: Helden und Heulsusen
Im Krieg verfestigen sich die traditionellen Geschlechterbilder. Frauen verschwinden als Handelnde vom Bildschirm - und tauchen als Opfer wieder aufvon RUTH SEIFERT
In den USA kursierte nach dem 11. September in Rundfunk und Medien ein Gedicht, das mit den Worten endete: „We became one people. We are one color, one class, one generation, one gender, one faith, one language, one body, one family, one soul, one people. We are the power of one. We are united. We are America.“
Die Vorstellung, dass die Nation eine Totalität und eine körperliche Einheit ist, in der Rassen-, Klassen- und Geschlechterunterschiede aufgehoben sind, illustriert plastisch eine Dynamik, die typisch für Krisen- und Konfliktzeiten ist. In Vorkriegszeiten wird die Gemeinschaft beschworen und zusammengeführt, da Kriege unabhängig von den Konfliktursachen eine starke Gemeinschaftsidentifikation erfordern. Ohne gesellschaftliche Legitimation und ohne gesellschaftlichen Rückhalt lässt sich kein Krieg führen. Die Identifikation der Gemeinschaft mit dem Krieg muss symbolisch produziert werden; die Emotionen der Menschen müssen erreicht werden. In Friedenszeiten kann der Homogenitätsgrad der Gesellschaft variieren; in Kriegs- und Krisenzeiten muss die nationale Einheit betont, müssen „nichtnationale“ (oder gegebenenfalls, wie stellenweise im aktuellen Szenario, “nichtkulturelle“) Zugehörigkeiten wie Rasse, Klasse, Ethnizität oder Geschlecht als bedeutungslos erklärt werden.
Andererseits aber stehen der Behauptung der Einheitlichkeit der Nation (oder des Kulturkreises) real viele nationale Subjektivitäten, also eine Vielzahl von gesellschaftlichen Gruppierungen, Identitäten, Ethnizitäten und mindestens zwei Geschlechter, gegenüber. Und während einerseits in Zeiten kriegerischer Konflikte die Einheit der Nation beschworen wird, ist es andererseits für Zeiten nationaler Bedrohung ebenfalls typisch, dass Diskurse über die Geschlechterdifferenz Aufschwung erhalten. Genauer gesagt: Entstehungsphasen kriegerischer Konflikte sind in aller Regel gekennzeichnet durch einen Bedeutungsgewinn der Kategorie Männlichkeit und einen Bedeutungsverlust der Kategorie Weiblichkeit.
Auch diese Dynamik lässt sich derzeit in den USA und anderen westlichen Ländern beobachten. So stellte der konservative National Review am 21. September fest, dass nach den Attacken auf New York die Feuerwehrleute „nicht nur Heldenmut gezeigt, sondern auch ihr Geschlecht ausgezeichnet hätten“. Triumphierend wird vermerkt, dass die nationale Krise die Grenzen des Geschlechts deutlich gemacht hätte. Frustrierte Reporter hätten verzweifelt, aber erfolglos nach einer kampferprobten (“battle-scarred“) Frau gesucht, um sie als politisch korrekte Heldin von Manhattan zu präsentieren. Gefunden hätten sie allerdings nur Männer, „die die gefährliche, anstrengende und schmutzige Arbeit erledigten, die nur Männer erledigen können“.
Die Konstruktion von Weiblichkeit als marginal in Kriegs- und Krisenzeiten, die sich hier zeigt, kann durch andere Beispiele belegt werden. So führt die Nationalismusforscherin Tamar Mayer die Tatsache, dass Frauen im israelischen nationalen Diskurs immer von untergeordneter Bedeutung waren, auf die Zentralität der Kriegs- und Verteidigungserfahrung im israelischen Alltag zurück. Frauen (die in der Zahl, von ganz wenigen Ausnahmen neueren Datums abgesehen, nur in kampffernen Positionen Dienst tun) würden in Israel als für die Verteidigung des Landes weitgehend bedeutungslos wahrgenommen. In der Folge hätte sich ein fast ausschließlich männlich konnotierter nationaler Heldenkult entwickelt. Frauen haben im „Pantheon der männlichen Helden“, so Mayer, das in Kriegs- und Krisenzeiten aufgebaut wird, keinen Platz. Das gilt, wie obiger Überblick über die Medienlandschaft uns zeigt, offenbar nicht nur für Israel.
