in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über Absteiger St. Pauli

Nicht anders, sondern richtig

Am vergangenen Sonntag lag ich zuhause auf der Couch, schaute mir in Abwesenheit sinnvollerer Gestaltung zu Ende gehender Wochenendfreizeit das Lokalderby zwischen dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli im Fernsehen an – und war gerührt. Mit den Ereignissen auf dem Spielfeld hatte das weniger zu tun. St. Pauli spielt in diesem Jahr schließlich aus hinreichend unerklärten Gründen in der Bundesliga und es ist wahrlich Expertentum für Arme, dass die Befristung dieses Aufenthalts über das Ende der Saison hinaus nicht verlängert wird. Die Fähigkeiten der Mannschaft in den braun-weißen Trikots, das war auch am Sonntagabend wieder einmal nicht zu übersehen, reichen über das einst von Rolf Rüssmann formulierte Verdikt, „dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt“, nicht weit hinaus.

Daran ändert auch der formidabel gestaltete Mannschaftsbus nichts, dessen tollstes Feature die in Spiegelschrift auf die Kühlerhaube applizierte Forderung „Weg da!“ ist. Das ist wirklich lustig, weshalb meine Freundin Katrin den Bus als Modell daheim auf ihrem Schreibtisch stehen hat. Vor allem aber ist das Spielzeugmobil ein Zeichen ihrer nun schon viele Jahre währenden Anhänglichkeit an den Klub vom Millerntor, und deshalb musste ich mit ihr über das Lokalderby sprechen.

Sie hatte es nur am Videotext verfolgen können, weshalb ich ihr erzählte, dass ich mich bei Leo Kirchs schwarzer Höllenkiste zum ersten Mal für die Option „Stadion“ entschieden hatte, die einem das Wegschalten des Kommentars und andächtiges Lauschen purer Stadionatmosphäre erlaubt. Da konnte man nämlich hören, wie unglaublich LAUT die Anhänger des FC St. Pauli im Volksparkstadion waren. Lauter als die des Hamburger SV, obwohl die Gäste nicht nur in Unterzahl waren, sondern ihre unselige Mannschaft zwischendurch mit 0:3 und 1:4 zurücklag, was normaler Weise selbst das bereitwilligste Stimmband erlahmen lässt.

Nun haben St. Paulis Fans den psychologischen Vorteil gegenüber denen des lokalen Konkurrenten vom Sportverein, dass ihnen klar ist: Ihr Team ist nicht wirklich konkurrenzfähig. Als neulich ein Spieler für die kommende Saison einen Vertrag beim SC Freiburg unterzeichnete, sagte der Manager, dass der FC St. Pauli mit einem Klub wie Freiburg eben nicht mithalten könne. Das klang, als hätte gerade der FC Barcelona angerufen. Der Klub ist also arm und in der Bundesliga chancenlos, aber Spaß machen all die Niederlagen trotzdem nicht, wie mir Katrin durchaus glaubhaft darlegen konnte – und schon gar nicht gegen den HSV. Der moralische Sieg im Lokalderby hatte jedoch nichts mit frisch buntgefärbten Haaren zu tun, dem Wedeln mit Fähnchen, auf den Cannabisblätter zu sehen sind, oder irgendwelcher halbironischen Pauli-Folklore. Er lag auch nicht in dem gelungenen Sprechchor in Richtung des Lokalrivalen: „Wir steigen ab und ihr kommt mit.“ Die Anhänger des FC St. Pauli zeigten sich in schwerer Stunde einfach als gute Fans, die auch angesichts einer schmerzhaften Niederlage nicht den Respekt vor sich und ihrem Klub verloren hatten. „Wir sind eben die einzigen, die mit Würde verlieren können“, sagte Katrin, und selbst am Telefon klang dieser Satz so feierlich, als würde sie ihn gleich in eine schwere Gedenktafel meißeln, die demnächst vor dem Stadion am Millerntor aufgestellt werden soll.

Bei allem Pathos, widersprechen konnte ich ihr nicht. Größe in der Niederlage ist in deutschen Fußballstadien ein rares Phänomen. Meist gibt’s nur un-würdiges Gemaule, stupide Forderungen nach Kämpfen sehen wollen und sofortigen Liebesentzug für die Helden im Trikot des Lieblingsklubs. Importiert haben die Fans des FC St. Pauli ihre Haltung daher aus England, wo noch kürzlich die Anhänger des FC Liverpool den FC Barcelona mit Beifall verab-schiedet hatten, weil die Gäste einfach besser waren. So geht das!

Wenn ich nun aber auf die Idee kommen sollte, sagte Katrin drohend, den Slogan vom „Absteiger der Herzen“ auszugeben, gäb’s was um die Ohren. Solch unwürdige Niedlichkeiten hätten sie am Millerntor nicht nötig. Doch keine Angst, hier sollte sowieso gesagt sein, dass St.Pauli nicht anders ist, sondern richtig.

Fotohinweis: Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber