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Heiteres Senatorenraten

„Was bin ich?“ – die Frage treibt nun rot-rote Häuptlinge um. Wird Gregor Gysi nun Frauen- oder Kultursenator? Bleibt Peter Strieder Stadtentwicklungssenator oder übernimmt er die Finanzen? Die Antwort kennen die beiden wohl selbst noch nicht

von UWE RADA

Wer wird was und wer was nicht? Nach der Einigung der rot-roten Unterhändler über den Koalitionsvertrag und die Aufteilung der Ressorts zwischen SPD und PDS am Montagabend herrschte am Dienstag eine beinahe lembkesche Atmosphäre des heiteren Beruferatens. Wird mit Gregor Gysi ein Mann Frauen-, Wirtschafts- und Arbeitssenator? Wen lässt der Regierende Klaus Wowereit an seiner Seite den Stadtkämmerer geben? Welches Personal bietet die PDS neben Gysi auf? Wer wird von PDS’ Gnaden SPD-Justizsenatorin?

Zuerst zu den Fakten. Punkt 20 Uhr verkündeten am Montag SPD-Parteichef Peter Strieder und PDS-Landesvorsitzender Stefan Liebich grünes Licht für die erste rot-rote Koalition in der Bundeshauptstadt. Kurze Zeit später nannte Klaus Wowereit die Verteilung der Ressorts. Er selbst bleibe Regierender Bürgermeister. Die SPD bekommt zudem fünf Senatorenposten: Finanzen, Inneres, Stadtentwicklung, Schule/Bildung sowie Justiz. Bei der Besetzung des Justizressorts hat die PDS allerdings ein Vetorecht. Die PDS selbst bekommt drei Ressorts: Kultur/Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft/Arbeit/Frauen sowie Soziales/Gesundheit und Verbraucherschutz. Noch vor der entscheidenden Verhandlungsrunde am Montag hatte die PDS vier Ressorts für sich beansprucht. Am Abend dann sprach Verhandlungschef Gregor Gysi von einem „guten Kompromiss“.

Mehr verriet Gysi allerdings nicht. Das Wirtschaftsressort sei für die PDS eine große Herausforderung, auch in Verbindung mit dem Frauenressort. „Feministische und Gleichstellungspolitik“, so der PDS-Frontmann, „müssen sich wieder mehr am Arbeitsmarkt orientieren“. Auf die Frage, ob man bald auch Gysis feminine Seiten kennenlerne, antwortete er: „Das wird höchste Zeit.“ Noch allerdings gilt nicht als ausgemacht, dass Gysi künftig in China, Japan oder Moskau der Berliner Wirtschaft neue Märkte öffnen oder ausländische Firmen in die deutsche Hauptstadt holen darf. Gysi selbst, das ist in seiner Partei ein offenes Geheimnis, wäre am liebsten Kultursenator. In Verhandlungen mit der Bundesregierung könnte er dem Regierenden Bürgermeister am besten die Schau stehlen und sich selbst als erfolgreichen Kulturmanager präsentieren.

Ebenso bekannt ist freilich, dass die PDS-Bundesspitze Gysi gerne im Wirtschaftsressort sähe. Ein Postkommunist als Wirtschaftskapitän – das wäre ganz nach dem Geschmack der Parteistrategen, für die Rot-Rot in Berlin den entscheidenden Schritt für einen Durchbruch der PDS in Richtung Westen bedeutet.

Für Gregor Gysi als Wirtschaftssenator spricht zudem, dass die demokratischen Sozialisten nicht unbedingt aus dem Vollen schöpfen können. Eine Kandidatin aus den eigenen Reihen bietet sich nicht an, eine von außen müsste erst noch gefunden werden. Und ebenso wie eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik den Schlüssel für die PDS-Westerweiterung bedeuten kann, kann sie im Falle des Misserfolgs diese Tür auch ein für allemal schließen.

Gleiches gilt freilich auch für das Kulturressort. Würde Gysi Wirtschaftssenator, gilt es noch lange nicht als ausgemacht, dass der Exbaustadtrat von Mitte, Thomas Flierl, Kultursenator wird. Zuvierle Vorbehalte in der eigenen Partei, heißt es. Gysis Wunschkandidat für den Kulturposten wiederum, der Exparteichef Lothar Bisky, hat erst gestern wieder abgewunken. Er will nach wie vor in Potsdam bleiben. Sicher bei der PDS scheint bisher nur, dass Carola Freundl das Ressort Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz übernimmt. Die von Wowereit favorisierte Bärbel Grygier hat bereits abgesagt, Petra Pau stößt wiederum bei Gysi auf Vorbehalte, und der ebenfalls gehandelten Sozialpolitikerin Dagmar Pohle eilten gestern wieder Gerüchte über eine Stasi-Mitarbeit voraus.

Doch auch bei der SPD ist noch längst nicht alles in trockenen Tüchern. Zwar gilt es als ausgemacht, dass Ehrhart Körting weiter Innensenator und Klaus Böger Schul- und Bildungssenator bleiben. Doch mit der Besetzung des Finanzressorts steht den Sozialdemokraten ein Problem ins Haus. Nach dem Abgang von Christiane Krajewski, munkeln Insider, wolle sich Klaus Wowereit am liebsten eine loyalen Senator ins Amt holen. Der Grund: Als Haushälter fühlt sich der Regierende Bürgermeister auch am Senatstisch oft als der eigentliche Finanzsenator. Keine guten Voraussetzungen also für jemanden, der eine eigenständige Finanzpolitik machen möchte.

Eine erste Sollbruchstelle würde sich die SPD verpassen, wenn sie allerdings bei der Suche nach einem Finanzsenator nicht fündig würde. Dann müsste wohl der bisherige Stadtentwicklungssenator Peter Strieder ran. Strieder gilt in der SPD als einziger Politiker, der dem Machtstreben von Klaus Wowereit etwas entgegenzusetzen hat. Damit freilich stünden die Berliner Sozialdemokraten vor einer ähnlichen Situation wie die Bundes-SPD nach dem Wahlsieg von 1998. Auf der einen Seite der Regierungschef, auf der anderen der Finanzchef und Parteivorsitzende. Darüber hinaus bietet sich in der Berliner SPD derzeit keiner an, der anstelle Strieders das Stadtentwicklungsressort übernehmen könnte.

Insgesamt, so scheint es, ist die PDS optmistischer, ihr Kandidatenkarussell so schnell als möglich zum Stehen bringen zu können. Bereits heute Abend will sie auf einer Sitzung des Landesvorstandes ihre Kandidatenvorschläge präsentieren, die SPD dagegen erst nächsten Dienstag.

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