piwik no script img

Schwarz-Rot ist gut fürs Land

■ Wilfried Töpfer, 20 Jahre lang Bürgerschaftsabgeordneter aus Bremerhaven, nimmt Abschied von der Rolle als Volksvertreter. In der Zeit der absoluten SPD-Mehrheit hatten die SPD-Abgeordneten mehr zu sagen, sagt er

26 Jahre lang war er für Bremerhaven in der Bremer Bürgerschaft. Noch heute staunt der SPD-Mann Wilfried Töpfer darüber. „Wenn man jung ist, kandidiert man ja, um zur Veränderung beizutragen, und nicht, um auf derselben Stelle sitzen zu bleiben“, sagt er. Kürzlich wurde er in der Bürgerschaft als Parlamentarier verabschiedet. Töpfer wechselt die Seiten, von der Legislative in die Exekutive. Zum Jahresbeginn 2002 wird er Sozialdezernent in Bremerhaven. Einer, der keinen Computer haben wird. „Den kann ich gar nicht bedienen“, sagt der 56-Jährige freimütig. Und: „Ich ziehe gerne Akten.“ Vielleicht haben ihm die Genossen zum Abschied daher einen Schredder geschenkt. Doch über seine Jahre im Parlament sagt der Bremerhavener kein böses Wort. Froh sei er nur über eins – darüber, dass nun Schluss sei mit der ewigen Zugfahrerei nach Bremen. Auch wenn ihn die Eisenbahnergewerkschaft zum Abschied eingeladen hat.

taz: Sie haben sich in ihrer Abschiedsrede in der Bremer Bürgerschaft als „hartnäckiger Patriot für Bremerhaven“ bezeichnet. Mit ihrem Gegenvorschlag zum weiteren Ausbau des Containerterminals (IV) sahen das in Bremerhaven aber viele ganz anders.

Wilfried Toepfer: Das ist richtig, der Riss ging auch quer durch meine Familie. Aber diese Sache war eine der wenigen Ausnahmen. Der Weserportsee und die Errichtung der Landesfeuerwehrschule in Bremerhaven, die schreibe ich mir schon als Erfolge zu.

Im Parlament haben Sie sich zuletzt für „verletzende Wortbeiträge“ entschuldigt. Hatten Sie ein schlechtes Gewissen?

Ich dachte, das ist ein Akt der Fairness, für den Fall, dass ich den einen oder anderen Beitrag in meinem Einsatz für Bremerhaven zu hart formuliert habe.

Also war es nicht eine Verbeugung vor einem neuen Stil im Parlament?

Also, einen neuen Stil gibt es seit Beginn der großen Koalition vor sechs Jahren sicher. Wenn ich daran denke, wie die CDU unter Bernd Neumann in den ersten Jahren meiner Parlamentszeit versucht hat, die SPD-Regierung ins Wanken zu bringen, da ging es damals doch härter zur Sache.

Wer Ihre Bilanz gehört hat, bekam den Eindruck, dass die SPD-Alleinherrschaft gut war für die Abgeordneten, die Ampel gut für die Demokratie und die große Koalition gut fürs Land.

Ja, das kann man so zusammenfassen. Als die SPD allein regiert hat, gab es immer Zeiten von knappen Mehrheiten. Da wurde immer gerungen um jede etwas abweichende Meinung in der Fraktion. Vieles drang davon zwar nicht nach außen – aber es wurde gerungen, weil man die Stimmen brauchte. Da hatte eine Stimme in der SPD-Fraktion mehr schon eine echte Bedeutung – so wie es nach der Verfassung auch sein soll.

Da hatten die Bremerhavener noch ein anderes Gewicht ...

Richtig, unsere Stimmen wurden gebraucht, sonst hätte die SPD nicht alleine regieren können. Heute werden die Bremerhavener Stimmen überhaupt nicht gebraucht – und die große Koalition hat immer noch eine zwei drittel Mehrheit. Aber ich wollte in meiner Rede eher die Sicht des einzelnen Abgeordneten einnehmen, nicht die des Bremerhaveners – obwohl man früher um unsere Stimmen tatsächlich noch gerungen hat.

Politisches Ringen endet mit Zugeständnissen beider Seiten .

Das ist erstmal was Positives. Demokratie lebt von Meinungsvielfalt. Und davon lebt auch eine Fraktion. Nicht vom Gedanken: Wie sind denn hier die Mehrheiten? Was der oder die sagt, interessiert uns nicht, wir haben ja sowieso eine satte Mehrheit. Tatsächlich war die Ampelzeit eine fruchtbare Zeit, in der mehr Parlamentsrechte eingebaut wurden. Ein einzelner Abgeordneter kann seitdem im Rahmen der Fragestunde Fragen an den Senat stellen. Vorher mussten es mindestens fünf Abgeordnete sein. Früher war es nach der Geschäftsordnung auch so, dass der jeweilige Senator die Antworten auf die Anfragen verlesen hat. Mit der „Schwampel“ (der kurzzeitigen parlamentarischen Zusammenarbeit von CDU, Grünen und FDP, d. Red.) gab es Vorlagen für alle Abgeordneten, also weiß das gesamte Parlament, worum es gehen wird und kann das auch anders diskutieren, als während der SPD-Alleinregierung, wo nur die SPD-Sprecher den Text hatten. Aber natürlich hat die Ampelzeit teilweise lähmend auf das Regierungshandeln gewirkt. Sie hat zwar Gutes auf die Reise gebracht, aber letztlich hat sich das Parlament damals ja selber aufgelöst – was in der bremischen Geschichte bis dahin nie vorgekommen war und übrigens auch nicht vorkommen konnte. So was war in der Landesverfassung gar nicht vorgesehen. Das hat damit zu tun, dass der Senat in Bremen gleichzeitig Magistrat ist und die bremischen Abgeordneten auch Stadtbürgerschaftsabgeordnete. Ein Landtag oder der Bundestag kann sich vorzeitig auflösen, aber in der Gemeindeverfassung ist so was nicht vorgesehen. Trotzdem kann man die vorzeitige Auflösung der Bürgerschaft nach dreieinhalb Jahren, wenn man will, auch wieder die demokratische Errungenschaft des Parlamentes betrachten.

Sind an diesen Veränderungen nur die neuen Mehrheiten Schuld – oder gibt es auch eine neue „Denke“?

Es sind nicht nur die Mehrheiten – aber die haben auch eine neue Denke befördert. Insgesamt ist es parlamentarischer geworden, die Legislative funktioniert stärker als Kontrollorgan der Exekutive. Aber die parlamentarische Kontrolle wird sich durch die vielen Gesellschaftsgründungen zurückentwi-ckeln und schwieriger gestalten. Früher war das alles ämtermäßig organisiert und das Parlament hatte den direkteren Zugriff, jetzt geht es nur über den Umweg Senat. Da ist auch in der SPD-Fraktion nicht nur Friede-Freude-Eierkuchen. Aber das Senatshandeln hat diese Entwicklung beschleunigt.

Fragen: Eva Rhode

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen