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village voicegalaktisch: der soundtrack für die ddr im all„Kosmonaut, warum haben Sie gekündigt?“

Dass im Osten der Astronaut Kosmonaut heißt, weiß ich, seit mir der Cousin meiner Mutter 1979 seine Briefmarkensammlung geschenkt hat: Die schönsten Marken seiner Alben waren aus der UdSSR, mit Bildern von glücklichen Mondtouristen. Dass es aber nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in der DDR seit den Sechzigern überaus weltraumbegeistert zuging, dass es sogar DEFA-Pendants zu bundesdeutschen TV-Serien wie „Raumpatrouille Orion“ gab, weiß ich erst, seit mir kürzlich ein Kollege stolz die CD „Kosmos – Soundtracks of Eastern Germany’s Adventures in Space“ in die Hand gedrückt hat. Sehnsucht nach Unendlichkeit in der DDR, diesem Königreich der Kleinbürger?

Eine Menge lernen kann man von dieser schön gestalteten CD: dass es in den ostdeutschen Weltraumfilmen wie „Der schweigende Stern“ und „Elomea“ weniger um Action als um utopische Vorstellungen einer friedliebenden sozialistischen Gesellschaft ging zum Beispiel. Dass die Darsteller der Besatzung aus allen sozialistischen Bruderstaaten stammten. Und während man noch gewissenhaft den Booklettext studiert, ertönen auf der CD wie zur Untermalung schon folgende ulkigen Reime: „Weltraumsignal aus des Kosmos Höhen – Deutsche im All, Sozialismus’ Sohn ... Herzenssache, erdbewährt lange schon.“ Hansi Klemm singt sein „Kosmoslied“ und ordentlich pathetisch ist er auch dabei.

Neben sphärischen Klängen, elektronisch avantgardistischem Gefiepse, das, wie man im Booklet erfährt, von den früheren Filmen stammt, zu denen der polnische Komponist Andrzej Markowski die Filmmusik gemacht hat, gibt es vor allem auch tolle Rhythmen wie aus der Beatkiste. Zum Aufbruch blasen die Fanfaren beim gefährlichen „B-Alarm“, einem Titel zu dem Film „Signale“. Diese Musik stammt von Karl-Ernst Sasse, der im Trickfilmstudio der DEFA in Dresden Ringmodulatoren, Terzfilter und Trautonium benutzte. Etwas später wurde es dann noch leichter: Es kam Boogie Woogie hinzu, hier und da ein Walzerrhythmus, der an das ewige Rotieren in Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ erinnert. Ein paar lateinamerikanische Rhythmen sorgen hier und da für den exotischen Charme einer Teeparty in den Sechzigern. Und noch später klingt „Freunde im All“ plötzlich nach Disco, die Damen machen auf Abba und man sieht den Flitter förmlich vor sich.

Am allerschönsten auf dieser CD aber sind zwei Stücke, zu denen Ruth Hohmann und der Erbe-Chor gesungen haben. Plötzlich erinnern die Gitarren hier an das vorsichtige Spiel mit diesem Instrument von Postrockern wie Tortoise. Dazu singt Ruth Homann derart ätherisch schön, dass Sängerinnen wie Barbara Morgenstern rot werden müssten: „Das Licht, wie schnell ist das Licht, schneller ist mein Gedanke, mein Gedanke ist dort und hier, sein Licht ist bei dir und mir, ich lebe hier und heute“. Und plötzlich fällt es einem wieder ein, warum sie so hypnotisch wirkt, diese Weltraummusik: Es ist die Sehnsucht nach der Unendlichkeit, dem Großen und Ganzen, dem Wunsch nach Einheit mit sich, Gott und der Natur. Die Romantiker glaubten, dass das Weltall nach demselben Bauplan funktioniert wie der menschliche Geist.

Und was glaubte der DDR-Bürger? Ganz am Ende der CD wird man Zeuge eines witzigen Filmdialogs: Eine Dame fragt ihren Flirt: „Wanderer zwischen den Sternen, warum haben Sie gekündigt?“ Und er antwortet: „Weil ich die Nase voll hatte und mir hier auf der Terrasse die Sonne auf den Bauch scheinen lassen wollte. Mindestens bis halb vier.“

SUSANNE MESSMER

Kosmos. Soundtrack of Eastern Germany’s Adventures on Space. All Scor MEdia/Indigo

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