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Flüstern in der Totenstille

Nach Jahren des lähmenden Stillstands wird auf Zypern wieder verhandelt – die Türken im Norden bleiben skeptisch

aus Nikosia JÜRGEN GOTTSCHLICH

Es regnet seit Tagen, die Soldaten haben sich in ihren Unterstand zurückgezogen. Weit und breit ist kein Mensch auf der Straße, die Altstadt von Nikosia – oder Lefkosa, wie die türkischen Zyprioten ihre Hauptstadt nennen – scheint völlig ausgestorben. Die Gasse, die von den beiden türkischen Soldaten bewacht wird, ist durch ein großes, graues Tor gesperrt, rechts und links davon liegen Sandsäcke, und die Mauern auf den Ruinen der angrenzenden Häuser sind mit Natodraht gespickt. Alle Straßen und Gässchen, die früher einmal von Nord nach Süd führten, sind auf dieselbe Weise verrammelt. Quer durch Nikosia, mitten durch die Stadt zieht sich diese Mauer aus Ruinen und Stacheldraht, die türkisch-zypriotische Fahne auf der einen und die griechisch-zypriotische Fahne auf der anderen Seite – bis zum November 1989 gab es auch in Berlin einige Stellen, an die der Zustand hier erinnert. Heute ist Nikosia die letzte mittendurch geteilte Kommune in Europa.

Dabei ist dem türkischen Teil der Stadt die Trennung nicht gut bekommen. Während im Süden, auf der griechischen Seite, Baukräne und Hochhäuser die Skyline zieren, dominiert im Norden der Verfall. Die einstmals grandiose venezianisch-osmanisch geprägte Stadt bröckelt vor sich hin. Etliche Häuser sind verlassen, vor anderen stehen Verkaufsschilder, die selbst schon Patina angesetzt haben.

Meral und ihr Mann Ahmet, die beide als Dozenten an der Universität lehren, gehören zu den wenigen türkischen Zyprioten, die trotz Teilung und Verfalls nach wie vor in der Altstadt leben. „Seit Mitte der 80er-Jahre geht es hier nur bergab“, meint Meral kopfschüttelnd. Die türkisch-zypriotische Republik hat kein Geld für den Luxus von Restaurierungen. „Wir haben ja nicht mal regelmäßig Strom“, meint sie, „wie sollen da Häuser saniert werden?“

Viele Bewohner Lefkosas ziehen deshalb in billige Appartements außerhalb der alten Stadtmauern – oder sie gehen gleich ganz weg. Auch Meral und Ahmet haben sich bereits entschieden, Zypern zu verlassen. Ahmet ist Jordanier, und die beiden sind überzeugt, dass ihre kleine Tochter in Amman eher eine Zukunft hat als in Lefkosa. „Seit Jahren“, klagt Meral, „wird das Leben hier immer schwieriger.“

„Als ich 1987 nach Zypern kam“, erzählt Ahmet, „wimmelte es hier noch von europäischen Touristen. Außerdem konnten von hier etliche Dinge in die Türkei verkauft werden, die es in der damals noch geschlossenen Ökonomie am Bosporus nicht gab. Heute gibt es keine Touristen mehr, und die Türkei importiert ihren Bedarf an westlichen Waren längst direkt. Für Nordzypern bleibt da nichts übrig.“

Für Meral und Ahmet ist aber nicht nur die schlechte wirtschaftliche Situation Grund zum Auswandern, auch politisch sei es immer repressiver geworden. „Wer seinen Mund aufmacht, verliert seinen Job. Solange die Türkei hier überall ihre Hand drauf hat, wird sich nichts ändern. Aber sie lassen uns nicht gehen.“ Für Meral ist das keine abstrakte Souveränitätsfrage, sondern Alltag. „Die Türken führen sich hier auf wie die Bosse. Jeder hergelaufene anatolische Bauer, der sich hier angesiedelt hat, glaubt, wir müssten ihm persönlich dankbar sein, dass er uns vor den Griechen gerettet hat.“

Die Festlandstürken, die seit 1974 nach Nordzypern eingewandert sind, werden nicht nur von Meral als Bedrohung ihrer zypriotischen Kultur empfunden. Inzwischen stellen sie bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Nordzypern. Obwohl es keine offiziellen Zahlen gibt – das sei das „wichtigste Staatsgeheimnis“ der Regierung Denktasch – lasse sich aus den Wahllisten schließen, dass von den 200.000 Einwohnern Nordzyperns mittlerweile schon 120.000 Festlandstürken sind, die erst nach 1974 auf die Insel kamen.

