: „Das spricht für sich“
Die neue Dimension des Terrorismus: Die Täter benutzen die ganze Welt als Resonanzraum
Interview BERND PICKERT
taz: Seit über drei Monaten führen die USA und eine internationale Koalition den so genannten Krieg gegen den Terrorismus. Ist die Welt sicherer geworden?
Peter Waldmann: Zunächst einmal ist das Kalkül der Terroristen aufgegangen. Sie wollten Panik, Angst und übertriebene Reaktionen provozieren. Wenn es einen Sicherheitsgewinn gibt – dann steht er in keinem Verhältnis zu den Einschränkungen an Freiheitsrechten, die wir dafür hinnehmen müssen. Allein in der Bundesrepublik: Wir waren noch nicht Opfer eines einzigen Anschlages, und doch werden hier auf Verdacht ganze Sicherheitspakete verabschiedet.
Sie haben lange vor dem 11. September geschrieben, Terrorismus sei vor allem kommunikative Gewalt. In den letzten Jahren sei die Zahl der Anschläge weltweit zurückgegangen, die Zahl der Opfer aber gestiegen. Der 11. September scheint das zu bestätigen. Waren Sie überrascht?
Ja, doch. Zwar gibt es in den verschiedenen Komponenten dieses Anschlags nichts revolutionär Neues – weder die Motivation noch der Einsatz der Technik noch die Entzerrung zwischen Rückzugsraum und Anschlagsort. Aber das ist in einer neuen Dimension aufgetreten. Und was mich vor allem beeindruckt hat: Hier war die ganze Welt als Resonanzraum intendiert. Sehen Sie sich das Timing des zweiten Flugzeugs an. Der Pilot wusste genau, dass jetzt die Kameras der Welt auf die Twin Towers gerichtet sind. Teurer und publizitätswirksamer hat ein Mensch nie sein Leben verkauft.
Es ist ein Anschlag ohne Erklärung. Niemand hat die Verantwortung übernommen. Es gab kein Bekennerschreiben, keine politische Erläuterung. Was soll das?
Das ist dem religiösen Terrorismus eigen, wie der US-amerikanische Terrorismusforscher Bruce Hoffmann und andere beobachtet haben. Übrigens auch dem Rechtsextremismus. Zu den großen Anschlägen in Italien – in Mailand und Bologna in den Siebzigerjahren – gab es auch keine Erklärung. Das lässt meines Erachtens mehrere Deutungen zu. Eine ist: Die Akteure sind der Meinung, da gibt es einfach nichts zu erklären. Die Botschaft spricht für sich.
Eine andere Erklärung wäre: Jede Art schriftlicher Kommunikation würde bedeuten, sich auf den Feind einzulassen. Man redete noch mit ihm, statt ihn einfach zu bekämpfen.
Ich vermute, in diesem Fall trifft eher die erste Deutung zu. Man geht davon aus, dass jeder die Botschaft versteht. Man provoziert und hofft, dass der Gegner zurückschlägt.
Das haben die USA getan. Wie es scheint, mit einigem Erfolg. Haben die Terroristen falsch kalkuliert?
Vielleicht in Bezug auf die Lager von al-Qaida. Aber nicht unbedingt, was die Strategie angeht. Wenn sich Terroristen erst einmal als Zelle etabliert haben, gehorchen sie nicht mehr der militärischen Logik. Niederlagen sind vielmehr Impulse zum Weitermachen. Es entstehen Märtyrer als zusätzlicher Antriebsmotor. Ob man den Terroristen Zugeständnisse macht oder ob man ihnen Niederlagen zufügt – beides wirkt ab einem bestimmten Punkt verstärkend.
Der Krieg in Afghanistan, die Zerschlagung der Al-Qaida-Strukturen bringt also gar nichts?
Es mag militärisch sinnvoll gewesen sein, die Lager zu zerstören. Aber dem Terrorismus im engeren Sinne kommt man damit nicht bei. Da ist erstens der neokoloniale Charakter dieses Abenteuers. Es ist ja nichts anderes als die Einmischung in innerafghanische Angelegenheiten. Und zweitens sind sehr viele Menschen dabei ums Leben gekommen. Beides könnte sich langfristig in die Saat eines zukünftigen Terrorismus verwandeln – unabhängig davon, dass die Al-Qaida-Organisation militärisch erst einmal zerstört ist.
Ist die Organisation denn zerstört?
Es sieht so aus.
Sie bezweifeln aber, dass das ein entscheidender Schlag gegen den islamistischen Terrorismus ist?
Ich bin da unsicher. Für die Führungsstäbe terroristischer Organisationen sind Rückzugsräume unglaublich nützlich, in denen sie sich relativ offen bewegen können. Die baskische ETA hatte das in Südfrankreich, die nordirische IRA in der Republik Irland.
