: Justiz ist Gift für die Nerven
Ein Schreiner erkrankt aufgrund von Holzschutzmitteln und verliert seine Arbeit. Weil er keinen Unterhalt zahlen kann, kommt er ins Gefängnis. Dort bricht er völlig zusammen. Jetzt will der Mann Schadensersatz. Das aber verhindert die bayerische Justiz
von REINER METZGER
Peter Röder hatte es eigentlich schon schwer genug erwischt. Der Schreiner aus einem Dorf bei Würzburg vergiftete sich bei der Arbeit mit Holzschutzmitteln. Doch dann geriet er auch noch in die Mühlen der Justiz. Die Haft ruinierte seine Gesundheit. Nun klagt der widerborstige Schreiner gegen den Freistaat Bayern. Der aber schmettert Röder immer wieder ab.
Begonnen hat Röders Leidensweg zwischen 1978 und 1982, als er in der Lehre war. Der bullige Mainfranke verarbeitete ständig dioxinhaltiges Holzschutzmittel wie das stark nervenschädigende Trichlorethylen – wie damals üblich ohne Schutz. Seine Arme wurden taub, er bekam Blutungen im gesamten Verdauungstrakt, brach häufig zusammen. Röder musste seinen Job aufgeben. Auch in anderen Betrieben erlitt er bei Kontakt mit Chemikalien immer wieder allergische, teils lebensbedrohliche Schocks. Seit 1996 ist er offiziell 100-prozentig arbeitsunfähig.
Dann bekommt Röder Ärger mit der bayerischen Justiz. Seine Exfrau zeigt ihn an, weil er keinen Unterhalt für ihr Kind zahlt. „Ich hatte damals 600 Mark im Monat“, sagt Röder, „ich konnte nicht zahlen.“ Bei der Verhandlung am Amtsgericht Gemünden hat er keinen Anwalt, ärztliche Atteste interessieren den Amtsrichter nicht. Er verurteilt Röder wegen Unterhaltspflichtverletzung und setzt die Strafe zur Bewährung aus. Die Bewährungsauflage heißt: „Arbeiten.“
Röder findet Arbeit, unter anderem als Schreiner, wird aber wegen seiner heftigen Reaktionen auf diverse Chemikalien oder Lacke immer wieder entlassen. In einem zweiten Unterhaltsverfahren wird er wieder verurteilt, wieder ohne Anwalt und wieder ohne Rücksicht auf die vorgelegten Gutachten.
Ein Teufelskreis beginnt: Das Gericht hat den Schreiner zum Arbeiten verurteilt. Doch weil der gesundheitlich dazu nicht in der Lage ist, kann er auch keinen Unterhalt zahlen. Folglich verstößt er gegen die Bewährungsauflage und wird zum 14. Oktober 1997 in die Justizvollzugsanstalt Aschaffenburg eingewiesen. Bei einer dritten Verhandlung, diesmal mit Anwalt und Gutachter, wird das Verfahren im Sommer 2000 eingestellt. Aber da ist es schon zu spät für Röders Gesundheit.
Der Richter am Amtsgericht Gemünden ist nicht etwa irgendein Provinzsturkopf, sondern Professor Rainer Paulus. Er ist ein bekannter und viel beschäftigter Jurist: Neben seiner Tätigkeit als Richter lehrte er zur Zeit des Prozesses an der Universität Würzburg und war Herausgeber eines Kommentars zur Strafprozessordnung. „Eigentlich ein guter Mann“, sagt ein Anwalt, der mit dem inzwischen pensionierten Paulus in Prozessen zu tun hatte. „Aber er konnte wütend werden, wenn ihn ein Angeklagter mit Widerworten oder Erklärungen aufhielt.“
Erklärungen wollen auch die Beamten in der JVA Aschaffenburg nicht hören. Obwohl Röder ein Attest vorweist, bekommt der „Simulant“ das gleiche Essen wie jeder andere Häftling. Erst drei Monate nach Haftantritt bekommt Röder nach Aussage von Mithäftlingen eine eigene Kochstelle und einen Wasserfilter für das gechlorte Anstaltswasser. Resultat des Wartens: dutzende von Kreislaufzusammenbrüchen, anhaltende Magen- und Darmblutungen, Nierenkoliken, lebensbedrohlich schwankender Zuckerspiegel. Seit der Haft gilt Röder als zu 50 Prozent schwerbehindert. Sein Nervensystem ist weiter geschädigt. Er riecht und schmeckt nichts, ist dauerhaft krankgeschrieben.
Im Gegensatz zu manch anderem Chemiekranken hat Peter Röder noch Kraft genug, sich zu wehren. Er verklagt die Anstaltsärztin unter anderem wegen Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung. Das Verfahren wird in letzter Instanz vom Oberlandesgericht Bamberg abgeschmettert: Der damalige und heutige Direktor der JVA Aschaffenburg sagt als Zeuge aus, dass Röder seine Hilfsmittel bereits seit Oktober 1997 bekommen habe, obwohl die Krankenakte dafür erst den 20. Januar 1998 vermerkt. Diese Akte wird von den Richtern nicht als Beweismittel hinzugezogen. Röders Anwalt kam nur durch Zufall an eine Kopie. Die JVA gibt das Dokument bis heute nicht heraus.
Der Grund für diese Zurückhaltung mag eine zweite Klage Röders sein. Nun will er den bayerischen Staat zivilrechtlich auf Schadensersatz verklagen. Doch für diese Klage muss Röder 5.000 Mark hinterlegen, die dem mittellosen Kläger fehlen. Deshalb kann er gegen den Freistaat Bayern nicht klagen. Röders Antrag auf Prozesskostenhilfe wird im September diesen Jahres elegant abgelehnt. Denn über den Antrag wird im Gegensatz zur Hauptverhandlung in einer nicht öffentlichen Anhörung entschieden, die Zeugen bestimmt der Richter. Gehört wird auch die im vorherigen Strafverfahren beschuldigte Anstaltsärztin. Nicht gehört werden die Fachärzte. Die Aussagen von zwei Häftlingen, die mit Röder einsaßen und seine Aussagen bestätigen, werden nicht ins Protokoll aufgenommen. Röders Anwalt Hanns-Georg Weit legt gegen die verweigerte Prozesskostenhilfe Beschwerde ein. Ohne Erfolg. „Diese Verfahrensweise kann unter keinem Gesichtspunkt mehr als rechtsstaatlich angesehen werden“, sagt Weit.
Peter Röder will den langwierigen Prozess auf jeden Fall durchhalten. Denn „a bisserl Politik machen“ muss schon sein, sagt er – „auch wenn’s der Gesundheit schlecht geht“.
Spenden für Gerichtskosten und Gutachten an Rechtsanwalt Weit (Kontonr. 1860128000, HypoVereinsbank Karlstadt, BLZ 790 200 76, Stichwort „Röder“).
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