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„Ich krieg‘ einen Wutausbruch“

Der ehemalige Finanzminister Theo Waigel (CSU) über seine schlaflosen Nächte während der Euroverhandlungen, die unterschätzten Folgen der Wiedervereinigung und den Euro als Antwort auf die Globalisierung

Die Unterschrift in Maastricht ist mir nicht so schön gelungen wie sonst

Interview: KATHARINA KOUFEN

taz: Was hat Ihnen mehr schlaflose Nächte bereitet – die Wiedervereinigung oder der Euro?

Theo Waigel: Der Euro. Die Wiedervereinigung zwar auch, weil ich da manchmal vor Entscheidungen stand, die unendlich schwierig waren: Wenn man innerhalb weniger Minuten entscheiden muss, ob man jetzt drei oder fünf Milliarden bewilligen muss. Aber beim Euro dachte ich mir am Anfang: UM GOTTES WILLEN! Den Deutschen die D-Mark wegnehmen – das machst du nicht.

Das war 1989 auf dem EU-Gipfel in Madrid, als der so genannte Delors-Plan zur Einführung einer Währungsunion abgesegnet wurde?

Ja, genau. Ich habe dann aber gemerkt, der Euro muss sein. Ich habe einen eigenen Vertragsentwurf erarbeitet und den Finanzministerkollegen vorgelegt. Da waren die erst mal stocksauer. Die haben gedacht, aha, da kommen die Deutschen wieder. Aber dann gab es die Einsicht: Die Deutschen wollen uns nicht reinlegen, sondern meinen es ernst. Schlaflose Nächte hat mir dann auch die Anstrengung bereitet, Vertrauen zu gewinnen: bei der Bundesbank, bei den Wissenschaftlern in Deutschland, die sich am Anfang überwiegend negativ geäußert haben. Und dann das Zittern um die Stabilitätskriterien, bis im Februar 1998 endlich die erlösende Nachricht kam: Deutschland hat ein Defizit von 2,7 Prozent des Inlandprodukts und liegt damit unter der Höchstgrenze von drei Prozent. Noch keine Stunde hatte ich mich gefreut, da kamen die Wirtschaftsforscher vom DIW und sagten: April, April, wir liegen bei 3,4 Prozent. Die Pressereaktion war eine Katastrophe! Vier Wochen später hat sich das DIW entschuldigt, die haben sich schlichtweg geirrt. Sonst verzeihe ich als Christ alles, aber sobald ich jemanden vom DIW sehe, kriege ich einen kalten Wutausbruch.

Der Euro und die Wiedervereinigung hängen doch zusammen: Es heisst, die Bundesregierung hätte sich für die gemeinsame Währung stark gemacht, um von den Franzosen die Zustimmung zur Wiedervereinigung zu erkaufen . . .

Nein, das ist eine Legende. Die Entscheidung für den Euro ist eigentlich schon 1988 beim EU-Gipfel in Hannover gefallen, unter anderem auf Initiative des damaligen Finanzministers Gerhard Stoltenberg und des Außenministers Hans-Dietrich Genscher. Problematisch wäre nur eines gewesen: Wenn Deutschland einen Sonderweg gegangen wäre. Aber wir haben das nicht gemacht, und das hat vor allem Frankreich und Großbritannien die Zustimmung zur Wiedervereinigung erleichtert.

Andersherum hat die Wiedervereinigung mit den enormen Schulden die Euroeinführung erschwert. Hätte man nicht besser gesagt: Wir halten am Fernziel Euro fest, warten aber ab, bis wir die Wiedervereinigung bewältigt haben?

Sie haben Recht. Als man 1990 über die Stabilitätskriterien für den Euro nachzudenken begonnen hat, konnte man nicht ahnen, was Deutschland für die Wiedervereinigung würde aufbringen müssen: Von 1990 bis 1998 insgesamt 1.500 Milliarden D-Mark. Nur: Andere hatten auch ihre Probleme. Andere mussten ja auch konsolidieren.

Hat Helmut Kohl Sie politisch unter Druck gesetzt?

Nein, das hat er nie gemacht. Auch Kohl hätte die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion nicht um jeden Preis durchgezogen. Dann wäre es eher zu einer Verschiebung gekommen, wobei das möglicherweise das Aus bedeutet hätte. Allerdings: Als wir das Datum 1999 in den Maastrichter Vertrag geschrieben hatten, habe ich schon gedacht, muss das denn sein? Sollen wir nicht lieber alle zwei Jahre überprüfen, welches Land reif für den Euro ist? Da hielt Genscher dann dagegen: Ohne Nennung von Daten erfolgt kein Druck, und dann hätten manche Länder nie ihre Haushalte in Ordnung gebracht.

Ihr Vater war Soldat in beiden Weltkriegen, Ihr Bruder ist im Zweiten Weltkrieg gefallen und in Frankreich beerdigt. Hat Sie das in Ihrer Europapolitik beeinflusst?

Ja. Mein Vater hat oft von der Schlacht an der Somme mit 750.000 Toten im Ersten Weltkrieg erzählt. Und ich habe vor zwei oder drei Jahren in Paris mit einem Senator aus dem Elsass gesprochen, dessen Großvater vier Mal die Staatsbürgerschaft gewechsel hatte in seinem Leben. Und aus diesem Wahnsinn die Konsequenz zu ziehen, das ist der ganz große Verdienst der Gründergeneration von Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Josef Müller, der Gründer der CSU, kam 1945 aus dem KZ und formulierte 1946: Wir brauchen eine gemeinsame Währung, weil Länder mit einer gemeinsamen Währung nie Krieg gegeneinander führen.

Wären eine gemeinsame Regierung, Verfassung und Rechtsprechung nicht viel wichtiger als eine gemeinsame Währung?

