: Kabul mischt sich ein
Die Nordallianz in der afghanischen Hauptstadt will, dass in Bonn keine Personalentscheidung fällt
aus Königswinter SVEN HANSEN
Bei der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg ging es gestern nur zentimeterweise voran. Dennoch sei für den heutigen Samstag mit einem Abschluss zu rechnen, sagte UNO-Sprecher Ahmad Fausi. Der UNO-Sondergesandte und Schirmherr der Konferenz, Lakhdar Brahimi, traf sich gestern mit den Leitern der Delegationen und je einem weiteren Vertreter. Das achtköpfige Gremium trage, so Houmajoun Dscharir, Leiter der „Zypern-Gruppe“, die bisherigen Ergebnisse zusammen und arbeite an einer Abschlusserklärung.
Laut Fausi ist der Hauptstreitpunkt immer noch die Zusammensetzung des provisorischen Übergangsrats und des provisorischen Interimskabinetts. Hier werde weiter über Listen und Zusammensetzungen verhandelt. Dabei würden regionale und ethnische Kriterien eine entscheidende Rolle spielen. Aus Delegationskreisen hatte es bisher geheißen, die beiden größten Gruppen, die Nordallianz und die Rom-Gruppe, würden je etwa 50 Sitze im Übergansrat bekommen, die Zypern- und Peschawar-Gruppe jeweils um die 20.
Der Präsident der Nordallianz, Burhanuddin Rabbani, versuchte gestern von Kabul aus erneut, Einfluss auf die Konferenz zu nehmen. Er forderte, dass über die Personen, die in den Übergangsgremien sitzen sollen, nicht in Bonn, sondern in Kabul entschieden werde. UNO-Vertreter Fausi geht aber weiter davon aus, dass Rabbani zu seiner Zusage steht, alle Beschlüsse der Bonner Konferenz zu respektieren.
Für Irritationen gesorgt hatte am Freitagmorgen auch die Abreise eines Paschtunenvertreters der Nordallianz. Delegationsleiter Junis Kanuni bestätigte die Abreise von Abdul Kadir, dem Sprecher der Schura (traditionellen Stammesversammlung) der Provinz Nagahar, ohne Gründe zu nennen. UNO-Sprecher Fausi sagte, die Abreise habe keine größeren Auswirkungen auf den Fortgang der Gespräche und er hoffe, dass Kadir weiter für künftige Ämter zur Verfügung stehe. „Die Show geht weiter“, so Fausi.
Aus dem Umfeld der Nordallianz hieß es, Kadir habe sich beschwert, dass die Vertretung der Paschtunen in seiner eigenen Gruppe zu gering sei. In der 26-köpfigen Delegation gibt es einschließlich der Berater drei Paschtunen. Diese größte afghanische Volksgruppe ist in allen vier Delegationen vertreten.
Kadir ist der Bruder des im Oktober von den Taliban ermordeten früheren Mudschaheddin Abdul Haq. Dieser war zuvor aus dem Exil in Dubai zurückgekehrt, um mit US-Hilfe einen Paschtunen-Aufstand gegen die Taliban zu organisieren. Die Brüder hatten als Händler ein Vermögen verdient, wobei sie auch in illegale Geschäfte verwickelt gewesen sein sollen. Erst kürzlich hatte Kadir den Taliban die Macht in Dschalalabad abgenommen, dabei waren bereits Differenzen mit der von Tadschiken dominierten Nordallianz sichtbar geworden. Aus Delegationskreisen hieß es jedoch, Kadir habe vor seiner Abreise erklärt, er trage die Beschlüsse der Konferenz mit.
Noch nicht entschieden ist die Frage der Stationierung einer multinationalen Friedenstruppe, obwohl die Nordallianz ein Einlenken in dieser Streitfrage signalisierte. Laut Fausi ist über dieses Thema noch nicht im Detail gesprochen worden.
Das Mitglied der Delegation der „Rom-Gruppe“ um den Exkönig Sahir Schah, Ishaq Nadiri, sagte der taz, er rechne mit der Rückkehr des seit 1973 im römischen Exil lebenden Schahs innerhalb der nächsten Wochen. Der Exkönig solle Oberhaupt des provisorischen Übergangsrats werden, einer Art Parlament, so der Wirtschaftsprofessor Nadiri. An eine Rückkehr zur Monarchie denke niemand, doch könne der Exkönig eine wichtige symbolische Rolle bei der Einigung des Landes spielen. Die Rom-Gruppe bildet bei der Konferenz in Bonn das Gegengewicht zur militärisch dominierenden Nordallianz, während die beiden anderen Gruppen eher vermittelnde Nebenrollen spielen.
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