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Verhandeln bis zur Erschöpfung

Die Konferenz über die Zukunft Afghanistans steht vor dem Abschluss. Die Vertreter der Nordallianz setzen sich gegen ihren Präsidenten in Kabul durch

aus Köngswinter SVEN HANSEN,aus Islamabad BERNARD IMHASLY

Der Afghanistan-Konferenz der UNO auf dem Petersberg bei Bonn liegt der Entwurf für ein Abschlussabkommen vor. Nach sechs Tagen intensiver Verhandlungen, die manche Teilnehmer laut Auskunft eines Delegierten in den „Zustand fortgeschrittener Erschöpfung“ brachten, schien gestern Abend eine Einigung zwischen den vier auf der Konferenz vertretenen afghanischen Gruppen nahe. Sie werden sich voraussichtlich auf die Zusammensetzung einer Übergangsregierung mit 25 bis 28 Mitgliedern und einem auf sechs Monate befristeten Mandat verständigen. Ein provisorischer Nationalrat wird nicht gebildet werden. Die UNO schlägt jedoch eine Komission zur Einberufung einer Loya Jirga, einer traditionellen Ratsversammlung, vor. Ein oberstes Gericht soll eingerichtet werden Die UNO hält eine internationalen Friedenstruppe für notwendig. Sie soll nur bei Anforderung durch die Übergangsregierung entsandt werden.

Über diese vier Hauptpunkte des von den Vereinten Nationen entworfenen Abschlussdokuments beraten die Delegierten. Ein Ende der Konferenz wird für heute erwartet. Eine Einigung hätte gute Auswirkungen auf die morgen in Berlin beginnende Konferenz der Afghanistan Support Group, in der die wichtigsten Geberländer zusammengeschlossen sind.

Doch sind die Problemfelder knifflig. So geht es insbesondere bei der Besetzung der Ministerien um Machtbereiche und Personen. Es sei entscheidend, dass die Kabul kontrollierende Nordallianz das Innen- oder Verteidigungsministerium abgebe, erfuhr die taz aus UNO-Kreisen. Denn erst wenn die Sicherheit der Vertreter der Paschtunen und des Exils in der Hauptstadt gewährleistet sei, würden sie zur Rückkehr nach Kabul bereit sein. Das künftige Kabinett beschrieb ein westlicher Diplomat als Mischung aus politischen Schwergewichten und Technokraten.

Die Verhandlungen waren am Freitag gefährlich ins Stocken geraten. Es waren nicht die Differenzen zwischen den vier Gruppen, welche die Gespräche gefährdeten, sondern die Spannungen innerhalb der stärksten dieser Gruppen. Präsident Burhanuddin Rabbani, der in Kabul gebliebene Chef der Nordallianz und seiner stärksten Faktion, der Jamiat Islami, stellte sich gegen die Verhandlungsführer auf dem Petersberg. Die Mitglieder einer Regierung müssten in Kabul nominiert werden, verlangte er. Rabbani stellte sich auch gegen eine Rolle des Königs. Nur in der Frage einer internationalen Sicherheitstruppe schien er zugänglich, bis bekannt wurde, was er darunter verstand: „Nicht mehr als 200 Mann“ seien nötig, um die Minister zu beschützen.

Um dem massiven Druck zu begegnen, der darauf von Seiten seines Petersberger Delegationschefs Kanuni, der UNO und der westlichen Mächte einsetzte, berief Rabbani am Samstag den Obersten Rat der Nordallianz zu einer dringlichen Sitzung ein. Dabei zeigte sich aber, dass er im eigenen Lager isoliert war. Es war Außenminister Abdullah, der schließlich laut und klar verkündete: „Ja, wir sind bereit, die Macht an eine Übergangsautorität zu übergeben, und nein, der Vorsteher dieser Autorität wird nicht der gegenwärtige Präsident sein.“ Er sagte nicht, dass dies die Folge eines von UN-Vermittler Lakhdar Brahimi vorgelegten Kompromisses war: Mit dem Verzicht auf den provisorischen Nationalrat entfällt nämlich auch ein für den Exkönig Sahir Schah vorgesehenes Amt. Er sollte als Präsident dieses Rats vor allem integrierend wirken.

