Ein Scheintöter im Dienst

Er vernichtet täglich zigtausende, manchmal sogar Millionen von Geldscheinen. An jedem Arbeitstag sieht er mehr Geld auf einem Haufen liegen als irgendjemand sonst in seinem ganzen Leben. Ein Porträt

Juckt’s ihn nie? Zwei Koffer voll, sich Rodriguez nennen und ab ins Ausland?

aus Frankfurt am MainSTEFAN KUZMANY

Thomas Gabner mag solche Gespräche überhaupt nicht. Thomas Gabner mag seine Ruhe. Dass er bei der Deutschen Bundesbank arbeitet, das weiß die Familie, das wissen die Freunde. Aber was er dort genau tut, darüber redet Gabner nicht. Sonst kommen doch nur immer dieselben Fragen. Also lügt er dann lieber ein bisschen. Einen Spitznamen hätte er sonst sicher weg: Onkel Dagobert. Denn Thomas Gabner arbeitet im Geldspeicher. „Kannst du mir nicht mal einen Sack Geld mitbringen?“, würden dann die Leute womöglich fragen. Und er hat den ganzen Abend lang keine Ruhe. Aber Thomas Gabner mag seine Ruhe.

Der Besuch muss seinen Personalausweis gegen eine Plastikkarte eintauschen, um hinter den hohen, spitzen Zaun zu gelangen, der das Gelände der Bundesbank in Frankfurt am Main umgibt. Im Park patroullieren Polizisten. Thomas Gabner, 52 Jahre alt, Brille, cremefarbenes Sakko, Pferdchen auf der Krawatte, wartet an einem Zwischeneingang und geleitet den Besuch in den Aufzug, durch eine Sicherheitsschleuse, durch einen Gang mit Büros rechts und links, sucht einen Schlüssel, sperrt eine Tür auf und tastet nach dem Lichtschalter. Das Neonlicht springt an. Wir befinden uns in einem fensterlosen Raum mit Konferenztisch.

Sein Büro mag Thomas Gabner nicht herzeigen, und den Geldspeicher darf er nicht herzeigen. Seinen echten Namen soll man nicht schreiben und ihn auch nicht fotografieren. Jedenfalls nicht so, dass man ihn erkennen kann. Sonst kommen wieder Fotos in der Bild-Zeitung, das sei schon mal vorgekommen, im Zusammenhang mit angeblichen Manipulationen eines Mitarbeiters, und dann sagen die Leute: Aha, der Gabner, das ist auch so einer.

Thomas Gabner bedient eine Geldvernichtungsmaschine ungeheueren Ausmaßes. Seine Aufgabe ist die Vernichtung von Geldscheinen. Mit Kollegen zusammen fährt er eine Großschredderanlage. Maximal 1,5 Millionen Scheine frisst der Prototyp täglich, zerkleinert sie auf Schnipsel unter zwei Quadratzentimetern Größe und presst die Schnipsel zu so genannten Briketts. Außerdem ist der Beamte beschäftigt mit der Verwaltung des Bestandes an Euroscheinen. Er sieht an jedem Arbeitstag mehr Geld auf einem Haufen liegen als irgendjemand sonst in seinem ganzen Leben. Ist Geld, das für andere Menschen so viel bedeutet, nichts als bedrucktes Papier? „Bedruckte Baumwolle“, präzisiert Gabner.

Das war schon ein unglaubliches Gefühl, als Gabner zum ersten Mal seinen heutigen Arbeitsplatz betreten hat. Ungläubiges Staunen. So viel Geld. 28 Jahre lang ist er bei der Bundesbank. „Ich habe vorher in der Hauptkasse gearbeitet, da kannte ich diese Mengen noch nicht. Da hat man nicht mit so großen Beträgen zu tun.“ Sicher nicht. Wie viel Geld wird schon in so einer läppischen Hauptkasse herumliegen? Praktisch nichts, nach Gabners heutigen Maßstäben.

