: Berlin: SPD und PDS heben ab
Rasantes Tempo bei den rot-roten Koalitionsverhandlungen in Berlin: Die desaströsen Finanzen werden als Erstes abgehakt. Neuverschuldung steigt. PDS und SPD wollen sich für Olympia bewerben und den umstrittenen Großflughafen bauen
aus Berlin RICHARD ROTHER
Man könnte es gesunden Materialismus nennen. Die Berliner Sozialdemokraten und Postkommunisten wenden sich in ihren Koalitionsgesprächen, im Unterschied zu den gescheiterten Verhandlungen über eine rot-grün-gelbe Ampelregierung, gleich dem wichtigsten aller Themen zu: dem Geld. Geld, das fehlt. Und anders als die Ampelkoalitionäre schließen die Rot-Roten im Roten Rathaus gleich zu Beginn nicht aus, mehr Schulden aufzunehmen. Alle Vorurteile, SPD und PDS könnten mit Geld nicht umgehen, scheinen bestätigt. Zumal die Landeschefs Peter Strieder (SPD) und Stefan Liebich (PDS) stets in großer Harmonie vor die Kameras treten und PDS-Fraktionschef Harald Wolf eine „deutlich höhere Verschuldung“ ankündigt. Auch sonst geht es flott voran: Beide Parteien einigten sich gestern bei den heiklen Themen Olympiabewerbung für 2012 und Großflughafen – die an der PDS-Basis umstrittenen Projekte werden in Angriff genommen. Zudem wird die einst von der PDS abgelehnte Fusion mit Brandenburg für 2009 angestrebt.
Hat nun in der bankrotten Hauptstadt ein Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik stattgefunden, noch bevor die ersten PDS-Senatoren vereidigt sind? Ist das Spardiktum hinfällig? Auf dem ersten Blick hat es den Anschein, aber allen Haushaltsexperten – auch denen von der Ampel – war klar, dass sie um eine Erhöhung der Neuverschuldung nicht herumkommen. Rund 10,2 Milliarden Mark, ein Viertel des Gesamthaushaltes, fehlen 2002 in den Kassen der wirtschaftschwachen Stadt, die nicht einmal die Hälfte ihrer Ausgaben durch Steuereinnahmen finanzieren kann. Ursrünglich sollte die Neuverschuldung auf 3,7 Milliarden Mark begrenzt werden. „Unrealistisch“, heißt es bei PDS und SPD unisono. Schließlich müssten rund 7 Milliarden Mark erbracht werden – durch Sparen oder den Verkauf des Landesvermögens. Die Situation unterscheidet sich strukturell kaum von der in den Vorjahren, die große Koaltion zog sich aber stets mit allerlei Taschenrechnertricks aus der Affäre: „Pauschale Minderausgaben“ wurden vorab ebenso veranschlagt wie hohe Verkauferlöse, die sich nicht erzielen ließen. Das Ergebnis: mehr Schulden.
Diese Praxis wollen SPD und PDS nun offenbar beenden. Neu ist nicht, dass mehr Schulden aufgenommen werden – immerhin schlägt eine Milliarde Neuverschuldung jährlich mit rund 50 Millionen Zinslast zu Buche. Neu ist nur der offene Umgang damit. SPD-Landeschef Strieder: „Eine neue Koalition ändert an den Zahlen nichts.“
Dass die Zeiten einer gewissen sozialstaatlichen Unbekümmertheit, die die Westberliner CDU repräsentierte, in Gestalt der Ostberliner PDS wiederkehren, ist aber unwahrscheinlich. PDS-Sparkommissar Wolf kündigte gestern die Streichung von 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst an. Zudem werden Steuern erhöht. Daran war die Ampel gescheitert. Die FDP wollte die Erhöhung der Grundsteuer und der Biersteuer in Gaststätten nicht mittragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen