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Berlin lässt sich gerne bitten

Von einem deutschen Angebot, beim Afghanistan-Einsatz der UNO eine Führungsrolle zu übernehmen, will man in der Hauptstadt nichts wissen

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Für die Bundesregierung ist es ein unangenehmes Thema. Kurz vor Weihnachten wird der Kanzler der Bevölkerung vielleicht wieder einmal einen Militäreinsatz bekannt geben müssen. Diesmal in Afghanistan, als Teil einer internationalen Schutztruppe. Weil man ungerne über Dinge spricht, die noch im Fluss sind, ist Uwe-Carsten Heye, der Regierungssprecher, zurückhaltend. Solange der UN-Sicherheitsrat keine Entscheidung gefällt habe, „lohnt es nicht, darüber zu diskutieren“, sagte er gestern in Berlin. So viel aber wird bekannt gegeben: Ein „robustes Mandat“ für die Truppe sei aus Sicht der Bundesregierung „mehr als sinnvoll“, so Heye. Das sei nicht als Bedingung, sondern „mehr als eine Empfehlung“ zu verstehen.

Gestern Mittag tagte ein deutlich verkleinertes Sicherheitskabinett, sowohl der Außen- als auch der Innenminister weilten nicht in Berlin. Doch die Anwesenheit von Verteidigungsminister Rudolf Scharping und Generalinspekteur Harald Kujat ließen darauf schließen, dass der Kanzler über ein mögliches deutsches Kontingent für die Schutztruppe informiert wurde.

Dass die Deutschen dabei sein würden, zeichnete sich ab, bevor Gerhard Schröder am Ende der Afghanistan-Konferenz Deutschlands Bereitschaft zur Friedensmission bekundete. Schon während der Tagung auf dem Petersberg bei Bonn hatten Spitzenvertreter, darunter aus dem afghanischen Königshaus, eine starke Rolle Berlins angemahnt. Die Stationierung von Blauhelmen, die nur sich selbst verteidigen können, ist in Berlin offenbar frühzeitig ausgeschlossen worden. Zu frisch sind die Erinnerungen an die Neunzigerjahre, als in Bosnien-Herzegowina die UN-Truppe serbische Massaker an Muslimen bei Srebrenica dulden musste.

Scharping soll derweil auf eine auf zwei Jahre befristete, mit einem robusten Mandat ausgestattete UN-Mission drängen. Experten ist ohnehin klar: Afghanistan in seiner unüberschaubaren Lage braucht eine Truppe, die im Ernstfall dazwischengehen kann, also auf Grundlage von Kapitel 7 der UN-Charta operiert. Gestern verwies Heye indirekt auf die Petersberger Beschlüsse, wonach die Truppe die für ein halbes Jahr eingesetzte Übergangsregierung schützen soll: „Um diesen Zeitrahmen geht es.“

Führungsrolle für Deutschland?

Doch was, wenn die Lage in Afghanistan sich nicht entspannt, sondern verschärft? Wird sich die Bundesregierung dann wie im Falle Mazedoniens mit einer Verlängerungfrist behelfen? Dem Einsatz deutscher Soldaten in einer internationalen Schutztruppe müsste der Bundestag ohnhin zustimmen. Wann das geschieht, ist unklar. Mit einem Beschluss des UN-Sicherheitsrates sei „mehr zum Ende dieser Woche hin“ zu rechnen, meinte Heye gestern.

Käme es so, wäre eine parlamentarische Befassung in der derzeitigen, letzten regulären Sitzungswoche unwahrscheinlich. Also dürften die Abgeordneten sich wohl in Bereitschaft halten und müssten möglicherweise vor dem 24. Dezember zu einer Sondersitzung des Bundestages nach Berlin reisen. Über was für ein Mandat sie entscheiden, wird letztlich die UNO festlegen. Die Bundesregierung, heißt es inoffiziell, hält die Situation in Afghanistan für so kompliziert, dass sie das UN-Mandat für den Einsatz auf Kabul, den Flughafen und die dahin führende Verbindungsstraße beschränkt haben möchte. Zu größeren logistischen Leistungen dürfte es angesichts des Truppenkontingents von 3.000 Mann in dem Gebirgsstaat wohl auch nicht reichen. Der deutsche Anteil daran könnte 800 bis zu maximal 1.200 Mann umfassen, wenn auch das Verteidigungsministerium sich gestern nicht zu Zahlen äußern wollte.

Bleibt die Frage, wer die Schutztruppe führen wird. SPD-Generalsekretär Franz Müntefering nannte gestern ein deutsches Kommando „nicht wahrscheinlich“ – wohl eine Reaktion auf Mutmaßungen der letzten Wochen, wonach der Bundesregierung von den USA die Führungsrolle angetragen worden sein soll und diese wenig Neigung zur Annahme zeigte. Gestern Abend wurde US-Außenminister Colin Powell beim Kanzler erwartet. Womöglich wurden dort auch Dissonanzen beseitigt, die in den letzten 48 Stunden durch Agenturmeldungen hervorgerufen wurden. Powell war mit der Bemerkung zitiert worden, Schröder habe von sich aus die Führungsrolle in einer Schutztruppe angeboten.

Ein Manöver der USA, um die zögerlichen Deutschen stärker in die Pflicht zu nehmen? Heye war gestern kurz angebunden: „Das ist mir überhaupt nicht bekannt, dass sich Deutschland angeboten hat.“ Die Briten werden für eine Führungsrolle ins Spiel gebracht (s. Kasten oben), auch wenn deren Einsatz durch Afghanistan-Abenteuer zu Kolonialzeiten belastet ist. Bleiben muslimische Staaten, von denen in den letzten Tagen aber wenig gesprochen wurde.

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