Doch eine notwendige Bedingung für terroristische Organisationen ist das eben nicht. Das heißt, man kann die Terroristen schwächen, wenn man solche Räume zerstört. Dann dauert es möglicherweise länger, bis neue Aktivitäten entstehen. Aber mittelfristig kann man den Terrorismus auf diese Art und Weise nicht auslöschen.
Seit dem 11. September hat es aber keinen neuen Anschlag gegeben, trotz aller Ankündigungen.
Das wundert mich nicht. Die Anschläge vom 11. September waren ein hoch elaboriertes Programm, das auch noch mit Glück verbunden war. Jetzt ist erst einmal für allgemeine Aufregung gesorgt. Da ist es gar nicht notwendig, gleich etwas Neues zu unternehmen. Man schlägt zu, wenn der Gegner nicht mehr damit rechnet. Die Terroristen leben davon, dass die westlichen Regierungen immer so kurzfristig in Regierungssequenzen denken. Wenn es erst einmal keinen Anschlag gibt, erlahmt die öffentliche Aufmerksamkeit. Dann ist es Zeit für etwas Neues.
Sie sagen: So wie die USA und die anderen Länder der Koalition das tun, kann man Terrorismus nicht bekämpfen. Wie denn dann?
Ich habe drei Antworten. Erstens sollten die Regierungen ehrlich eingestehen, dass moderne Staaten verletzbar sind. Die eigentliche Lektion aus dem 11. September ist doch, dass auch der stärkste Staat verwundbar ist. Deshalb sollte er ein Interesse daran haben, was in den Köpfen der Abhängigen und Schwächeren vorgeht.
Zweitens: Keine zusätzliche Entwicklungshilfe oder dergleichen. Die Misere in diesen Staaten ist weitgehend hausgemacht, zum Beispiel durch korrupte Regierungen. Will man die Gemäßigten dort stärken, muss der internationale Diskurs gerechter und konsistenter sein. Es geht nicht, dass jeder Staat noch so undemokratisch sein kann und die Menschenrechte nichts mehr zählen – wenn er nur mit den Vereinigten Staaten verbündet ist. Die Abhängigen und Unterlegenen registrieren heuchlerische Töne und Doppelbödigkeiten sehr genau.
Und drittens ist Terrorbekämpfung eher eine Sache der Geheimdienste als des Militärs. Gute Geheimdienste können das Phänomen eindämmen. Sie können hier und da etwas unternehmen.
Politisch wird immer wieder der Nahostkonflikt als ein Grund für den islamistischen Terror genannt. Stimmt das – oder ist das nur ein Scheinargument?
An sich ist das terroristische Kalkül ziemlich abstrakt. Bei den umworbenen Sympathisanten kommt es nur an, wenn es mit etwas sehr Konkretem verbunden ist. Das ist im Zweifel ein Stück Territorium – bei den Islamisten also Saudi-Arabien, Israel/Palästina, der Tempelberg. Für viele Muslime ist dieser Bezug auf den Nahostkonflikt ganz real. Solch ein ethno-nationalistischer Terrorismus ist erfolgreicher als beispielsweise allgemeine Klassenkampflehren.
Hieße das, eine Lösung des Palästinakonflikts würde dem islamistischen Terrorismus den Boden entziehen?
So weit würde ich nicht gehen. Wenn solche terroristischen Gruppen einmal entstanden sind, unternehmen sie hin und wieder auch Zielverschiebungen. Der Anschlag auf die Vereinigten Staaten hat etwas von einem Stellvertreterkrieg. Das sind zum großen Teil Leute aus den nordafrikanischen und arabischen Ländern, die selbst nicht offen gegen ihre korrupten Regierungen aufbegehren können und deswegen die USA als Ersatzfeind in den Blick genommen haben. Das wäre mit einer Lösung des Israel-Palästina-Konflikts nicht bereinigt.
Zunächst scheint auf der Agenda der USA etwas ganz anderes zu stehen. Ins Visier geraten weitere Staaten, die angeblich Terror unterstützen: Somalia, Sudan, Irak – vielleicht auch andere. Stimmen die Vorwürfe gegen diese Länder, und würden Militäraktionen etwas bringen?
Die Regierungen haben die Abschreckungslektion verstanden. Sie werden bemüht sein, kein al-Qaida vergleichbares Gebilde auf ihrem Territorium zuzulassen. Die Schlüsselfrage ist, ob Staaten wie Jemen oder der Libanon eigentlich dazu in der Lage sind – ob sie also das Gewaltmonopol innerhalb ihrer Grenzen ausüben. Al-Qaida betrieb in Afghanistan ganz simple Einrichtungen, die jederzeit an vielen Stellen wieder entstehen könnten. Insofern ist fraglich, ob der bisherige militärische Erfolg wirklich trägt.
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