: Modisch ausführliche Darstellungen
Nachhaltige Irritation um liberté, égalité, sexualité: Virginie Wagons „Das Geheimnis“ Von Dirk Schneider
Fast schon scheint es für den anspruchsvollen europäischen Film zum guten Ton zu gehören, dann, wenn von Intimität erzählt wird, auch Sex zu zeigen. Vor allem in Frankreich ist das Phänomen verbreitet, und es sind oft Frauen, die sich dabei einer eindeutigen Bildsprache bedienen. Entspringt diese Lust, nackte Körper auf der Leinwand zu zeigen, dem verständlichen Wunsch, einen weiblichen Blick auf Sexualität zu etablieren? Auffällig ist jedoch auch, dass diese Darstellungen meistens schrecklich banal wirken und kaum etwas von den Gefühlen zu transportieren vermögen, die da im Spiel sein sollen. Und das gilt wiederum für die Inszenierungen von Regisseurinnen und Regisseuren, seien es Catherine Breillat oder Jean-Marc Barr, Patrice Chéreau oder nun auch Virginie Wagon.
Die Geschichte von Wagons Debütfilms Das Geheimnis ist kaum der Rede wert: Marie, Ende dreißig, verheiratet, ein Kind, arbeitet als Vertreterin für eine Enzyklopädie und lernt bei einem Verkaufsgespräch den Amerikaner Bill kennen. Der verwickelt sie in eine Unterhaltung über die Liebe und das Leben. Marie besucht ihn erneut und fängt schließlich eine Affäre mit ihm an. Sie gesteht es ihrem Mann François, besteht aber darauf, sich weiter mit Bill zu treffen.
Dieser ist nun ausgerechnet das fleischgewordene Abbild dessen, wovon frustrierte Ehefrauen nun einmal zu träumen haben: Ein Hüne von einem Schwarzen, ist er auch noch Tänzer, ein sensibler Künstler also. Der Sex mit ihm ist großartig, und gleich danach sehen wir Marie mit François im Bett, sie hat die Augen offen und lässt es über sich ergehen. Wer hätte bezweifelt, dass der schwarze Tänzer der bessere Liebhaber ist als der Gatte nach acht Jahren Ehe? Schon der Auftakt zur Affäre war von unfreiwilliger Komik: Bei Maries drittem oder viertem Besuch bekommt Bill einen Anruf. Während man seine Stimme hört: „Wie ist es in New York? Heiß? Feucht?“ sehen wir, wie sie sich langsam ihrer Kleider entledigt.
Ob die ausführlichen Darstellungen des Liebesspiels nun einer Mode geschuldet sind oder ob Sex nun einmal die Sprache der Liebe ist, sei dahingestellt. Oder vielleicht auch der Spiegel einer Beziehung oder Projektionsfläche für ein erfülltes Leben. Nur muss einen der unsichere Umgang mit dem Thema wundern, wenn man sieht, wie viel spannender dagegen die Erzählung von der Krise zwischen Marie und Francois ist, die Schilderung von Maries Gewissenskonflikten, eingeklemmt zwischen Mann, Kind und Beruf.
Eine Frage hat Bill ihr gestellt: Kann man sich nach acht Jahren noch lieben? Marie gibt die Frage an Francois weiter, und es ist sicher kein Zufall, dass diese Szene an eine Gauloises-Werbung erinnert: Sie liegen zusammen im grünen Gras, François auf dem Rücken im gelben Sweater, sie neben ihm im Sommerkleid, man denkt: Ah ja, liberté toujours. Dabei dämmert einem, wie schwierig so ein Gespräch ist, was für ein Risiko darin steckt, mit dem Liebsten über die Möglichkeit von Freiheit zu reden. Denn das bedeutet immer auch, bestehende Unfreiheiten zu thematisieren, und in der Konsequenz, das schöne Leben, das das bequeme ist, zu zerstören.
Das Geheimnis erzählt von der Unmöglichkeit eines Ausbruchs aus der sogenannten Mitte des Lebens, ohne alles zu zertrümmern. Marie macht kaputt, was ihr am wichtigsten war, und verletzt die, die sie liebt. Und dabei steht sie ziemlich einsam da, Bill ist nicht einmal ihr neuer Lebensgefährte, sondern nur ihr Liebhaber. Man glaubt ihr, wenn sie gegenüber Francois beteuert, dass sie das nur für sich allein tue.
Virginie Wagon verzichtet auf eine Auflösung der Geschichte. Wir erfahren nicht, ob Marie ihre Ehe rettet oder was mit Bill passiert. Hier müssen wir selbst weiterdenken, die Lücken füllen. Und gerade die Uneindeutigkeit ist es doch, deretwegen manche Filme uns so beschäftigen – und deretwegen auch die Bilder erst anfangen, uns mehr zu erzählen, als wir ohnehin schon wissen.
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