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barbara dribbusch über GerüchteAlles eine Frage des Fuck-you-money

Jahresrückblick: Die Verbraucher haben zu wenig verbraucht. Leiden sie, oder sind sie etwa zu glücklich?

Alles hängt an der Konjunktur, niemand kann sich einfach ausklinken. Denn Konjunktur, so lehrt der Duden, ist nichts anderes als die „sich aus der Verbindung verschiedener Erscheinungen ergebende Lage“. Doch wer sorgt für die richtige Verbindung? Im Moment hoffentlich meine Freundin Britt. Ich klebe an einem Kletterfelsen, sie hat mein Seil in ihren Karabiner eingeklinkt und sichert mich von unten.

Über die zwei letzten Griffe im Kunstfels ziehe ich mich nach oben, die Endorphine schwappen durchs Hirn. Wie schön, dass Schwerkraft immer und überall kostenlos vorhanden ist. Schließlich macht beim Klettern der Abstieg genauso viel Spaß wie der Aufstieg – und das hat man nicht überall. Mit ein paar großen Abschwüngen sause ich am Seil hinunter und lande vor Britts Füßen. „Was wir hier machen, ist doch schädlich für die Konjunktur“, sage ich, „Spaß haben, ohne zu konsumieren.“ Am Nachmittag hatte ich wieder eine dieser Wirtschaftsmeldungen gelesen: Leider halten sich die Verbraucher beim Konsum zurück. Man fühlt sich gleich ein bisschen schuldig.

Schließlich sind die Verbraucher dieses Jahr wiederentdeckt worden, in all ihrer Empfindsamkeit. Während im vergangenen Jahr noch das Gerücht herumging, die Wirtschaft hänge vor allem an der Metaphysik der Finanzmärkte, ist in diesem Jahr, spätestens nach dem 11. September, die Verbraucherseele in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Der Verbraucher oder vielmehr die Verbraucherin sei depressiv geworden, heißt es. Doch wenn der Kapitalismus die Psychomasche nutzt, ist immer Vorsicht geboten.

„Alles, was Spaß bringt oder gar glücklich macht, kostet nun mal wenig oder gar nichts“, meint Britt, während sie sich ins Seil einklinkt. Wir haben kürzlich mal eine Liste erstellt über Dinge, die gute Laune machen (und bei denen man nicht davon abhängig ist, dass der oder die Angeschwärmte zum richtigen Zeitpunkt anruft). Also, was stand auf der Liste? Gemeinsam kochen und dann nachts um eins angeheitert in der Tanzbar auftauchen. Eine Klettertour im sechsten Grad beim ersten Versuch schaffen. Beim Klavierhändler auf einem Steinway B 211 spielen und so tun, als könne man sich ein Instrument für 100.000 Mark leisten. Sich überlegen, warum man jemanden gut findet, den man gut findet. Radeln statt U-Bahn. Alles auf der Liste war erstaunlich billig.

„Geld ist doch nur wichtig, um ein Gefühl von Sicherheit und Überlegenheit zu bekommen“, sagt Britt und entschwindet am Kletterfelsen nach oben. Britt hat meist diese etwas zu weiten Armeehosen an („die lassen mich magerer wirken“) und in Gelddingen nur ein Ziel: Irgendwann mal genug fuck-you-money zu haben.

Fuck-you-money, FYM abgekürzt, nennen die Amerikaner jene Rücklagen, die man braucht, um sich im Kapitalismus sicher zu fühlen. Wer einige zehn- oder besser hunderttausend Mark besitzt, kann einem lästigen Chef eiskalt ins Gesicht sagen: „Fuck you, ich kündige!“ und sich andere Freiheiten nehmen. Mit FYM auf dem Konto wirst du ein Mensch. Nicht unbedingt aber ein Verbraucher.

Nicht nur die sparsame Britt, auch ich habe mich in diesem Jahr konjunkturschädlich verhalten und mehrfach gesündigt. Ich weiß noch, wie ich im KaDeWe dieses taubengraue teure Kostüm von Joseph Janard anprobierte. Eigentlich sah es gar nicht so schlecht aus. Nur leider gab es in diesem Jahr nur drei Anlässe, bei denen ich in diesem Kostüm nicht als overdressed aufgefallen wäre. Vor den enttäuschten Blicken der Verkäuferin hängte ich es wieder auf die Stange.

„Wenn du teure Markenklamotten trägst, wirkst du gleich zehn Jahre älter“, hat mir Britt mal erklärt. Da ist was dran: Als mein Bekannter J. in einer dieser gewienerten Markenlederjacken für 1.000 Mark auftauchte, sah er plötzlich aus wie ein Fünfziger, der 1.000 Mark für eine Lederjacke ausgibt. Irgendwie unsexy. Auch Pelz kann man schließlich nur tragen, wenn man höchstens zwanzig ist.

Britt hat am Überhang des Kunstkletterfelsens ihre letzten Energien verbraucht. „Die Griffe sind der Horror, die geben ja kaum Halt“, stöhnt sie, als sie wieder unten steht. Ihre Augen strahlen. Für heute Abend sind wir fertig. Jetzt noch ein paar Schluck Tee, dann müssen wir noch was tun für die Konjunktur.

Ich werde ins KaDeWe fahren, um zusätzliche Weihnachtsgeschenke für die Kinder zu kaufen. Weihnachten kann ich die aufgelaufene Schuld an der Konjunktur wenigstens ein bisschen abtragen. Schließlich bin auch ich dafür verantwortlich, dass die Wirtschaft glücklich ist.

Fragen zu Gerüchten?kolumne@taz.de

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