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„Wir sind stolz, Deutsche zu sein“

Fear of a Black Bundesrepublik? Adé und Abi Odukoya haben das afrodeutsche All-Stars-Projekt „Brothers Keepers“ initiiert. Ein Gespräch über Identität, Rollenklischees und Erwachsenwerden in der deutschen Rapszene sowie HipHop als Survival Kit

Interview DANIEL BAXund JOSHUA AIKINS

taz: Die „Brothers Keepers“ haben im Sommer die Single „Adriano“ veröffentlicht, jetzt folgt ein ganzes Album. Was hat sich in dieser Zeit getan?

Adé: Ich bezeichne es schon als kleinen Sieg, dass ein Sender wie RTL 2 das Wort „afrodeutsch“ benutzt, wenn er über unser Projekt berichtet, dass uns ein Jugendsender wie Viva eine Plattform gibt oder dass sich die Bravo wirklich Mühe gibt, das wiederzugeben, was wir zu transportieren versuchen.

Was genau verstehen Sie unter „afrodeutsch“?

Adé: Afrodeutsch ist, wenn man so will, eine besondere Ausprägung des Deutschseins. Klar, wenn ich nach Kanada fliege mit meinem deutschen Pass, dann repräsentiere ich dieses Land. Und ich kann sagen, ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein. Ich habe auch kein Problem damit, das nach außen zu kommunizieren, weil ich dieses Land gut finde. So möchte ich bestimmten Leuten auch ihre Themen wegnehmen und andere Leute, die auf meiner Seite sind, bestärken.

Dann dürfte Ihnen diese Kampagne der Bundesregierung mit den schwarzen Models und der T-Shirt-Aufschrift „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ wohl gut gefallen haben?

Adé: Mega! Einfach traumhaft! Die hing hier in Berlin gegenüber der Synagoge. Da werden ein paar Jungs in Springerstiefeln ganz schön gekotzt haben.

Was verbindet denn die Mitglieder von Brothers Keepers, mit ihren sehr unterschiedlichen Biografien? Ist der Bezug auf eine afrodeutsche Identität nicht sehr gewollt?

Adé: Bei Brothers Keepers war es nicht schwer, Gemeinsamkeiten zu finden, jeder hat’s kapiert. Es war der Gedanke: „Auch ich hätte es sein können.“ Darum ging es uns zunächst einmal darum, darauf aufmerksam zu machen: Hey, wir fühlen uns nicht geschützt. Und wir können nicht weglaufen, weil wir unseren Lebensmittelpunkt in diesem Land haben. Es gibt eine Hierarchie, ob man das jetzt wahrhaben will oder nicht, und es ist klar, wen man bei dieser Safari zuerst jagt. Das verbindet uns. Alles andere war Verhandlungssache. Auch die Frage: Was ist Afrodeutsch überhaupt?

Eint die Rassismus-Erfahrung Afrodeutsche nicht mit anderen Minderheiten, etwa mit Deutschtürken? Warum hat man nicht auch solche Rapper an Brothers Keepers beteiligt?

Adé: Zunächst einmal ging es uns um Austausch innerhalb der kleinen afrodeutschen Community. Erst dadurch können wir mit einer Art Agenda, einem Lebensgefühl nach außen gehen. Man muss sein Haus erst reinigen, bevor man Besucher einlädt.

Bei vielen Deutschtürken ist es leider so, dass sie entmutigt sind und das auch nach außen reflektieren. Ich denke, in den nächsten vier, fünf Jahren wird auch aus dieser Ecke noch etwas kommen. Aber zunächst einmal muss es einen Konsens geben, wie man sich in der Bundesrepublik definieren und sehen möchte. Bis das nicht intern geklärt ist, kann man auch nicht in die Öffentlichkeit gehen und eine breite Unterstützung erwarten.

In den USA gibt es eine lange Geschichte schwarzer Emanzipation, von der Sklaverei bis heute, und eines der Medien, in dem diese Geschichte erzählt wird, ist HipHop. Muss man als Afrodeutscher diese Kultur adaptieren, um eine eigene Geschichte erzählen zu können?