Ja, aber das hat halt nicht stattgefunden. Und merkwürdigerweise waren es auch immer wieder ökonomische Dinge, die etwas vorangebracht haben. Die Einführung der sozialen Marktwirtschaft und die Einführung der D-Mark waren beide vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland.

Und Sie meinen, so könnte man die Einführung des Euro begründen?

Nein. Der systematische Weg wäre der andere. Aber manchmal ist es so, dass Ökonomen vielleicht mehr Weitblick haben als Staatsmänner der Luxusklasse.

Sie haben einmal gesagt, der Euro würde „einen positiven Paradigmenwechsel“ in der deutschen Geschichte einleiten. Was meinen Sie damit?

Wir haben alles Positive der D-Mark in den Euro eingebracht. Der Euro ist die europäische Antwort auf die Globalisierung, die wir alleine als Nationalstaat weder politisch noch ökonomisch bewältigen können. Und wir haben mit dem Euro ganz Europa zu einer Stabilitätsgemeinschaft gemacht wie nie zuvor. Die Inflation liegt bei zweiProzent, die Schulden werden abgebaut . . .

Sie argumentieren jetzt rein ökonomisch.

Nein, auch politisch: Europa spielt doch auch in der Außenpolitik eine stärkere Rolle als zuvor. Man kann sich gar nicht vorstellen, was im Moment angesichts der Krise nach dem 11. September geschehen würde, wenn Europa nicht mit einer Zunge reden würde.

Die D-Mark stand für den Wiederaufbau, für sogenannte deutsche Tugenden wie Fleiß und so weiter. Wofür steht der Euro?

Ich freue mich, dass sich die taz der deutschen Tugenden erinnert. Was die Währungspolitik angeht, so haben wir aber alles von diesen deutschen Tugenden eingebracht: Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, Stabilitätsorientierung, Sitz in Frankfurt am Main.

Wollen Sie damit sagen, der Euro ist eigentlich eine deutsche Währung?

Ich zitiere, was ein englischer Journalist schrieb: Der Euro spricht deutsch.

Sie haben den Maastrichter Vertrag unterschrieben. Was war das für ein Gefühl?

(lacht) Das war so ein schwerer Füller, mit dem ich unterschrieben habe, deshalb ist die Tinte nicht richtig geflossen und ist die Unterschrift mir nicht so schön gelungen wie sonst. Ich wollte eigentlich mit meinem eigenen Füller unterschreiben, aber ich hatte den Eindruck, dass das der Protokollbeamte nicht so geschätzt hätte. Dann durfte auch jeder der Beteiligten den Füllfederhalter, den man uns in die Hand gedrückt hat, mit nach Hause nehmen.

Also kein erhebendes Gefühl?

Doch, natürlich. Allerdings habe ich mich darüber geärgert, dass die Zermonie auf Englisch und Französich abgehalten wurde, und nicht auf Deutsch. Das wäre heute wahrscheinlich anders.

Der Vater des Euro – sind das Sie?

Der Euro hat viele Väter . . .

Helmut Kohl? Hans-Dietrich Genscher?

. . . aber als ich neulich bei der Verleihung des Karlspreises in Aachen dabei war, da dachte ich mir, in der Laudatio hätte man schon mal ein paar Namen nennen können: zum Beispiel den italienischen Staatspräsidenten Carlo Ciampi oder den holländischen Regierungschef Wim Kok.

Oder Theo Waigel?

Na ja. Das hat übrigens dieser Tage Außenminister Joschka Fischer im Bundestag festgestellt. Der hat sich nach meiner Rede im Bundestag erhoben und hat gesagt, ich möchte Theo Waigel meinen Dank zum Ausdruck bringen.

Ich freue mich, dass sich die taz der deutschen Tugenden erinnert

Später Dank, der Ihnen in Ihrer Zeit als Finanzminister verwehrt blieb?

Mir war immer klar: Mit dem Euro sind keine Popularitäts-Lorbeerbäume zu erreichen. Das wird man erst in zehn oder 15 Jahren einmal anders sehen, da ist noch zu viel Emotionalität. Ich muss immer noch, wenn ich etwas zum Euro sage, mit anonymen Drohbriefen rechnen, die leider auch gegen meine Familie gehen. Handfeste Morddrohungen.

Brauchen Sie wegen des Euro Leibwächter?

Ja, das ist ein hoher Preis. Wobei allerdings die Zahl derer, die den Euro positiv sehen, täglich zunimmt, vor allem bei den jungen Menschen. Aber es hat ja auch Politiker gegeben, die ihre Meinung immer nur danach gerichtet haben, ob der Euro populär ist oder nicht.

Edmund Stoiber zum Beispiel.

Ich kann mich nicht erinnern, dass Stoiber je von einer „kränkelnden Frühgeburt“ gesprochen hat.

Das war Gerhard Schröder.

Ja. Und wenn die CSU nicht sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat für den Euro gestimmt hätte, hätte ich in der gleichen Sekunde mein Amt aufgegeben.

Aber Stoiber hat doch in Bayern auch ganz gewaltig Anti-Euro-Stimmung gemacht.

Sobald der Euro eine überwiegende Zustimmung erfährt, da bin ich ganz sicher, wird auch Edmund Stoiber sagen, ihn habe der Euro immer schon zutiefst überzeugt.

Ausblick in die Zukuft: Was soll nach dem Euro kommen? Eine Weltwährung? Der Globo?

Nein. Es wird weiter drei große Währungsblöcke gegeben. Die sollen auch weiterhin flexible Wechselkurse zueinander haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Konvergenz, die wir innerhalb der europäischen Staaten hergestellt haben, auch weltweit herzustellen wäre.

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