: Mordbefehl aus dem Nahen Osten
■ Das Urteil im Prozess um die Ermordung des Türken Kürsat Timuroglu durch die PKK steht bevor. Aufklärung ist in Sicht, Klarheit noch lange nicht.
Der so genannte PKK-Prozess vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) geht seinem vorschnellen Ende entgegen. Am Mittwoch bereits soll das Urteil verkündet werden. Denn es steht fest: Der Ex-Kader der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Farit Aycan (38), hat am Morgen des 25. Februar 1986 den Repräsentanten der rivalisierenden „Devrimci Isci“ (Revolutionäre Arbeiter), Kürsat Timuroglu, vor seiner Wohnung in der Stiftstraße in St. Georg vorsätzlich erschossen. „Es bringt nichts mehr, vieles zu sagen, ich kann es leider nicht wieder gutmachen“, so die kurze bereuende Einlassung des Täters vor dem OLG.
Die Tat scheint geklärt, aber nicht die Hintergründe. Handelte Aycan im Auftrag von PKK-Chef Abdullah „Apo“ Öcalan? Oder galt der Anschlag vielleicht nicht Kürsat sondern jemand anderem? Die PKK schweigt, der Angeklagte auch. Während Bundesanwaltschaft und Nebenklägerin Nilgun Timuroglu – Kürsats Witwe – und ihre zwei Kinder über Anwalt Dieter Magsam lebenslang wegen Mordes verlangen, plädieren Verteidigerin Gül Pinar und Promi-Anwalt Johann Schwenn nur auf Totschlag.
Kriminalistisch war der Fall relativ schnell klar: Farit Aycan hatte nach eindeutigen Augenzeugenberichten mehrere Tage lang die Wohnung von Kürsat von einem gegenüberliegenden Cafe aus observiert. Als Kürsat an jenem Morgen gegen 11.45 Uhr das Haus verlässt, stürmt Aycan aus der Konditorei und schießt auf Kürsat. Getroffen von zwei Kugeln schleppt sich der damalige Sozialarbeiter in einen Gemüseladen, doch Farit Aycan rennt ihm nach und richtet Kürsat Timuroglu durch drei Kopfschüsse hin. In dem Cafe hinterläßt der Todesschütze Fingerabdrücke an einem Schnapsglas und einer Flasche Jägermeister sowie an der Klinke zum Klo.
Für Kürsats Freunde ist der Fall sofort klar. Der Mörder gehört zur PKK. Dennoch tappen die FahnderInnen trotz eines Fahndungsfotos – aufgenommen auf einer Solidemo nach der Ermordung des Türken Ramazan Avci durch Neonazis, wenige Tage vor dem Anschlag – mehrere Jahre im Dunkeln. Gefahndet wird international nach einem Bild ohne Namen, bis 1993 aus PKK-Kreisen ein entsprechender Hinweis die Hamburger Polizei auf die Person von Farit Aycan bringt und die Fingerabdrücke zugeordnet werden können. Farit Aycan wird als mutmaßlicher Täter auf die internationale Fahndungsliste gesetzt. Er lebt zu diesem Zeitpunkt bereits als wohlhabender Unternehmer in der Türkei, dem zu diesem Zeitpunkt enge Beziehungen zum türkischen Geheimdienst MIT nachgesagt werden. Erst im September 2000 wird Aycan zufällig an der Grenze zu Bosnien wegen des internationalen Haftbefehls gestellt. Die Türkei bemüht sich vergeblich, einer Auslieferung nach Deutschland durch zwei Begehren zuvorzukommen.
Der Mord an Kürsat Timuroglu hatte 1986 zu heftigen Auseinandersetzungen und zur Spaltung der damals noch starken türkisch-deutschen Linken – auf 1. Mai Demos zählte der Internationale Block über 15.000 TeilnehmerInnen – gesorgt. Vorangegangen waren dem Attentat jahrelange Richtungskämpfe innerhalb der türkischen Linken in der Türkei. Viele der dogmatischen Organisationen, die bis Anfang der achtziger Jahre dem türkischen Regime den bewaffneten Kampf angesagt hatten, waren zerstritten. Es gab untereinander politische Morde im Kampf um die Vorherrschaft und den richtigen Weg. Als die Repression des türkischen Staates zu stark wurde, flüchteten viele ins Asyl in die Bundesrepublik.
Doch hier setzen sich die Kontroversen fort – teilweise mit Gewalt. Die einen wollten sich in der neuen Heimat mit dem neuen Staat arrangieren, die anderen forderten vom Territorium der Bundesrepublik aus den Kampf gegen den türkischen Staat fortzusetzen. Rigoroseste Vertreterin dieser Politik war damals die PKK, die allein in Hamburg und Umgebung 5000 AnhängerInnen zählen konnte. Sie führte in Kurdistan einen bewaffneten Guerilla-Krieg gegen das türkische Militär und duldete keine Abweichler in ihren Reihen. Unverblümt gab die PKK politische Morde an so genannten Dissidenten zu. Das brachte ihr von Devrimci Isci –der deutsche Sektion der Devrimci Yol (Revolutionärer Weg) – den Vorwurf der „Mörderbande“ ein.
Die Erschiessung von Kürsat Timuroglu führte zur Spaltung der türkischen Linken
Dev Yol hatte zuvor in der Türkei das Aktionsbündnis mit der PKK verlassen. In Deutschland propagierte Dev Yol fortan die neue Einwandererpolitik und konnte sich im Schoss der Grünen geborgen fühlen. Trotz ihrer eigenen Vergangenheit zog sie gegen die „Liquidierungspolitik“ der PKK offen zu Felde. Doch würden diese Rivalitäten auch zu politischen Morden an Aktivisten anderer Gruppierungen führen?
Der Mord an Kürsat Timuroglu (und weitere tödliche Attentate in Hannover und Paris) schockten. Nach anfänglich sehr zaghaften Dementis, „wir brauchen uns zu nichts zu äußern, mit dem wir nichts zu tun haben“, distanzierte sich ein PKK-Europavertreter am 24. März 1986 in der taz hamburg eindeutig von dem Mord an Kürsat und nannte das Attentat „kontraproduktiv“. Der Mord trage eindeutig die Handschrift des türkische Geheimdienstes MIT. Zwar gab es „tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten“ zwischen Dev Yol und PKK, zudem würde man „als stolze Partei“ zur Liquidierungspolitik gegen „Verräter“ aus eigenen Reihen stehen. Grundsätzlich lehne die PKK aber „militärische Auseinandersetzungen mit anderen Organisationen“ ab, weil es den Sympathien für den kurdischen Befreiungskampf abträglich wäre.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich jedoch Farit Aycan nach allen Erkenntnissen bereits im Nahen Osten in einem PKK-Ausbildungslager, von Parteichef Öcalans Leibgarde eigens vom Flughafen abgeholt und von diesem gefeiert. Dabei spielte es offensichtlich keine Rolle mehr, dass der Anschlag eigentlich dem Ex-Dev-Yol-Führungskader und späterem Göcmen-Chef (Die Einwanderer) Taner „Mehmet“ Akcam gelten sollte, der bei seinen Aufenthalten in Hamburg oft bei Kürsat wohnte. Das erklärt auch, warum Farit Aycan die Wohnung von Kürsat Timuroglu mehrere Tage observierte, obwohl er diese bekanntermaßenalltäglich verließ und es somit keiner Beschattung bedurft hätte.
Dennoch spaltete sich die türkische Szene in Deutschland in zwei Lager. Für die Grünen gab es nur die guten Göcmens, die von militärischen Aktionen gegen das türkische Regime Abstand genommen hatten. Für die anderen hatte die Fortsetzung des Kampfes gegen das faschistische türkische Regime weiter Priorität.
Selbst die taz hamburg blieb nicht unverschont und bekam von der Berliner Zentrale eine kollektive Abmahnung – einer Redakteurin wurde sogar gekündigt – falls weiter über die Positionen der PKK berichtet würde.
Die Rivalitäten zwischen der türkischen Linken erreichten 1987 in der Szene-Kneipe „Emek“ auf dem Schulterblatt nochmals einen traurigen Höhepunkt. Als Kader der „Devrimci Sol“ (Revolutionäre Linke) – einer Abspaltung der Dev-Yol – in dem Restaurant Spenden für den „Streik der Lederarbeiter in Istanbul“ sammeln wollten und dabei auf die Geburtstagfeier von Göcmen-Chef Taner „Mehmet“ Akcam trafen, schoss der Göcmen-Aktivist Yilmaz Ulusal auf die Dev Sol-Männer, da der Aufruf ebenfalls von der PKK unterzeichnet worden war. Dabei traf er aber versehentlich seinen Freund Erol „Yavuz“ Aydin. Erst nach mehreren Bezichtigungen, die Dev Sol-Männer hätten die tödlichen Schüsse auf „Yavuz“ abgegben, legte Yilmaz Ulusal nach einigen Wochen ein Geständnis ab, woraufhin sich Göcmen später auflöste.
Obwohl der Tathergang um die Hinrichtung von Kürsat Timuroglu ziemlich klar ist, bleiben die Hintergründe weiter verborgen. So wurden einige Zeugen nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen, Kronzeugen ließen sich von ihren Vernehmungsbeamten des Bundeskriminalamtes vertreten. Und diese sagten aus, dass es damals laut PKK-Aussteigern durchaus die Regel war, dass Parteichef „Apo“ Öcalan aus dem Nahen Osten heraus selbstständig Liquidationen gegen Dissidenten –wohl aber auch gegen politische Gegner – anordnete, ohne dass die PKK-Führung in Gänze oder die PKK-Europaführung davon Kenntnis hatten – schon gar nicht die Führungskader in den einzelnen europäischen Städten.
An diesem Punkt setzt auch die Verteidigung an. Wenn Ex-Kronzeugen die Macht der PKK noch heute fürchten und nicht vor Gericht erschienen, habe vielleicht auch Farit Aycan – damals 22 Jahre alt – unter massivem Druck und aus Angst vor Repressalien der PKK gehandelt. Dann könne ihm „Kaltblütigkeit“ angelastet werden, aber nicht „niedere Beweggründe“ –Voraussetzung für einen Schuldspruch wegen Mordes.
Diese „niederen Beweggründe“ seien allenfalls PKK-Chef Öcalan – der wohl Farit Aycan persönlich den Mordauftrag erteilte – anzulasten, so die Argumentation der Verteidigung. Doch die PKK und ihre SympathisantInnen schweigen. Und Öcalan – zur Zeit selbst im türkischen Knast – versucht sich mit dem Staat zu arrangieren und nennt selbst den Hungerstreik der politischen Gefangenen mittlerweile „eine Provokation“. Kai von Appen
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