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Unmögliche Möglichkeit

Auf dem Hauptbahnhof nachts um halb eins oder der Versuch, nicht schwarz zu fahren  ■ Von Elke Spanner

Die Reise war ermüdend, es regnet und ich habe nur noch ein Ziel: Das Bett. Dorthin soll der HVV mich bringen, zumindest bis zu der S-Bahn-Station, die meinem Zuhause am nächsten gelegen ist. Kurz zum Automaten, kurz in die Bahn und dann ins Bett, und zwar lang. So stelle ich mir das vor. Und dabei bloß nicht von Kontrolleuren aufhalten lassen. Ein Fahrschein, das steht fest, muss her. Nachts um halb eins.

Vom Busbahnhof aus kommend, sind links am Bahnhofseingang gleich drei Automaten aufgestellt, die steuere ich an. Mit meinem Zehnmarkschein, neu und unzerknittert – wie geschaffen für den Zweck, einen Fahrschein zu erstehen. Doch der erste Automat will ihn nicht. Eine „Geldkarte“ wird dort verlangt, und wo bis vor kurzem noch der Schlitz für die Geldscheine war, prangt eine Leuchtschrift: „Keine Banknoten“. Am zweiten Automaten: Fehlanzeige. Am dritten: Ebenso.

Die Verlockung ist groß, das Projekt Fahrkartenerwerb hiermit zu beenden. Gründlich wäge ich das pro und contra ab: Es ist nachts und die Wahrscheinlichkeit, auf Kontrolleure zu stoßen, vergleichsweise gering. Andererseits ist Monatsanfang, und das steigert das Risiko wiederum. Man könnte es darauf ankommen lassen und notfalls die Geschichte von den unbenutzbaren Automaten erzählen. Doch Kontrolleure, sagt die Erfahrung, hören sowieso nicht zu. Erst eine Woche zuvor bin ich mit meinem Gesprächsangebot an einem gescheitert, der mich morgens zwei Minuten vor Geltungsbeginn meiner CC-Karte in der U-Bahn antraf und feixend auf meinen Personalien bestand. Zwanzig Mark kostet das. Die Güterabwägung ist entscheiden: Ich suche einen weiteren Fahrkartenautomaten auf. Brauche ich es noch zu sagen? Auch der nimmt meinen Geldschein nicht.

Also zum S-Bahn-Schacht, es reicht. Doch rechts davon stehen drei Mitarbeiter der Bahnsicherheitsgesellschaft (BSG). Zu etwas müssen die doch zu gebrauchen sein, denke ich, steuere sie an und berichte von meinem Problem. Ratlosigkeit auch dort. Einer hat dann die Idee, mich zu einem weiteren Automaten zu begleiten, quer über den Bahnhofsvorplatz und damit weit von meinem S-Bahn-Zugang fort. Ich deute noch zaghaft an, dass die S-Bahn ihren Fahrgästen großes Engagement beim Erwerb eines Fahrscheines abverlangt. Er erwidert wohl, dass ich für mein Kleingeld selber verantwortlich bin. Angesichts der rundum durchweg geschlossenen Kioske und damit Wechselmöglichkeiten scheint er aber eher sich selber von seinen Worten überzeugen zu wollen.

Schließlich stehen wir zu zweit vor dem nächsten Automaten, und mein Problem ist zu unserem Problem geworden. Der Bahnangestellte wird in tiefe Gewissenskonflikte gestürzt. Schließlich stimmt er resigniert zu, dass mir nichts anderes übrigbleibe, als vor seinen Augen ohne Fahrkarte den Bahnschacht hinabzusteigen. Viel Glück wünscht er mir noch. Dass ich auf keinen Kontrolleur treffe. Es gäbe solche und solche, und zuhören, räumt er ein, würden die eher nicht.

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