: „Schenken ist stabilisierend“
Kaum ist das Packpapier verstaut, quälen Fragen: Wohin mit den Präsenten? Warum überreicht Oma Erna immer das Gleiche? Ein Beratungsgespräch mit dem Geschenkeforscher Friedrich Rost
Interview ULRICH SCHULTE
taz: Meine Großtante hat mir wie in jedem Jahr Wollsocken geschenkt. Selbst gestrickt. Was will sie mir damit sagen?
Friedrich Rost: Zunächst: Ich habe an dich gedacht. Du bist mir immer noch die Arbeit und Lebenszeit wert, die in diesen Fußwärmern steckt. Wenn Sie sie allerdings ungern anziehen, sollten Sie Ihre Tante taktvoll darauf aufmerksam machen.
Nicht nötig, ich trage sie tatsächlich gern.
Tun Sie das mit einem gewissen Stolz. Nur 15 Prozent der deutschen Geschenke sind Eigenkreationen, in den USA sind es noch weniger: lediglich 2 Prozent.
Reden wir über gekaufte Gaben. Welche Botschaft enthält die geblümte Seidenkrawatte für den Ehemann?
Hm. Die Frau möchte wahrscheinlich ausdrücken: Du sollst mir gefallen. Ich finde diese Krawatte todschick und möchte dich gern mit ihr sehen.
Nicht: Du bist mir egal?
Nein. Viele Frauen sind der Meinung, dass Männer keinen Geschmack haben. Deswegen wollen sie oft die Kleidungsstücke selbst aussuchen. Das kann natürlich ins Auge gehen, wenn die Frau ebenfalls geschmacklos kauft und der Mann sich im Kollegenkreis lächerlich macht.
Was ist die Aussage von Nougatpralinen für die diätengequälte Gattin?
Ein ambivalentes Geschenk. Aber im Grunde genommen sagt es: Du bist mir so recht, wie du bist. Denn sonst würde der Mann Schlankheitspillen auf den Gabentisch legen.
Die hätten eine ähnliche Wirkung wie Stützstrümpfe für die Schwiegermutter.
Stimmt, die besinnlichen Tage wären nach der Bescherung zu Ende. Eigentlich wirkt Schenken aber stabilisierend auf Beziehungen. Der Geber ist bemüht, der Nehmer ist aggressionsgehemmt, weil er etwas bekommt. Wenn er sich dann noch über das Geschenk freut, verschwinden selbst mögliche zwiespältige Gefühle beim Geber.
Wie werde ich Sachen los, womit ich nichts anfangen kann?
Zum Glück gibt es heutzutage Optionen jenseits des Mülleimers. Bei Ebay, der Internetauktion, kann man wunderbar Modelleisenbahnen, Krawatten und vielleicht auch Nougatpralinen versteigern. Aber das ist ein schwieriges Kapitel: In jedem Geschenk steckt ein Stück des Gebers. Wenn er dann erfährt, dass das mit Liebe Ausgewählte weg ist, gibt es Ärger. Oft erkundigen sich Tanten im Nachhinein: Wo ist die schöne Vase, die ich euch letztes Jahr geschenkt habe?
Wer schenkt, hat also eine Erwartungshaltung?
Das Thema ist sehr emotional besetzt, was einen historischen Hintergrund hat. Im Mittelalter überreichte ein gestandener Ritter – den nahen Tod vor Augen – dem Nachfolger seinen schweißgetränkten Waffenrock. Damit vermachte er ihm die eigene Kraft, nicht nur symbolisch. Man glaubte an Magie. Die Gabe diente zu mehr als der Erinnerung. Es ging nicht darum, einen speziellen Wunsch des Beschenkten zu erfüllen. Eigentlich stand eher der Geber im Mittelpunkt.
Gebrauchte Unterwäsche als Präsent ist heute out.
Derzeit liegen in den Wohnzimmern wohl eher DVD-Player, Sega-Konsolen und Wap-Handys. Das liegt am zunehmenden Konsumdruck. Schenken ist eine öffentliche Angelegenheit. In der Schule werden die Kinder nach den Ferien genau vergleichen, was sie bekommen haben. Aber es ist eine wichtige Erfahrung, dass man nicht alles bekommt, was man sich wünscht.
Kann auch ein unerwünschtes Geschenk lehrreich sein?
Tatsächlich wird ein Aspekt bei allen Enttäuschungen schnell vergessen. Manchmal müsste der Beschenkte darüber nachdenken, warum Selbst- und Fremdbild so voneinander abweichen. Vielleicht ist es hilfreich, in die Richtung zu schauen, in die das Geschenk weist.
In welche Richtung weisen meine Wollsocken?
Sind sie eher rustikal, diese Socken?
Total rustikal. Wobei – in der Farbgebung zeigt sich ein heiteres Rostrot . . .
Nun gilt zu überlegen, wie Sie kreativ damit umgehen. Bei Wollsocken assoziiere ich zuerst Wandern. Suchen Sie doch künftig mehr das Naturerlebnis. Oder basteln Sie im nächsten Jahr einen Adventskalender daraus.
Friedrich Rost, 52, Erziehungswissenschaftler an der FU, beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Präsenten. 1994 erschien seine Doktorarbeit mit dem Thema „Theorien des Schenkens“.
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