szenen vor gericht: Major gegen Deserteur
Zumutungen
Den Blick forsch nach vorn gerichtet, nimmt der Angeklagte Major Dirk Reitz das Urtei entgegen. 500 Euro Geldstrafe, dafür wird das Verfahren wegen Beleidigung eingestellt. „Die Summe begleiche ich binnen zwei Tagen, gar kein Problem“, schmettert er zufrieden der Richterin entgegen.
Der Kläger, Ludwig Baumann, ist mit diesem Urteil sehr viel weniger glücklich – um nicht zu sagen, er hat ein Problem damit.
Im Amtsgericht Berlin Tiergarten prallten gestern zwei Generationen, aber auch Welten aufeinander. Der Feldjäger, dessen Berufstand sich nur zu oft gegen die Bezeichnung Mörder gerichtlich zu Wehr setzt, und der Kläger, ein vom Alter gezeichneter Mann, der sich des Mordens verwehrte und 1942 desertierte.
Dafür wurde er am 20. Juli vergangenen Jahres mit einer Beleidigung bedacht. Nach seiner Ansprache, die Baumann im Rahmen der Kranzniederlegung zum Gedenken des Widerstandes gegen den Krieg gehalten hatte, ließ es sich Reitz nicht nehmen, ihn spontan als „Straftäter“ zu beschimpfen. Für Baumann, der zehn Monate wegen „Fahnenflucht“ in der Todeszelle saß, eine Zumutung.
Juristisch aber keine wirklich klare Situation, sind doch die rund 30.000 Verurteilungen über die Deserteure von damals nie ihrer Rechtskraft enthoben worden. „Das ist auch nicht weiter verwunderlich“, entrüstet sich Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz. Denn für die Richter, die nach 1945 Karriere gemacht haben, wäre das Aufheben der Urteile einer Selbstanklage gleichgekommen. Ein Fass ohne Boden, das die Richterin ein wenig zu überfordern scheint. Ihr Rettungsanker: Wolfgang Thierse und andere hochrangige Politiker, die nach Reitz’ verbalen Ausfall sogleich ihre Missbilligung kundtaten. Und wer will schon gleich beleidigt sein, wenn Vertreter des Deutschen Staates doch so dicht hinter einem stehen? Solidarität ist doch das schönste Trostpflaster. Und immerhin, der Angeklagte entschuldigte sich auch in aller Form „in Anbetracht der tragischen Vita des Herrn Baumann“, so etwas gesagt zu haben. Wollte er doch eigentlich nur den Veranstalter, Ralf Siemens, auf die Rechtslage hinweisen. Vielleicht hätte er darauf noch sein Ehrenwort geben können.
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