Auf einen weiteren Aspekt der Marginalisierung von Weiblichkeit im aktuellen Szenario verweist Madeleine Bunting in einem Artikel, der am 20. September im Guardian erschien. Sie analysierte die ersten fünf Seiten der wichtigsten englischen Tageszeitungen The Times, The Guardian, The Daily Telegraph, The Daily Mail und The Sun nach dem 11. September und stellte fest, dass die Anzahl der weiblichen Autoren in allen Zeitungen im Vergleich zu den Vortagen dramatisch gesunken war. Ähnliches fand sie im Rundfunk- und Fernsehbereich: Auch dort kam es in der Zeit nach dem 11. September zu einem Verschwinden der Frauen aus Nachrichtensendungen, Diskussionsrunden und Talkshows über den anstehenden militärischen Konflikt. Eine Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 12. November lässt vermuten, dass ähnliche Geschlechterdynamiken in Deutschland am Werke sind. Demnach gab es nach dem 11. September in den Reihen der Union Geraune darüber, dass (neben allen anderen Einwänden) dies nun wirklich keine Zeiten mehr für einen weiblichen Kanzlerkandidaten seien. Diese Beispiele aus dem aktuellen Szenario legen nahe, dass die Dynamik kriegerischer Konfliktaustragung und die Verhältnisse der Geschlechter miteinander verschränkt sind - eine Einsicht, die in den angelsächsischen International Relations Studies, in der Friedens- und Konfliktforschung und den militärbezogenen Sozialwissenschaften der angelsächsischen Länder mittlerweile zur Grundausstattung gehört, während die Kategorie Gender in den deutschsprachigen einschlägigen Disziplinen immer noch ein analytischer Newcomer ist. Kriegerische Konflikte und gewaltsame politische Auseinandersetzungen, so die grundsätzliche Aussage einer geschlechtssensiblen Analyse, sind gendered. Der griffige englische Begriff ist entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis kein Synonym für „Frauen“. Er bezeichnet im Zusammenhang mit gewaltsamen politischen Konflikten einerseits den Umstand, dass Kriege und Konflikte ohne Berücksichtigung der Geschlechterordnung nicht umfassend erklärt werden können, und verweist andererseits darauf, dass Männer und Frauen vom Verlauf und vom Austrag kriegerischer Auseinandersetzungen verschiedenartig betroffen sind. Anders als der deutsche Begriff Geschlecht, der nolens volens biologistische Assoziationen evoziert, macht der Begriff Gender deutlich, dass Geschlecht keine Eigenschaft ist, die aus den Körpern herausspringt, sondern die in sie hineinkonstruiert wird. Wenn dem aber so ist, dann wird es besonders interessant zu beobachten, wie Gender in Zeiten, in denen sich eine Nation als bedroht wahrnimmt, konstruiert wird und wie Männlichkeit und Weiblichkeit im nationalen Kontext verortet werden.
Im derzeitigen Szenario scheint klar: Wenn es zu Fragen von Krieg und Militäreinsatz kommt, sind Bestrebungen zur Gleichstellung und gender mainstreaming ad acta gelegt: Zwar wurde im oben zitierten Gedicht akklamiert, die Nation sei nach Attacken des 11. September „one gender“. Aber dieses „one gender“ ist paradoxerweise nicht geschlechtslos: „One gender“ wird modelliert nach den Vorgaben dessen, was Robert Connell “hegemoniale Männlichkeit“ nennt. Als wegweisend und verbindlich werden politische Standpunkte gesetzt, die kaum argumentativ, sondern über einen Habitus verkauft werden, der Entschlossenheit, Autorität, Durchsetzungswillen, Gewaltbereitschaft und den Besitz von Erkenntnissen und Einsichten signalisiert, die, so wird suggeriert, von Gleichgearteten problemlos und ohne anstrengende Erläuterung nachvollzogen werden können. Diesen hegemonialen Standpunkten haben sich untergeordnete Geister zu fügen. Davon abweichende Positionen werden feminisiert und damit ausgegrenzt und diskreditiert.
