1.900.000 Centimes sind 2.850 Euro

aus Paris DOROTHEA HAHN

„Die Karre hat mich immerhin zwei Millionen gekostet“, erzählt der Nachbar, dessen Auto am Vorabend zu Schrott gefahren wurde. Wir stehen in einer kleinen Gruppe im Hauseingang. Während er die Details seines Unfalls schildert, beginne ich mit Kopfrechnen. „Das ist aber teuer gewesen“, sage ich, „so viel Geld für einen Gebrauchtwagen.“ Der Nachbar unterbricht seinen Vortrag und starrt mich an. Erst wütend, dann mitleidig. „Ancient Francs“, sagt er schließlich: „alte Franc natürlich“.

Der Nachbar hat neulich seinen 40. Geburtstag gefeiert. Als die alten Franc abgeschafft wurden, war er noch nicht einmal gezeugt. Geschweige denn hielt er diese Scheine in Händen. Aber wenn es um große Summen geht, rechnet er bis heute in der alten Währung, die 1958 um zwei Nullen beschnitten wurde.

Landesüblich spricht er in solchen Fällen von „Centimes“. Das vermeidet Verwechslungen. Mit „Centimes“ ist die alte Währung gemeint, mit „Francs“ die „neue“. Obwohl es natürlich in beiden Währungen sowohl Franc als auch Centime gibt. In Frankreich versteht auch ohne den Hinweis auf die „Centimes“ jedeR, was gemeint ist. Kein noch so schneller Gesprächsverlauf wird gebremst, wenn darin plötzlich Summen auftauchen, die sechs, sieben oder noch mehr Stellen haben. Schließlich gehören die Franc, ob alt oder neu, zur eigenen Geschichte. Bloß AusländerInnen stolpern darüber.

Für alle anderen steht die alte Währung für besondere Werte. Sie beziffert nicht nur den Preis von Häusern, die im vorletzten Jahrhundert gebaut wurden, sondern auch Preise von jenen Dingen, die sich 1958 noch niemand vorstellen konnte. Über ferngesteuerte Herzoperationen mit Robotern beispielsweise, oder über ISDN-Telefonanschlüssse. Auch über die Kosten von Splitterbomben auf Kandahar lässt sich trefflich in alten Franc reden.

Eine einfache Erklärung für diese Hartlebigkeit haben nur Leute, die Ende der 50er-Jahre schon alt waren. „Die Umstellung war zu kompliziert für mich“, sagen sie, „ich war ganz und gar auf die alten Franc eingestellt.“ Die Nachgeborenen benutzen die alte Währung ganz ohne Erklärung: „C’est comme ça.“ Es ist eben so.

Mit dem Euro wird der rechnerische Aufwand im französischen Alltag noch größer. Erstens ist es bei der Umwandlung von Euro in Franc nicht mit einer einfachen Halbierung wie gegenüber der DM getan. Umgerechnet in Franc ergibt ein Euro die ungerade Zahl 6,55957. Zweitens denken die FranzosInnen nicht im Traum dran, den Bezug auf ihre Geschichte aufzugeben.

Der Barmann in der Eckkneipe, in der ich morgens meinen Grand Crème trinke und ein Boulevardblatt lese, ist noch keine 30. Im vergangenen Sommer wurde er erstmals Vater. Die Umrechnung in die neue Währung findet er „ganz einfach“. Ich versuche, ihn mit einer ungeraden Zahl zu überrumpeln. Ich will wissen, wie viel 19.000 Franc in Euro sind, und zücke meinen Taschenrechner. Der Barmann ruft über das laute Zischen der Espressomaschine hinweg: „1.900.000 Centimes also! Da packe ich noch mal die Hälfte drauf und teile das Ergebnis durch tausend. Ergibt 2.850 Euro. Jedenfalls ungefähr.“

Für eine Überschlagsrechnung im Kopf ist das nicht schlecht. Das Ergebnis liegt nur 46 Euro neben meinem Taschenrechnerergebnis. Und kommt genauso schnell. Dabei hat sich der Barmann die Aufgabe mit alten Franc verkompliziert. Er erklärt das mit „Gewohnheit“. Man könne eine Währung nicht wie ein gebrauchtes Kleidungsstück ablegen. Bei seinem kleinen Jungen könnte das anders werden. „Kann sein, er greift später nicht mehr auf die alten Franc zurück“, sagt der Vater, „sondern nur noch auf die neuen.“