Adé: Nein. Die afrodeutsche Erfahrung ist eigentlich die Erfahrung der Diaspora in ihrer konzentrierten Dichte. Für viele von uns die Verbindung über unsere Eltern nach Afrika nicht allzu weit entfernt, wo bei Amerikanern 15 Generationen dazwischen liegen. Viele von uns können die Reise nach Afrika machen, mit dem dazugehörigen Kulturschock. Und man lebt von Kindesbeinen an in einem Land, das sich mit seiner Geschichte auseinander setzt. Da ist man schon ein bisschen weiter ...

... als in den USA?

Adé: Ja. Deutschland ist es eines der wenigen Länder, wo man sich ernsthaft um eine Art Wiedergutmachung bemüht hat – außer Südafrika fällt mit kein anderes Beispiel ein. Aber ein Land, das sich nicht mit seiner Geschichte auseinander setzt, ist zur inneren Spaltung verurteilt. Viele Afroamerikaner drehen sich deswegen inzwischen im Kreis.

Abi: Wir nutzen die Möglichkeit, um zwischen den Kulturen zu vermitteln. Das ist schon ein Vorteil gegenüber den Leuten in Amerika, die über Generationen ghettoisiert wurden.

Adé: Wir sind, als Afrodeutsche, von unserer ganzen Haltung her auf der Suche. In einer Gesellschaft, in der man permanent auf sein Aussehen, auf seine Hautfarbe aufmerksam gemacht wird, muss man sich auf die Suche nach seiner Kultur begeben, und diese Suche dauert ein Leben lang. Dabei lernt man die Vielfältigkeit der Diaspora kennen und landet bei einem Kwame Nkrumah oder einem Marcus Garvey. Oder auch bei einem Dichter wie Puschkin.

Viele landen bei dieser Suche in den USA, die meisten afrodeutschen Rapper orientieren sich am US-Vorbild. Ist HipHop so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner der Diaspora?

Adé: HipHop ist nicht nur eine „Black Experience“. Es ist die konzentrierte Form der „Urban Experience“. Aber mittlerweile sind wir alle „Bigger than HipHop“.

Ich glaube, viele hatten Angst, weiterzugehen, weil sie keine Unterstützung empfanden. Jetzt sehen viele eine Chance, da passieren massive Quantensprünge: so wie D-Flame, der jetzt Ragga macht, oder Torch, der sich mit der haitianischen Kultur auseinander setzt. Man darf nicht vergessen: Viele von uns sind zu HipHop gestoßen, weil das damals das Einzige war, in dem wir eine Reflexion unseres Selbst gesehen haben. Jetzt haben wir es verinnerlicht und kreieren damit unsere eigene Identität.

Liegt im HipHop nicht auch die Gefahr, Klischees zu reproduzieren?

Adé: Es liegt an den Künstlern, HipHop ein neues Gesicht zu verleihen. Man sollte jetzt keine kompletten Kehrtwenden erwarten, sondern das Ganze als Kontinuum begreifen, als eine ständige Reise. Klar hat HipHop seine Klischees. Aber es ist auch so etwas wie ein Survival Kit: Jeder holt sich das raus, was er braucht.

Wie bedient man Klischees?

Adé: Indem man, von der Körperhaltung über die Sprache bis zu den Themen, zeigt, dass man Angst hat, Schwäche zu zeigen – besonders in so einem männlich dominierten Feld wie HipHop, wo viel Testosteron im Spiel ist.

Bei Brothers Keepers konnten wir auch deswegen darüber hinausgehen, weil viele von uns in die Jahre gekommen sind. Wir sind als Teenager mit dieser Kultur aufgewachsen und jetzt Mitte bis Ende zwanzig, manche von uns haben Kinder – unsere Realität sieht heute einfach anders aus. Und es gibt Vorbilder wie Gil-Scott Heron oder, wenn man vom HipHop spricht, Chuck D oder KRS One, die für uns wie große Onkel sind. Bei diesen Leuten kann man sagen: Da waren erwachsene Männer am Werk.

Rassismus, oder Politik überhaupt, schien ja bislang kein großes Thema im deutschen HipHop zu sein ...

Adé: HipHop reflektiert die Realität der Einzelnen – und die stellt sich für einen Schwaben aus einer Mittelschichtsfamilie sicher anders da als für jemanden wie Xavier Naidoo, Afrob oder Sammy De Luxe, die da mit der Zeit ein bisschen mehr Farbe und Vielfalt reingebracht haben. Ich will das gar nicht verurteilen.