Die geschlechtsspezifische Konnotation dieser Standpunkte zeigt sich neben dem spezifischen Habitus, in den sie eingebettet sind, auch an den eingesetzten Begrifflichkeiten, die die Gegner diskreditieren und ihre Autorität und Ernsthaftigkeit unterminieren sollen. Dazu gehört der Vorwurf der Feigheit - immer noch ein Synonym für Unmännlichkeit -, der in Bushs Reden in variierter Form auftauchte, oder in der deutschen Politik der Vorwurf der Irrationalität und Unvernunft oder - in besonderer Weise gendered - der der „Heulsuse“, wie er weiblichen Kritikern der hegemonialen Politik entgegengebracht wurde. Was am eigenen Standpunkt im Gegensatz zum gegnerischen „rational“ und „vernünftig“ ist, muss dabei offensichtlich nicht mehr nach Maßgabe der in unserem Kulturkreis gültigen Rationalitätsstandards ausgewiesen werden, sondern erheischt Gültigkeit allein mithilfe des Habitus einer hegemonialen Männlichkeit.
Aber Gender im Kontext von politischen Krisen und gewaltsamem Konfliktaustrag ernst zu nehmen, bedeutet mehr, als die kulturelle Verortung und Diskursivierung von Gender in Kriegszeiten zu beobachten und zu analysieren. Es bedeutet darüber hinaus auch, dem komplexen Zusammenhang von Genderdynamiken, Kriegsdynamiken sowie ökonomischen, sozialen und kulturellen Problemlagen nachzuspüren und ihre Verschränkungen und Bedingungsverhältnisse zu untersuchen.
Wie das aussehen kann, zeigt eine bestechende Studie von Marina Blagojevic, die die Genderprozesse in Serbien vor, während und nach dem Krieg untersucht hat und die die komplexen Konstruktionsprozesse und Wechselwirkungen von Gender unter konfliktuösen gesellschaftlichen Bedingungen verdeutlicht. Die Umwälzungen im Vorkriegsjugoslawien, so Blagojevic, waren nachhaltiger und für die Lebensentwürfe der betroffenen Individuen destruktiver, als es im offiziellen politischen Diskurs den Anschein erweckte. Sie hatten massive Auswirkungen auf die kulturellen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit sowie auf die sozialen Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Die traditionelle männliche Rolle als Familienvorstand, Versorger und berufstätiger Mann, die aufgrund der ökonomischen Entwicklung bereits in den Achtzigerjahren schweren Schaden genommen hatte, verlor in den Neunzigern völlig an gesellschaftlicher Bedeutung. Eine rasante Deprofessionalisierung, ausgelöst durch Globalisierungs- und Technisierungsprozesse, hatte aus zwei Gründen verheerendere Auswirkungen auf die männliche als auch auf die weibliche Arbeitsbevölkerung: Die neu entstandenen ökonomischen Sektoren favorisierten Frauen gegenüber Männern, und Frauen passten sich aufgrund einschlägiger Sozialisation und flexiblerer Genderkonstruktionen schneller und geschmeidiger an die Situation an. Der Sektor der informellen Ökonomie wurde zu einer weiblichen Domäne.
In der Folge hing die Versorgung der Familien seit den Achtzigern in weitem Maße von den Ressourcen der Frauen und weiblichen Versorgungsnetzwerken ab. Die Masse der Männer war weder im Besitz von politischer noch von ökonomischer Macht. Ein massiver Anstieg des Alkohol- und Drogenkonsums bei Männern im Serbien der späten Achtziger- und Neunzigerjahre, eine Verringerung der männlichen Lebenserwartung sowie ein Anstieg der häuslichen Gewalt zeigen nach Blagojevic die Reaktionsweise eines in ihren Worten „aus den Fugen geratenen Patriarchats“.
Die besondere Brisanz dieser Entwicklungen lag, folgt man der Analyse von Blagojevic, darin, dass im Kontext des ehemaligen Jugoslawiens keine für die Mehrheit der Männer lebbaren Männlichkeitspositionen mehr im sozialen und kulturellen Angebot waren. Während Frauen in einer Situation des sozioökonomischen und kulturellen Zusammenbruchs auf die im traditionellen Bestand vorhandenen Weiblichkeitsvorstellungen wie Mutter oder Ernährerin zurückgriffen und eine in der Kultur des Balkans angelegte „Ideologie des Opferbringens“ revitalisierten, lebten Männer in einem undefinierten Vakuum. Die bislang gelebte Praxis als Berufstätiger, Familienvorstand, politisch Verantwortlicher war kaum mehr zugänglich; Alternativen aus dem traditionellen kulturellen Bestand waren “Soldat für das Vaterland“ beziehungsweise Kämpfer.
In einer Gesellschaft, in der Individualisierungs- oder Pluralisierungsprozesse nicht auf breiter Ebene stattgefunden hatten, standen offenbar kaum subjektive oder identitäre Ausweichpositionen zur Verfügung. Diese Situation führte nach Blagojevic dazu, dass männliche Macht nur mehr als Phantasma existierte und keiner Realität im sozioökonomischen Raum entsprach. In dieser Situation sozioökonomischen Verfalls und kultureller Desorientierung kristallisierte sich eine Männlichkeitsdynamik heraus, die als Versuch der Rück- oder Neugewinnung männlicher Machtpositionen gegenüber Frauen in Politik und Gesellschaft und der Stabilisierung von Identität unter Zuhilfenahme traditioneller Männlichkeiten interpretiert werden kann.
Diese Genderdynamiken waren keine Kriegsursachen im engeren Sinne; sie schufen aber subjektive Voraussetzungen für die Neigung zum kriegerischen Konfliktaustrag und sind somit als wesentlicher Baustein für das Verständnis des Entstehungskontextes kriegerischer Konflikte zu betrachten. Blagojevic Analyse macht klar, dass der Zusammenhang von Gender und kriegerischem Konflikt nicht einer simplen Ursache-Wirkung-Beziehung zuzuschreiben ist, sondern nur in einer Zusammenschau von kulturellen Konstruktionen, Sozialisationsprozessen, Interessenlagen und Machtpositionen sowie sozioökonomischen Entwicklungen Sinn ergibt.
In der frühen feministischen Analyse gab es bei der Frage nach dem Zusammenhang von Geschlecht und Krieg immer wieder Versuche, aus dem Konstrukt Männlichkeit alle Übel des Krieges herzuleiten. Männlichkeit wurde dabei verstanden als biologisch oder sozialisatorisch begründete Identität, die eine Neigung zu oder sogar Lust am gewaltsamen Konfliktaustrag beinhaltete. Davon setzt sich die genderorientierte Analyse ab. Gender ist keine Erklärungsvariable in letzter Instanz, aber dennoch ein unverzichtbarer Baustein, wenn wir ein Gesamtbild von jenen Entwicklungen gewinnen wollen, die in Gesellschaften schließlich zum kriegerischen Konfliktaustrag führen.
Nach den Hintergründen und Bedingungsfaktoren kriegerischer Konflikte zu fragen bedeutet auch nachzuvollziehen, auf welche Weise sich ökonomische, politische oder militärische Entwicklungen mit Genderkonstruktionen verbinden und wie auf dem Hintergrund bestimmter (Gender)diskurse gesellschaftliche Erfahrungen subjektiv verarbeitet werden.
Im aktuellen Mobilisierungsszenario wäre es vor dem Hintergrund des oben Gesagten lohnend, folgenden Fragen weiter nachzugehen: Welche Rolle spielt in den aktuellen politischen Diskursen die Kategorie Gender? Welche Gewinne und Kosten bringt das aktuelle Konfliktszenario für Männer und Frauen? Auf welche Weise appellieren die vorgenommenen Konstruktionen von Gender an männliche und weibliche Identitäten? Welche Genderdiskurse werden in der Politik und in militärischen Organisationen entwickelt und verfolgt? Und last but not least: Wie verhalten sich konkrete Männer und Frauen dazu? Antworten auf diese Frage würden nicht nur Auskunft geben über derzeitige diskursive Entwicklungen im Spannungsfeld Gender-Krieg-Militär, sondern auch ein Licht darauf werfen, wie die Geschlechterverhältnisse in unserer Gesellschaft beschaffen sind, welche Dynamiken von Männlichkeit und Weiblichkeit identifiziert werden können, was die Ursachen dafür sein mögen und welche zukünftigen Entwicklungen wahrscheinlich sind.
Literatur Blagojevic, Marina: „Gender and Survival: Serbia in the 1990s“, in: Andrea Peto/Bela Rasky (eds.): „Construction. Reconstruction. Women, Family and Politics in Central Europe“, Budapest 1999. Mayer, Tamar (ed.): „Gender Ironies of Nationalism. Sexing the Nation“, London 2000.
Hinweis Marina Blagojevic ist zurzeit Gastprofessorin in Hildesheim.
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