: Pinkfarbene Pitahayas zum Pläsier
Das Glitzern von Brillianten, der dunkle weiche Glanz von Nerzmänteln und der Duft nach frisch lackierten, langgebogenen Fingernägeln: Alle haben ganz eigene Vorstellungen von Luxus - der Berliner an sich auch
Frühstücken bei Lenôtre. Schon der Name lässt meinen Gaumen erzittern. Köstliche Petit Fours, knuspriges Baguette, zart krümelnde Croissants, dazu eine Schale duftend dampfenden Café au Lait. Freudig dränge ich mich in den Fahrstuhl, den dumpfen deutsch-herrschaftlichen Geschmack von Marmor, Spiegeln und Strahlern verdrängend.
Mich erwartet die französische Leichtigkeit. Esprit, Savoir-vivre, Raffinesse. Leider endet die Fahrt in der Fleischabteilung. Diese hinter Glas so rot und feucht glänzenden rohen, kalten Brocken bringen mich nur kurz in die Wirklichkeit zurück. Dahinter beginnt die Traumwelt. Üppig, ausladend, ein Fest der Farben, Formen und Düfte. Und inmitten dieser Zauberwelt der Lenôtre-Stand. Ich bestellte meinen Café und dazu eine Tarte au Citron.
Die Damen in den zartbeigen KaDeWe-Schürzen, an der Schulterpartie zu niedlichen Voillants gerafft, führen mechanisch die Bestellungen aus: Kuchen auf den Teller fallen lassen, Tasse unter die Düse der Hightech-WMF-Kaffeemaschine. Nein, leider können individuelle Milchmengenwünsche nicht berücksichtigt werden. „Die Maschine ist so eingestellt.“
Ich sehe traurig auf meinen labberigen Möchtegern-Cappuccino in der deutschen Standard-Kaffeetasse, die sonst auf Wannseeterrassen zum Kännchen serviert wird. Dafür erweist sich die Tarte als harmonisch vollendete Geschmackskomposition aus hauchdünnem Mürbeteig unter einer leicht säuerlicher Schicht aus Zitronencreme, bedeckt von lockerem Eischnee und bestäubt mit Puderzucker und Mandelsplittern. Ich erwarte das Glitzern von Brillanten um mich, den dunklen weichen Glanz von Nerzmänteln und den Duft nach frisch lackierten, lang gebogenen und nie schnöden Abwasch verrichtenden Fingernägeln und teurem Parfüm. Doch ich sehe nur dauergewellte Hausfrauen auf Berlin-Urlaub mit Schal und Allwetterkurzmantel, Seniorinnen, die sich bei einer Tasse Kaffee treffen, und einige Touristenpaare mit schmalen Berlin-Reiseführern.
Neben mir liest ein Mann im Trainingsanzug den Independent auf der Seite „Campaign against Terrorism“. Vor mir steht eine Schale mit grellbunten Plastikblumen, daneben zwei Krankenhausspender für Flüssigseife und Desinfektionsmittel. Aus der Tür der Geschirrspülmaschine steigt Dampf und verbreitet einen Geruch nach chemischer Sauberkeit. Wenigstens ist die Rechnung luxuriös und ich beschließe, ein entsprechendes Trinkgeld zu geben, um mein Luxusgefühl wieder zurückzuholen. Ich flaniere an den Auslagen vorüber: kunstvoll geschichtete Meringue, Tarte aux Myrtilles und Daquoise Pistache.
Was für ein Klang, die Sprache des Luxus, hier ist sie! Schokoladentrüffel tragen die Namen „Plaisir“ und „Caprice Noisette“ und auf der anderen Seite schmiegen sich Brioches und Croissants aux Amandes aneinander, neben Pain Bagnat, Poilâne und Fougasse. Selbst eine Schrippe wird hier zum „Petit Pain“.
Etwas weiter spielt am Champagner-Stand von Moet & Chandon ein Pianist an einem großen schwarz glänzenden Flügel. Der Klang lässt die Bewegungen fließen und ich schwimme an Gebäck und Marzipan vorbei zu kandierten Früchten und exotischem Obst. Zu brasilianischen Tamarinden, pinkfarbenen Pitahayas aus Nicaragua und kenianischen Bananenblüten. Immer noch auf der Suche nach der luxusverbundenen High Society komme ich schließlich zur Austernbar, wo man französische „Belon“ und schottische „Loch Fyne“ zu Champagner und Chardonnay schlürfen kann.
Doch auch hier bewegt sich der optische Luxusfaktor gegen Null. Tempelhofer Immobilienmakler neben Charlottenburger Sonnenstudiobesitzern und den üblichen Touristen. Seufzend trinke ich im Geiste ein langstieliges Glas kühlen Veuve Cliquot. Der weiße Zauberdrache zurück in die Wirklichkeit von halb gefrorenem Hundekot und den netten Alkis von der Bank am Mehringdamm ist dann der 119er Richtung Kreuzberg.
MAXI SICKERT
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen