Grüne zieren sich einen Tag

Die Ökopartei scheitert mit dem Versuch, sechs Kernpunkte für „unverhandelbar“ zu erklären. Verhandlungen über eine Ampelkoalition gehen weiter. Dissense werden vorerst verschoben

von ROBIN ALEXANDER

Sechsundzwanzig Stunden stand die Ampelkoalition in Berlin auf Messers Schneide. Dann kehrten die potenziellen Senatspartner an den Verhandlungstisch zurück: Die Grünen hatten schließlich nicht den Mut, das Bündnis der unwilligen Partner platzen zu lassen.

Das Drama begann nicht ohne Vorgeschichte. Samstagmorgens um elf treffen die Verhandlungsdelegationen der Parteien im Roten Rathaus zusammen. Die Teilnehmer sind noch müde von einer langen Nacht: Erst um halb vier ist man auseinander gegangen. Frühe Nickligkeiten zwischen FDP und Grünen hatten vor allem die Sozialdemokraten mit allen Mitteln des Koalitionspokers abgewehrt: Parteichef Strieder bestellt mitten in der Nacht Schnitzel mit Kartoffelsalat für die komplette Verhandlungsrunde, Fraktionsvize Christian Gaebler hat zwanzig Tafeln Schokolade gegen Nervenschwäche gebunkert und Klaus Wowereit wehrt liberale Angriffe auf das Gleichstellungsgesetz ab. Beim Thema Verkehr ist jedoch Schluss mit lustig: Die FDP stellt alte, unrealistische Forderungen in den Raum. Die Grünen spucken Gift und Galle. Wowereit unterbricht die Verhandlungen mit dem Hinweis, für „Ideolgie“ sei keine Zeit.

Aber am nächsten Morgen verschlägt es dem Regierenden die Sprache. Die grünen Unterhändler haben sechs Punkte zusammengetragen, die sie kurzum für „unverhandelbar“ erklären. Konkret: keine Kanzler-U-Bahn U 5, keine Westtangente vom Schöneberger Kreuz zum Tiergartentunnel, kein Verkehrskonzept, das mehr Individualverkehr vorsieht, keine Offenthaltung des Flughafens Tempelhof, keine zusätzlichen „Schnellläuferklassen“, die das Abitur nach zwölf Schuljahren ermöglichen, und keine Olympiabewerbung. Dieses Ultimatum akzeptieren die Verhandlungspartner nicht. Die SPD, in diesen Punkten inhaltlich nahe bei den Grünen, und die gegensätzlichen Positionen anhängende FDP verurteilen dieses Manöver als nicht akzeptabel. Wowereit „unterbricht“ die Koalitionsverhandlungen formell. Macht aber klar: Bis Sonntag 15 Uhr müssen die Grünen zurück zum Verhandlungstisch – ohne Bedingungen. Die Grünen werden dann den ganzen Samstag bearbeitet. Selbst beim Besuch der Wehrmachtsausstellung reden Wowereit, Strieder und Walter Momper in kleiner Runde auf die grüne Parteichefin Regina Michalik ein. Am Abend gibt es im Roten Rathaus ein Gespräch der grünen und roten Verhandlungsführung.

Aber die Entscheidung fällt erst am Sonntag. Um neun trifft sich die grüne Verhandlungskommission. Viereinhalb Stunden diskutiert das zehnköpfige Gremium, in dem dezidierte Ampelbefürworter wie Wolfgang Wieland auf skeptische Parteifreunde wie Regina Michalik, Joachim Eßer und Volker Ratzmann treffen. Am Ende entscheidet sich die Mehrheit der Zehn fürs Weitermachen: Die Grünen gehen zurück in die Verhandlungen. Ein FDP-Sprecher kommentiert knapp: „Die Grünen sind umgefallen.“

Das stimmt nicht, antworten die Grünen. Vom eigenen Ultimatum will man plötzlich nichts mehr wissen. „Vom ultimativ Empfundenen haben wir Abstand genommen“, erklärt Wolfgang Wieland, grüner Justizsenator, „aber in der Sache haben wir nicht nachgegeben.“

Die „neuralgischen Punkte“ (Wieland) werden nun in der entscheidenden Schlussrunde verhandelt. Zumindest bei diesen Punkten haben die Grünen gute Karten: U 5, Westtangente und Olympiabewerbung scheinen so unsinnig, dass man sie sich kaum in einem Koalitionsvertrag vorstellen kann. Der Sinn des grünen Manövers blieb vielen Beobachtern auch nach Fortsetzung der Koalitionsgespräche unklar. Wieland erklärt: „Wir wollten ein Stoppschild in Richtung FDP aufrichten!“

Ganz andere Signale sendet Wowereit aus. Vor der Wiederaufnahme der Koalitionsgespräche hielt der Regierende einen Adventskalender mit zwei Engelchen hoch und beschrieb mit diesem Bild seine Koalitionspartner: „Die beiden zieren sich noch, sind aber im Prinzip ganz niedlich.“

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