Für Meral, die den Krieg 1974 und die vorangegangenen Pogrome gegen die türkische Minderheit nicht selbst erlebt hat, ist aus der Schutzmacht Türkei längst eine Besatzungsmacht geworden. Sie glaubt, dass eine Einigung mit den griechischen Zyprioten möglich wäre, wenn die Türkei sich bis auf eine symbolische Größe zurückziehen würde. Ihr Bekannter Cahit war Dozent an der Tourismusfakultät einer der vielen privaten Universitäten auf Nordzypern und steht nun kurz davor, seinen zweijährigen Militärdienst anzutreten. Für ihn ist die Lösung der Schwierigkeiten auf Zypern dagegen schwieriger.

Er lebt in Famagusta, dem türkischen Magusa, noch älter als Nikosia und bis zur Eroberung durch die Osmanen im 16. Jahrhundert eine der wohlhabendsten Städte am Mittelmeer. Obwohl die Stadt reich an Überbleibseln aus venezianischer Zeit ist, sind ihre Ruinen jüngeren Datums. Am Strand, gleich westlich der Altstadt von Famagusta, beginnt die so genannte Geisterstadt Varosa. Von hier bis zur Demarkationslinie zu den Griechen ziehen sich über mehrere Kilometer die Skelette ehemaliger Strandhotels, alle mindestens zehn Stockwerke hoch und für hunderte von Gästen gebaut. Jetzt ist alles leer und zerschossen und nur noch ein paar Soldaten bewegen sich zwischen den Ruinen. Früher schlug hier der Puls der Insel: Neben 40.000 zypriotisch-griechischen Einwohnern fanden hier mehr als 20.000 Touristen Platz – jetzt ist das Gebiet eine No-go-Area.

Cahit will in Zypern bleiben und hofft deshalb, dass die Verhandlungen zu einem positiven Ergebnis führen. Er ist zwar nicht allzu optimistisch und eigentlich auch müde von den 28 Jahre andauernden Verhandlungen; Verhandlungen, die immer wieder neue Hoffnungen geschürt und immer wieder neue Enttäuschungen gebracht haben. „Doch jetzt“, davon ist Cahit überzeugt, „nähern wir uns dem Ende. „Das Treffen könnte eine der letzten Chancen sein.“

Dem 33-jährigen Cahit ist die Rolle der Türkei zwar auch suspekt, doch teilt er das Trauma der meisten türkischen Zyprioten, die durch ihre griechischen Nachbarn tödlich bedroht worden sind. Er zeigt auf einen Teil der Festung in der Altstadt von Famagusta, in die er sich als Sechsjähriger zusammen mit seiner Familie und anderen türkisch-zypriotischen Familien vor der griechischen Miliz geflüchtet hatte. Zwar hält er eine Aussöhnung für möglich, hat sich selbst schon an Kooperationsprojekten beteiligt, ist sich aber in einem Punkt ganz sicher: „Auf die türkische Sicherheitsgarantie können wir nicht verzichten.“

Fahne, Pass und andere Insignien staatlicher Souveränität sind Cahit nicht weiter wichtig – er weiß, dass die Türkische Republik Nordzypern de facto nichts anderes als ein Protektorat der Türkei ist. „Wie schlecht es uns aber auch gehen mag“, betont er, „wir werden nie mehr wieder akzeptieren, als Minderheit in einem Staat den Griechen ausgeliefert zu sein.“ Daraus folgt für ihn – wie für die meisten türkischen Zyprioten – dass die Basis jeder Lösung die Anerkennung zweier Zonen ist, in die die jeweils andere Seite nicht hineinregieren kann: „Eine gemeinsame Republik Zypern könnte uns nach außen vertreten, die internen Angelegenheiten aber sollen beide Volksgruppen für sich erledigen können.“

Nach Umfragen eines Soziologen der Nahost-Universität in Nikosia sind sogar 80 Prozent der Einwohner Nordzyperns, also auch der eingewanderten Festlandstürken, dafür, dass der Nordteil der Insel zusammen mit dem Süden Mitglied der EU wird. „Doch die EU und vor allem die Griechen müssen unsere Vorbehalte und unsere Ängste akzeptieren. Mit ihrer jetzigen Politik, dem Embargo, dem Alleinvertretungsanspruch und den Revanchedrohungen, die immer wieder zu hören sind, treiben sie uns nur in die Arme der Türken.“ Oder aber ins Ausland.

Später zeigt uns Cahit den Brief eines Freundes aus London, der nach dem Studium in England geblieben ist. Er schrieb: „Ich träume von dem Duft der Orangenblüten im Frühling und dem Geruch des Meeres an einem Sommerabend. Ich habe Heimweh, aber ohne eine politische Lösung kann ich nicht zurück. Seit Jahren warte ich auf eine Lösung in Zypern, denn wie du weißt, gibt es sonst für Leute wie mich dort keine Chance zu arbeiten und zu leben. Was habe ich in all den Jahren des Wartens getan? Zusammen mit einem anderen Freund aus Zypern haben wir Pizza gebacken. Mein Traum war es immer, Diplomat der Republik Zypern zu werden, aber eine gute Pizza zu backen ist schließlich auch ein Dienst an der Menschheit.“

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