Der Druck aus Bonn war tatsächlich beträchtlich gewesen. Lakhdar Brahimi telefonierte persönlich mit Rabbani in Kabul. Schon seit Konferenzbeginn gibt es eine Standleitung vom Petersberg nach Kabul. Bundesaußenminister Joschka Fischer bat seinem russischen Amtskollegen Igor Iwanow telefonisch, auf Rabbani einzuwirken. Der US-Sondergesandte James Dobbins sagte, Afghanistan werde keine Aufbauhilfen erhalten, bis eine Regierung auf breiter Basis gebildet worden sei. Der Innenminister und Delegationsleiter der Nordallianz auf dem Petersberg, Junis Kanuni, signalisierte, notfalls auch gegen Rabbani einem Kompromiss zuzustimmen. Kanuni und der Außenminister Abdullah gelten als pragmatische und kompromissbereite neue Führer der Allianz, während Rabbani sich immer mehr ins Abseits stellt.

Andererseits findet in Afghanistan und dem Nachbarland Pakistan Rabbanis Haltung selbst bei manchen Anerkennung, die ihn sonst wenig schätzen. In Kabul und Islamabad wurde die „unafghanische“ Eile und der Zeitdruck, mit welchen aus den Delegierten eine Lösung herausgepresst werden sollte, mit wachsendem Unbehagen verfolgt. Dies gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass der Süden des Landes, das Herzland der Paschtunen, noch immer in den Händen der Taliban ist. Der Abgang von Hadschi Qadir, Stellvertreter Kanunis und Gouverneur in Dschalalabad, mitten in den Verhandlungen brachte dieses Unbehagen offen zum Ausbruch. Qadir hatte offensichtlich Mühe, sich auf den Umfang und die Zusammensetzung der beiden politisch wichtigen Gremien zu verpflichten zu lassen, ohne dass er vom traditionellen Konsensverfahren von Stammesversammlungen dazu ermächtigt worden war.

Qadir und die Peschawar-Gruppe vertreten zudem die Paschtunen-Clans aus dem Osten des Landes. Die Stämme im Süden dagegen konnten ihr Gewicht in der Bonner Konferenz nicht einbringen, weil in ihren Stammlanden noch gekämpft wird und sich Kandahar noch in den Händen des Gegners befindet. Zweifellos verdankt der am häufigsten genannte Kandidat für den Regierungsvorsitz, Hamid Karazai, dies der Tatsache, dass er ein Popalzai-Paschtune aus dem Süden ist und dass er einer der Führer ist, die sich gegenwärtig der Taliban-Hochburg von Kandahar nähern. Karazai gilt als königsnah und war erst Anfang Oktober aus dem Exil in den USA nach Afghanistan zurückgekehrt, um einen Aufstand der Paschtunen gegen die Taliban zu organisieren.

Die provisorische Übergangsregierung, über die jetzt verhandelt wird, soll möglichst noch im Dezember ihr Amt antreten und dann bis März oder April amtieren. Dann soll eine Loya Jirga eine Übergangsregierung und einen Übergangsnationalrat für etwa zwei Jahre einsetzen. In dieser Zeit soll eine Verfassung ausgearbeitet werden, bevor dann eine Regierung gewählt werden kann.

Zur künftigen politischen Lösung gehört schließlich auch ein von allen Gruppen akzeptiertes Sicherheitsarrangement. Mit Ausnahme der Nordallianz befürworten alle Gruppen die Stationierung einer multinationalen Friedenstruppe mit UNO-Mandat. Die Stationierung einer Blauhelmtruppe wird als zu langwierig angesehen.

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