Deutschland hat sich nie zuvor auf diese Weise mit einer schwarzen Kultur konfrontiert gesehen, die auf einmal deutsch wird. Jetzt hat man mit HipHop in Deutschland eine solche „borrowed culture“. Und jetzt sieht man, dass es beim HipHop auch um ein neues Lebensgefühl in diesem Land geht, dass diese Musik Ausdruck einer neuen urbanen Kultur ist.

Warum waren an „Brothers Keepers“ nur Männer beteiligt?

Adé: Die Frauen, die wir haben wollten, waren im Mutterschaftsurlaub. Ich habe das schon so oft gesagt, sodass es für mich mittlerweile wie ein Mantra klingt. Natürlich hätten wir schon damals die eine oder andere Frau dabei haben können – aber nur um eine Quote zu erfüllen, war uns das zu wenig.

Dafür gibt es jetzt die Sisters Keepers. Die weibliche Komponente war uns wichtig, denn diese Frauen sind ganz eigenen Klischees ausgesetzt. Da braucht man sich nur eine Naddel anschauen, oder was die Bild-Zeitung auf ihren Internetseiten so über die süßen Schokos schreibt.

Die Männer gehen auf Konfrontation, die Frauen schlagen gemäßigte Töne an. Entspricht das nicht auch Klischees?

Adé: Eine der Sängerinnen von Sisters Keepers wurde vor drei, vier Monaten von acht Skinheads zusammengeschlagen. Trotzdem schafft sie es, sich hinzustellen und von Liebe und Verstand zu singen. Liebe ist so ein Wort, vor dem viele in Deutschland Angst haben, genauso wie Gott. Da kommen die meisten gleich mit Esoterik und Ähnlichem.

Sie sind mit 15 Jahren nach Deutschland gekommen. Vor zwei Jahren sind Sie nach Nigeria zurückgekehrt und sind dort mit Ihrer Band Bantu aufgetreten. Wie war das?

Adé: Wir sind 1999 mit einem Song und einem selbst gedrehten Video nach Nigeria gegangen, um zu sehen, wie es sein würde. Die fünf Jahre zuvor konnten wir wegen der Militärdiktatur nicht ins Land reisen, weil wir in der Opposition aktiv waren und immer noch sind. Nigeria war eine Bestätigung für uns. Wir hatten einfach die Nase voll, uns den Spaß und die Unbefangenheit in der Musik immer wieder dadurch kaputtmachen zu lassen, dass wir in Deutschland ständig gefragt wurden: Ist das jetzt HipHop oder Reggae?

Und wie war die Reaktion?

Abi: Für viele Nigerianer schien es schön zu sehen, dass da Leute zurückkommen, um ihnen Hoffnung zu geben. Das war schon ein tolles Gefühl, etwas Konstruktives beizutragen, in einer desolaten Situation: Fela Kuti war tot, das Land heruntergewirtschaftet. Aber mit Musik kann man in Zeiten des Umbruchs wieder neue Kraft geben.

Wir haben Konzerte und Interviews gegeben, speziell in Lagos, mit seinen vielen Fernseh- und Radiostationen. Und wir haben versucht, uns mit lokalen Künstlern zu verbinden. Wir haben ein Stück Deutschland nach Nigeria gebracht und umgekehrt in Deutschland Millionen Menschen einen Vibe gegeben.

Mit Ihrer Gruppe Bantu singen Sie auch in Patois oder Yoruba. Das versteht nur noch ein sehr kleiner Teil der deutschen Hörerschaft, oder?

Abi: Es geht um den Spirit. Das Publikum nimmt sich schon die Bits und Pieces, die es vertragen kann, und es wird auch reifer mit der Zeit. Du musst es nur dahin erziehen.

Brothers Keepers haben kürzlich in Köln ein Community Center eröffnet? Was soll das leisten?

Adé: Wir wollen, dass Brothers Keepers mehr wird als nur eine musikalische Bewegung. Das Center in Köln soll unsere Aktivitäten koordinieren, etwa die Konzerte und Diskussionsrunden in Schulen. Ich war selbst gerade in Pirna und habe mich mit Familien getroffen, deren afrodeutsche Kinder angegriffen wurden, die mit alltäglichem Rassismus konfrontiert sind. Natürlich sind wir nicht der Messias. Aber wenn jemand sieben Stunden nach Dresden fährt, um mit den Leuten zu reden, dann fühlen sie sich ernst genommen. Wir sind wie die Stimme der Stimmlosen, das ist unser Job.

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