenn RTL-„Jugendgerichts“-Fälle wie der des Mädchens, das ein junger Kerl auf einer Party mit Handschellen fesselt, ihr dann die Kleider vom Leib reißt und Liebeskugeln einführt, den Verdacht nahe legt, dass diese Shows irgendwie doch dem Zweck dienen, eine möglichst unanständige Geschichte detailliert im Nachmittagsprogramm zu erzählen.
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