: Protestieren und beobachten
Für die Gewerkschaften bedeutet das Scheitern der Verhandlungen zur Ampelkoalition keine Entwarnung. Sie demonstrieren weiter gegen die Sparpläne des Senats im öffentlichen Dienst. Rot-Rot wird misstrauisch beäugt
Klaus Wowereit ist böse. So sehen es jedenfalls Lehrergewerkschafter und Elternvertreter. Sie überreichen heute, am Nikolaustag, dem Regierenden Bürgermeister eine lange, lange Rute. Der Grund: Der Sozialdemokrat will im Schul- und Bildungsbereich bis zu 0,64 Milliarden Euro (1,26 Milliarden Mark) sparen, wie die Lehrergewerkschaft GEW vorrechnet.
Das Scheitern der Ampelkoalition und die SPD-Verhandlungen mit der eher gewerkschaftsfreundlichen PDS jedenfalls beruhigen die GEW-Funktionäre nicht. „Entwarnung können wir nicht geben“, sagt GEW-Landesvize Dieter Haase, „die Kürzungsvorschläge liegen ja noch auf dem Tisch.“
Eine Einschätzung, die von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di geteilt wird. Sie rief für gestern Abend ihre Mitglieder zu einer Großkundgebung auf die Straße. Bis zu 10.000 Menschen wollten auf dem Gendarmenmarkt gegen die Kürzungspläne des Senats demonstrieren, am Nachmittag versammelten sich bereits 3.000 Staatsdiener zu einer Protestkundgebung vor dem ICC. Ver.di-Sprecher Andreas Splanemann: „Die Gefahr ist noch lange nicht gebannt.“
Vor allem eines können die Gewerkschaften nicht einschätzen: wie sich die PDS, die in Zeiten der Opposition eher auf die Beschäftigtenvertreter zugegangen ist, konkret verhält, wenn es hart auf hart kommt und Milliarden im öffentlichen Dienst gespart werden sollen. Zwar sieht Splanemann Hoffnung bei Kitas, Wissenschaft und Kultur, wenn die PDS mitregiert. „Aber dann muss die Verwaltung leiden.“
In den Gewerkschaftsbüros knallten jedenfalls keine Sektkorken, als die Kunde vom Scheitern der Ampel mit der „neoliberalen FDP“ durchdrang – owohl die PDS schon von dem Ziel, rund eine Milliarde Euro im öffentlichen Dienst einzusparen, abgerückt ist, auf das sich die Ampel bereits verständigt hatte. „Wenn ich an manchen PDS-Stadtrat in den Bezirken denke, unterscheidet der sich kaum von den Liberalen“, sagt ein Gewerkschaftsmann. Ein anderer hebt gar die positive Rolle des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) hervor. „Der war ein verlässlicher Verhandlungspartner. Auch in schwierigen Zeiten.“
Die Gewerkschaften werden deshalb ihre Aktionen gegen die Sparpläne auch parallel zu den Verhandlungen über eine rot-rote Koalition fortsetzen. Hauptthema wird die geplante Privatisierung städtischer Kitas sein, die Wowereit forciert. Am 12. Dezember macht die GEW mobil, Ver.di plant diverse Personalversammlungen in den Verwaltungen. Größere Protestaktionen sind aber bis Weihnachten nicht geplant. Splanemann: „Wir warten erst einmal ab, worauf sich SPD und PDS einigen.“
RICHARD ROTHER
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