Auch in der Falschgeldabteilung war er: „Da kommt dann mal die Polizei mit fünf Hundertern an. Und jetzt das hier. Eine Lagerhalle. Oder sagen wir besser: ein Tresorraum.“ Nein, wie groß die Fläche ist, kann Gabner nicht sagen. Man könnte ja sonst ausrechnen, wie viel Geld da insgesamt lagert.

Herr Gabner hat auch schon in der Buchhaltung gearbeitet. Da musste es ganz schön schnell gehen. Da war eine solche Hektik manchmal, dass man etwas übersehen konnte. Und da passieren dann die Fehler. Aber in der Buchhaltung, da ist das kein Problem, wenn mal ein Fehler passiert. Den kann man nämlich korrigieren. Aber wenn Thomas Gabner unten im Tresor ein Fehler unterläuft . . . ? „Wer weiß hinterher schon, ob ich tausend Tausender zerschreddert habe oder einen weniger?“

Wer weiß das schon? Juckt’s den Gabner nie, mal ein, zwei Scheine mitgehen zu lassen? Oder einmal, am außergewöhnlichsten Tag seines Lebens, das große Ding durchzuziehen? Zwei Koffer voll, raus aus Deutschland, sich Rodriguez nennen, ein falsches Gesicht besorgen. Einmal Cowboy sein, die Satteltaschen voller Geld! Ja, er überlegt sich schon auch, was man mit dem Geld machen könnte. Ja, was denn, Herr Gabner, was würden Sie machen, wenn Sie sich die Taschen vollstopfen könnten? Gabner überlegt. Die Tür geht auf. Ein Kollege lugt herein. Glatze, Brille, bis auf die fehlende Fliege scheint er direkt der Fernsehserie „Büro Büro“ entsprungen. Der Kollege fragt: „Herr Gabner, Sie wollen sich doch nicht etwa fotografieren lassen?“

Eigentlich dokumentieren ja Kameras jeden Arbeitsschritt des Geldvernichters. Er preist die Kamera: „Die Überwachung gilt auch unserer Sicherheit.“ Wenn es mal Vorwürfe geben sollte, er habe nicht korrekt gearbeitet, habe die Vorschriften verletzt, beweisen die Kameraaufzeichnungen Gabners Unschuld. Und schon wegen der Kameras kann er sich nicht einfach bedienen.

Weil Thomas Gabner aber doch vom großen Geld träumt, spielt er Lotto, wie die Kollegen auch: „Wir hoffen alle auf die Million.“ Wenn er die gewinnt, legt er sie an. Denn von den Zinsen lässt sich dann schon leben: bei fünf Prozent, Moment, eine halbe Million – Moment, sind doch nur 50.000 Mark. „Das muss ich jetzt erst mal nachrechnen“, sagt Gabner, greift ins Jackett und zieht einen karierten Zettel und Bleistift hervor und notiert und streicht Nullen weg und kommt zum Ergebnis: „Stimmt.“

Eins nach dem anderen und keine Hektik, bloß keine Hektik, so lassen sich Fehler vermeiden. Es geht schließlich um Geld, und da braucht es Männer wie Gabner, die beim Anblick von Geldbergen die Ruhe bewahren. Einer seiner Kollegen sei zwar ein aufbrausender Hektiker. „Aber der hat hier zum Glück nichts zu sagen.“ Da lacht der Herr Gabner. So, und jetzt muss er weiter. Heute hat er zwar schon genug geschreddert, aber jetzt muss er sich um den Bestand kümmern.

Auf ein Wort noch, Herr Gabner, was würden Sie denn nun tun mit dem Geld? „Ich könnte mir Wünsche erfüllen.“ Welche Wünschen? „Geld allein macht nicht glücklich, wie man doch immer sagt.“ Kein Wunsch, Herr Gabner? Keine Idee? Da fällt ihm doch etwas ein: „Das Streckennetz der Deutschen Bahn könnte man kaufen.“ Aber Thomas Gabner hat einen festen Charakter, das würde er niemals tun.