Stefan Heym ist tot

Gestern starb Stefan Heym an Herzversagen. Die taz druckt einen Auszug aus Heyms Buch „Nachruf“, die Schilderung eines Treffens mit dem Nachrufschreiber der „New York Times“

BERLIN taz ■ An einem Herbsttag Anfang der siebziger Jahre rief die New York Times an: ob ich bereit wäre, einem ihrer Mitarbeiter, Alden Whitman, ein Interview zu geben. [. . .]

Merkwürdig berührte mich nur, daß Whitman sich so ausgiebig mit den Präliminarien beschäftigte, statt zu einem Interview zu kommen; er verbreitete sich über das ehrwürdige Alter seines Blattes und dessen Ruf, der über den Erdball reichte, und wie die Redaktion auf den sorgfältigsten Recherchen bestehe, so daß der Inhalt der Spalten der New York Times in kommenden Jahrhunderten noch den Historikern als Referenzmaterial dienen werde und daher gewissermaßen von Ewigkeitswert sei.

Da begann mir’s zu dämmern. „Ach, der Whitman sind Sie“, sagte ich, „und Sie besuchen mich, um mein Obituary zu schreiben, meinen Nachruf!“ [. . .]. Das Makabre der Situation schwand, bevor Whitman noch im Ernst zu fragen begann: die Stimmung zwischen uns zweien war heiter, ja fast ausgelassen; im Geplauder mit Whitman verlor die große Stille, die dann sein würde, ihre Schrecken, und außerdem war mir bewußt, daß ein Whitmansches Obituary mich in den Kreis jener Erlauchten erhob, deren Unsterblichkeit gesichert war, solange Papier und Druckerschwärze hielten.

Dann waren wir am Ende; wir tranken einen, und er sagte, dies werde eines der meisterlichsten seiner Meisterstücke werden, und ich fragte, wann ich denn nun einen Bürstenabzug haben könnte; [. . .]

Er wehrte ab. Dies nicht. Nie und nimmer. Wie lieb der eine oder andere ihm, Whitman, auch sei und wie prominent auch: vor seinem Ableben, das sei Grundsatz der New York Times, bekäme keiner der dereinstigen Verstorbenen seinen Nachruf zu lesen.

Alden Whitman ist tot; ich weiß nicht, wer ihm seinen Nachruf verfaßte für die Times, es sei denn, er schrieb ihn noch selber, [. . .]. Ich habe, jedesmal wenn ein Times-Mann vorsprach, mich zu interviewen, diesen gebeten: mein Obituary, veranlassen Sie doch, daß ich es endlich zu sehen kriege; und jedesmal kam nur das Achselzucken: Sie wissen doch, Mr. H. . .

So wird man denn warten müssen mit der Lektüre von Alden Whitmans Nachruf auf mich, bis ich das letzte Stück meines Wegs getragen worden bin. Unterdessen mag der geneigte Leser mit diesem Buch vorliebnehmen.

Stefan Heym

Auszug aus dem letzten Kapitel von Stefan Heyms „Nachruf“, Bertelsmann Verlag München, 850 S., 48 DM, Taschenbuchausgaben bei Fischer und btb