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Die Ausrottung der afghanischen Frau

Sie nennt sich Latifa, lebt im Pariser Exil und hat ein Buch über den Alltag der Kabuler Frauen unter den Taliban geschrieben: „Das verbotene Gesicht“

Latifa hat den Schleier abgelegt. „Kabul ist befreit“, sagt die junge Frau, „jetzt muss ich mich nicht mehr verstecken.“ Ernst blickt die 21-jährige Afghanin jetzt im Pariser Exil in die Kamera eines Pressefotografen. Es sind die ersten Porträtaufnahmen von ihr – seit jenem 27. September 1996, der ihr Leben und das von Millionen Afghaninnen veränderte.

Als die Taliban die Macht eroberten, hingen in Latifas Mädchenzimmer im Kabuler Stadtteil Mikrorayan Elvis-Presley-Plakate an den Wänden, im Regal standen Bücher mit Liebesgeschichten neben Videofilmen aus Indien. Der Vater war Geschäftsmann, die Mutter Krankenschwester. Der Paschtune und die Tadschikin waren religiös, aber keine Fundamentalisten. Latifa hatte gerade die Aufnahmeprüfung an der Universität Kabul bestanden. Thema: Bin Laden, der saudische Freund der Taliban, will den Bau von Moscheen in Afghanistan finanzieren. Die 16-Jährige wollte Journalistin werden. Stattdessen verschwand sie in einem Gefängnis aus Textil.

Fünf Jahre danach hat sie ihr Leben im Kabul der Taliban in einem Buch beschrieben, das in Frankreich schon verkauft wird und bald auch in Deutschland erscheint. Es heißt „Das verbotene Gesicht“ und handelt vom Alltag. Von der Angst und den Depressionen in der Wohnung, die Latifa nicht mehr verlassen darf und in die die Außenwelt nur noch über Gerüchte hereindringt, die ihre männlichen Verwandten von der Straße mitbringen. Von Peitschenschlägen auf verschleierte Frauen, die verbotenerweise weiße Schuhe tragen. Von brutal vergewaltigten Mädchen, die heimlich zu Latifas Mutter kommen, um ihre Wunden nähen zu lassen. Von der illegalen Schule, die Latifa irgendwann mit einer Freundin eröffnet, um Nachbarskinder zu unterrichten.

Ihr Land hat Latifa April dieses Jahres auf Einladung von Frauengruppen und des Europaparlaments verlassen. Auf der Reise, die sie zusammen mit einer Freundin und ihren Eltern antrat, sollte sie über das Schul- und Medizinverbot, über die „Ausrottung der afghanischen Frau“ sprechen. Nach zehn Tagen wollten sie zurückreisen. Aus Sicherheitsgründen traten sie tief verschleiert vor die europäische Öffentlichkeit. In Kabul wurden sie trotzdem erkannt. Taliban verwüsteten ihre Wohnung und sprachen eine Fatwa, eine Morddrohung, gegen sie aus.

Latifa, die davon träumt, zurückzukehren und „Afghanistan aufzubauen“, musste in Europa bleiben. Die Erfahrungen, die sie hier gesammelt hat, sind ernüchternd. Sie klopfte an viele Türen, um Unterstützung für Schulen und andere Projekte in ihrem Land zu erbitten. Die Politiker empfingen Latifa zwar. Aber nur wenige machten ihr konkrete Zusagen. In Europa, so Latifa heute, „habe ich Menschen getroffen, die sehr herzlich sind, aber auch solche, die einfach nicht glauben wollen, was ich ihnen über unsere Lage in Afghanistan berichte“.

In ihrem Buch beschreibt Latifa, wie im Kabul der Taliban die ausländischen Journalisten wegblieben. Und wie sie erlebte, dass die ganze Welt sie vergaß.

Die Bombenangriffe auf ihr Land verfolgte Latifa von ihrem Pariser Exil aus. Mit gemischten Gefühlen, „vor allem wegen der Zivilisten“. Sie macht sich Sorgen um ihren Bruder und ihre Schwester, die bei der Verhängung der Fatwa gegen sie in Afghanistan waren und von denen sie seither keine Nachricht hat. Sie versteht nicht, warum es „so lange dauert, bis Kandahar befreit ist“. Und sie fürchtet weiterhin den Nachbarstaat: „Pakistan profitiert von der Schwäche und den vielen Spaltungen der Afghanen. Es macht uns fertig.“

Vor der Nordallianz, die Kabul erobert hat, fürchtet Latifa sich nicht. Im Gegenteil: Der im September ermordete Kommandant Masud ist der einzige Politiker ihres Landes, den sie mehrfach positiv in ihrem Buch erwähnt. Alle anderen afghanischen Chefs beschreibt sie als gewalttätig, korrupt und machtbesessen.

Ihren wirklichen Namen mag die junge Frau immer noch nicht preisgeben. „Latifa“ nennt sie sich erst seit ihrer Ankunft in Frankreich. Noch mehr über sich will sie erst zeigen, „wenn die Frauen in Afghanistan selbst entscheiden dürfen, ob sie eine Burka und ob sie arbeiten wollen“.

DOROTHEA HAHN

„Das verbotene Gesicht“ erscheint im Verlag Marion von Schröder

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